Moritary

Moritary

Rezensionen
Moritary vor 1 Jahr 16 1
8
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft
Ein Feuer in der Wüste
Wir schreiben das Jahr 2021. Schauplatz der Handlung: Ein kleines WG-Zimmer in einer hässlichen Studentenstadt. Es ist Frühjahr und das heißt: Wir befinden uns im tiefsten Corona-Lockdown. Impftermine sind so rar wie aktuelle Aventus-Batches mit vernünftiger Haltbarkeit, die Delta-Variante greift um sich und es herrscht Ausgangssperre. Nicht, dass irgendjemand an diesem Tag freiwillig rausgegangen wäre, denn es schüttet wie aus Eimern.

Während sich andere in dieser Zeit am Brotbacken versucht und ihrem Sauerteig kultige Namen verpasst haben, um sich irgendwie bei Sinnen zu halten, hat der Autor dieses Textes die Welt der Nischendüfte für sich entdeckt. Das Tor zu besagter Welt hieß Parfumo mit seiner wunderschönen Souk-Funktion. Schnell wurden die ersten Samples vom beliebten Evergreens wie "Layton | Parfums de Marly" , "Aventus (Eau de Parfum) | Creed" und "Reflection Man | Amouage" geordert. Insbesondere der letzte Kandidat hatte es mir, der bislang nur ein paar Designer-Düfte kannte, mit seiner Kombi aus blumiger Süße und aromatisch-kühler Holzigkeit direkt angetan. Mein damaliger Guide in der neuen Welt, ein nicht gerade unbekannter, deutschsprachiger, bärtiger Parfum-Youtuber, erklärte mir allerdings, dass Reflection Man erst der Anfang sei. Das eigentliche Meisterwerk der Marke Amouage trug den wunderschönen Namen "Jubilation XXV Man | Amouage" . Und obwohl beide Namen für mich damals noch fast schon etwas Mystisches, unnahbares hatten, hat es eine Probe dieses hochgelobten Duftes an diesem tristen Tag doch tatsächlich in mein kleines WG-Zimmer geschafft und wartete nun von mir getestet zu werden. Die Duftpyramide habe ich mir im Vorfeld selbstverständlich angeschaut. Mein Eindruck – um es in den Worten der Jugend von heute auszudrücken: Wild. Und was macht man als Anfänger, wenn man einen hochkomplexen Duft einer völlig unbekannten Duftfamilie vor sich hat, mit gefühlt 1000 Duftnoten, von denen man weder weiß, wie sie riechen, oder überhaupt, ob sie von einem Baum, von einer Blume oder vielleicht doch von einem Tier stammen? Richtig, man sprüht sich drei ordentliche Sprüher direkt auf die Haut und hält sich den Arm direkt unter die Nase.

Ich stehe in einer Wüste. Es scheint bereits zu dämmern, jedenfalls taucht die fast schon untergangene Sonne das Meer aus Sand um uns herum in ein schimmerndes Licht. Lässt man den Blick gen Horizont schweifen, zeichnet sich von den rot-orange leuchtenden Dünen ein tiefblauer, sternenklarer Nachthimmel ab. Es ist weder hell noch dunkel, weder Tag noch Nacht. Zeit sich mit dieser Unwirklichkeit zu befassen, hat man allerdings nicht, denn vor uns brennt ein gewaltiges Feuer. Das Feuer erhellt die Szene und treibt einem gleichzeitig Tränen in die Augen. Die Luft um uns herum ist staubtrocken. Es ist laut. Rauch kratzt in der Luge und in der Nase brennt der beißende Geruch von verbranntem Leder, verkohltem Holz und weiteren undefinierbaren Noten, die sich zu einer einzigen rauchig-trockenen und stechenden Kakophonie vereinen.

Etwa eine Stunde später sind wir wieder zurück in der Studenten-WG. Der Trip in die Wüste hat offensichtlich Spuren hinterlassen. Die Haut um das rechten Handgelenk ist stark gerötet und riecht nun zusätzlich auch noch nach mehreren erfolglosen Versuchen, besagten Duft mit jeder Menge Seife, Kaffeepulver und Zitronensaft wieder loszuwerden.

Offensichtlich hat mich "Jubilation XXV Man | Amouage" als blutigen Anfänger komplett überfordert. In den nächste Wochen wurde er daher kein einziges Mal gesprüht. Aber auch während der Duft in seinem Zerstäuber vor sich hinschlummerte, lehrte er mich auf eindrucksvolle Weise, zu was Parfum in der Lage sein kann. Vorrangig beschäftigte ich mich mit anderen Düften, die für meine Nase weitaus angenehmer waren. Parfum kann aber sehr viel mehr sein als nur „gut riechen“. Parfum, insbesondere auf dem Niveau von Jubilation XXV, ist auch Kunst. Denn dieses Kunstwerk hatte es geschafft, mich und meine Fantasie für den Moment an einen gänzlich unwirklichen Ort in einer vollkommen fremden Welt zu katapultieren und erschuf ein Bild voller Assoziationen, die so lebhaft und intensiv waren, dass sie sich förmlich in mein Gedächtnis einbrannten.

Obwohl mir andere Düfte weitaus eher zusagten, lies mich Jubilation XXV und das Bild, das er schuf, nie ganz los und ich erwischte mich immer wieder, wie ich am Zerstäuber roch. Und dabei lehrte mich Jubilation XXV noch eine weitere Lektion. Anfangs überwogen meist noch Abscheu und Überforderung. Eines Tages aber packte mich erneut die Neugier, Jubilation XXV zu verstehen und gleichzeitig hatte ich das Gefühl, etwas hat Klick gemacht. Also entschied ich mich, den Duft noch einmal aufzusprühen. Wieder sind wir in der Wüste, wieder umhüllt uns heiße trockene Luft. Aber die Szene hält kürzer an, denn aus den harzigen Rauchschwaden schält sich plötzlich eine säuerlich-saftige Note dazu, die man mit viel Fantasie (und einem Spinxer auf die Duftpyramide) als Brombeere beschreiben könnte und die das Ganze plötzlich überraschend angenehm gestalten. Noch ein paar Tests später sind die Brombeeren von Anfang an da und das Feuer wird immer kleiner und harmloser. Dafür gesellt sich zu der Brombeere nach etwa 30 Minuten eine angenehme Honigsüße, und im Drydown vermag ich gar eine leichte Oud-Note zu vernehmen. An der Stelle im Duftverlauf ist das Feuer allerdings fast vollständig erloschen und auch die Sonne ist nun endgültig untergegangen. Der Duft von Weihrauch liegt zwar noch in der Luft, aber das Feuer glimmt nur noch vor sich hin und gibt die Sicht frei auf den wunderschönen, tiefblauen und mit Sternen übersäten Nachthimmel der Wüste.

"Jubilation XXV Man | Amouage" wird nie mein Lieblingsduft und ganz bestimmt kein Duft, den ich jeden Tag tragen wollen würde. Dafür ist er mir insgesamt zu dicht und der Weihrauch, eine Note auf die ich manchmal etwas empfindlich reagiere, einen Ticken zu präsent. Trotzdem hat mir dieser Duft so viel über Parfum gelehrt wie kein anderer. Bisher gab es kein Parfum, das es auch nur ansatzweise geschafft hat, ein derart lebhaftes Bild zu erschaffen. Damals fand ich den Duft abscheulich. Heute habe ich ihn verstanden und entziffert, bin mit einer geschulteren und analytischeren Nase an die Sache herangegangen und finde ihn wunderschön. Nur das Feuer wird wohl nie wieder so hell brennen wie beim ersten Mal.
1 Antwort