Der Unaussprechliche, oder: Warum sich plötzlich auch die coolen Jungs für Pferde und Royalismus interessieren
Es folgt eine Art Sunday Read, gespickt mit Verallgemeinerungen, Ungenauigkeiten und Überspitzungen, welcher lediglich dem Zweck der reinen Wochenendunterhaltung gedacht ist. In diesem Sinne – bitte am besten schon mal ein Auge zudrücken ;)
Seit Jahren nun schon verdunkelt sich der Himmel zunehmend über dem kleinen Städtchen, welches idyllisch in den sonst so immergrünen, wohlriechenden Weiten des Internets sein friedliches Dasein fristet.
Ich schlendere durch die größtenteils leeren Straßen. Ab und zu jedoch entdecke ich Menschen. Einer gräbt mit seiner Nase tränenüberströmt in den Scherben seines zerbrochen vor ihm liegenden Vintage-Erstausgabe-Flakons eines bekannten französischen Dufthauses – letzteres verrät mir mein mittlerweile geschulter Blick. Ich wende mich mitleidend ab.
Ein paar Straßenecken weiter steht einer der örtlichen Parfumhändler mit seinem Wägelchen. Über ihm prangt ein Schild: „KEINE FRAGEN ZUM UNAUSSPRECHLICHEN!!“ Er sieht mir misstrauisch entgegen, wirft in Windeseile ein Tuch über seine Auslage und raunzt mich an: „WEG!!“ Ich bin leicht irritiert, richte meinen Blick nach vorn und tue so, als würde mich seine Ware sowieso nicht interessieren. Innerlich verdrücke ich eine kleine Kullerträne, hatte er doch sämtliche Private Blends von Tom Ford im Sonderangebot.
Nur einige hundert Meter weiter nehme ich wahr, wie die Leute hastig ihre Fensterläden schließen, als sie mich die Straße hochkommen sehen. Ich hebe meine Arme und schaue, ob das mir von einer Freundin empfohlene supertolle All-Natural-No-Junk-Fairtrade-Biodeo aus der Drogerie vielleicht doch nicht ganz so supertoll ist.
Ein paar Schritte weiter doch dann glücklicherweise die Aufklärung – nun ja, zumindest teilweise. Ein in die Jahre gekommener, blinder Mann mit zerzaustem grauen Haar und ellenlangem Rauschebart sitzt am Straßenrand – mir weht eine wilde Mischung aus Guerlains Héritage, Geoffrey Beenes Grey Flannel und Chanels Pour Monsieur in die Nase. Er ruft mir zu: „Sind Sie es?! Sind Sie der, der unseren Jungen den Verstand und unseren Mädels die Schlüpfer entführte?! Sind Sie die Prophezeiung?!“
Bevor ich auch nur den Gedanken einer Antwort fassen kann, schlägt er die Hände über dem Kopf zusammen und fährt fort: „Oh nein, oh nein, oh nein – sie sagten, es würde passieren! Sie sagten ER würde kommen! ER würde kommen, und er würde es ihnen nehmen! Ihr hart verdientes Taschengeld, ihren Verstand, ihre Seele! Und ihre Unterwäsche! Was ist nur aus diesem Ort geworden?!“
Meine Verwirrung ist vervollständigt und mir entfährt ein naives: „Wer ist ER denn?“
„DER UNAUSSPRECHLICHE!!!“
Seine feuchte Aussprache schleudert mir ein paar Partikel seiner letzten (oder vorletzten?) Mahlzeit ins Gesicht. Ich entgegne höflichst: „Nein, mein Herr, dieser bin ich nicht. Aber, mit Verlaub, was geht hier eigentlich vor sich?“
Er beruhigt und sammelt sich. Mit nun leicht aufgeriebener, gar zerbrechlich wirkender Stimme setzt er zur längst überfälligen Erklärung an: „Die jungen Männer. Das flimmernde Orakel aus San Bruno, Kalifornien. Es versprach ihnen: ‚Der schwarze Reiter wird kommen – und ist er da, so fallen die Höschen.‘ Seit dem reden sie von nichts anderem mehr. Gar gebetsmühlenartig sprechen sie davon: ‚Der schwarze Reiter wird kommen; der König wird sie alle plattreiten; der schwarze Reiter kriegt sie ALLE!‘ – all das, während wir ihnen versuchen zu zeigen, wie man sich stilvoll kleidet und welche Umgangsformen einen wahren Gentleman ausmachen. Es ist zwecklos.“
Meine Verwirrung ist nicht weniger geworden. Aus meinen Gedanken reißt mich Tumult, der sich von Norden her die Straße herunterschiebt. Der alte Mann nimmt wortlos Reißaus, und verschwindet in der einzig noch offenen Gastwirtschaft der Stadt, der Yesterday Bar.
Ich gehe dem Aufruhr auf den Grund und erblicke eine Gruppe junger Männer, wie sie gerade aus dem an die Stadt angrenzenden Wald zurückkommen. Einer trägt einen Umhang aus noch verpackten Damenschlüpfern, ein weiterer zählt tränenüberströmt seine letzten Euros Taschengeld. Neben einem weiteren Jungspund, der lustigerweise einen Stringtanga auf dem Kopf trägt (hä?!), erblicke ich jemanden, der mit Hilfe seines Smartphones Batch-Codes aus einem Internetforum auswendig lernt. Was ein bizarres Bild!
Die Gruppe kommt auf mich zu. Von marschieren kann da allerdings keine Rede sein – seit 2011 musste ja keiner mehr zum Bund. Sie umrunden mich. Mir wird ein wenig komisch. Der umhangtragende Rädelsführer schnuppert intensiv an mir. Ich hebe vorsichtig meine Arme – er rümpft die Nase und drückt sie wieder runter. Seine Nase wandert an meinen Hals. Er nimmt einen tiefen Atemzug, seine Gesichtszüge entspannen sich und ihm entfährt ein wohliges „Mmmhh“. Er schaut grinsend in die Gesichter seiner Kameraden und beginnt leicht zu nicken. Plötzlich jedoch lenkt er seinen Blick wieder auf mich und wird ernst: „Dupe?“, fragt er mich.
Sie lachen mich aus und ziehen
weiter.
Das kleine, idyllische Städtchen, in das ich mich hier mal wieder liebend gerne verirrt habe, heißt übrigens Parfumo. Komischer Name für eine Stadt.
Ich fühle mich hier zeitweilen zurückerinnert an die Geschichte und Szenerie des Tim Burton-Filmklassikers Sleepy Hollow. Als nassforscher, duftinteressierter Kriminalinspektor (zwei davon treffen auch wirklich auf mich zu) aus der Großstadt, nehme ich den langen Weg in das abgelegene Städtchen auf mich, um mehr darüber zu erfahren, warum dieser Ort so sehr besonders ist. Doch die Gemeinschaft scheint gespalten. Die Alten warnen vor drohendem Unheil und erinnern stets an die wirklich wahren Dinge im Leben, die Jungen tragen ihr lang gespartes Taschengeld (bzw. ihre Schlüpfer) in die umliegenden Wälder, um sich dem diabolischen Einfluss des kopflosen (bzw. schwarzen) Reiters hinzugeben.
Dazu will ich natürlich nicht verschweigen, dass ich in der Tat nun wirklich einiges gemeinsam habe mit dem Sleepy Hollow-Hauptdarsteller Johnny Depp (die Sehschwäche), was diesen Transfer, meiner Meinung nach, äußerst passend macht.
Die zahllosen Androhungen, mich und alle(s) andere(n) würde(n) vom schwarzen Reiter, dem UNAUSSPRECHLICHEM, plattgeritten werden, erinnern mich weiterhin an die sich im fortgeschrittenem Stimmbruch befindlichen Ringgeister, die in Tolkiens Der Herr der Ringe dem Ringträger Frodo zusetzen.
Wie ein Frodo (jedoch ohne Ring) fühlte ich mich damals auch nach meinem Beitritt in den Schulchor kurz vor meiner Oberstufenzeit. Einerseits, weil ich damals noch nicht zu den coolen, älteren Oberstuflern gezählt habe, andererseits aber auch, weil ich physisch einfach stark in Richtung Hobbit tendierte. Das hat sich zum Glück heutzutage zumindest teilweise geändert (Haare auf den Füßen habe ich trotzdem noch).
Der Schulchor bestand also aus den coolen, älteren Oberstufenjungs, Hobbits (inklusive moi), den coolen, älteren Oberstufenmädels und den Pferdemädchen. Letztere waren die, die auf die Frage unseres Chorleiters an die Mädchen im Ensemble, was sie denn zurzeit am meisten interessierte mit einem langgezogenen „Pfeeeerde“ antworteten, während die coolen, älteren Oberstufenmädchen zeitgleich ein ähnlich langgezogenes „Juuuungs“ dagegensetzten.
Dass niemand auch nur im Ansatz ein langgezogenes „Hoooobitts“ ausstieß, trägt hier nichts zur Debatte. So.
Von da an gab es für die coolen, älteren Oberstufenjungs nichts tolleres, als sich ständig über Pferde und die Pferdemädchen lustig zu machen. Da ich als Hobbit maximal auf ein Pony gepasst hätte (und auch ein bisschen cool sein wollte), stimmte ich da natürlich regelmäßig mit ein – ja, es tut mir leid, ich war jung und dumm. Zumindest ersteres hat sich mittlerweile gebessert.Ohne Verallgemeinern zu wollen,
stelle ich mir regelmäßig vor, was für eine Genugtuung es für die Pferdemädchen
sein muss, wenn sie heutzutage lesen/sehen/hören, wie die coolen, älteren
Oberstufenjungs vierundzwanzig Stunden am Tag vom schwarzen Reiter und seiner
Royalität faseln.
Ich selbst bin dann mit Mitte zwanzig das erste Mal auf einem Pferd geritten (es war leider nur braun – aber dunkelbraun … ging ganz leicht ins Schwarze, schwöre! Aber ich hatte ein schwarzes T-Shirt an! Ha!)
Seit dem weiß ich, dass die Pferdemädchen seit jeher Recht hatten. Auch in Anbetracht der Tatsache, was für ein Trara ständig um den UNAUSSPRECHLICHEN gemacht wird – von beiden Seiten her. Jungs sind einfach uninteressant … und doof. Da hilft auch kein schwarzer Reiter.
Ich schließe mit einem abgewandelten Oscar Wilde: Persiflage ist doch manchmal die höchste Form der Anerkennung – und Zuneigung. In diesem Sinne – einen schönen Sonntag! Ich mag Parfumo und euch alle – wirklich!
PS: Ich mag alte Menschen und anderen Vintagekram sehr gerne – inklusive entsprechender Düfte.
PPS: Ich mag auch Aventus.
#hattanischjesacht?!?