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Von Parfumo empfohlener Artikel
vor 8 Monaten - 05.12.2024
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Parfüm - Eine Zeitreise I Teil II: Das Mittelalter

Parfüm - Eine Zeitreise I Teil II: Das Mittelalter

Vorwort: Wie versprochen der zweite Teil der Reihe "Parfüm - Eine Zeitreise". Ich wünsche allen LeserInnen viel Spaß und hoffe, dass Ihr das ein oder andere mitnehmen könnt.

Einleitung:
In den dunklen Jahrhunderten des Mittelalters, die oft als „Zeitalter der Ungewaschenen“ bezeichnet werden, mag man annehmen, dass Duft und Parfüm eine geringe Bedeutung besaßen, fernab der kulturellen und ästhetischen Höhepunkte vergangener Zivilisationen. Diese Vorstellung jedoch erweist sich als trügerisch. Vielmehr war das Mittelalter eine Zeit, in der der Mensch – sei es aus praktischen oder spirituellen Beweggründen – die heilende, atmosphärische und ästhetische Kraft der Düfte immer wieder neu entdeckte und zur Anwendung brachte. Von den heiligen Weihen in den Kirchen bis hin zu den prunkvollen, duftenden Räumen der Adelsgesellschaft begleitete Parfüm die Menschen auf vielfältige Weise.

Vom Orient in den Westen:
Die Kunst der Parfümherstellung hat ihre Wurzeln im Orient, wo bereits in der Antike duftende Substanzen mit höchster Kunstfertigkeit verarbeitet wurden. In der arabischen Gesellschaft waren Düfte ein Zeichen von Reinheit und gesellschaftlichem Status. Moscheen wurden häufig mit duftenden Substanzen wie Sandelholz parfümiert, und auch im privaten Bereich spielten Parfüms eine bedeutende Rolle. 

Der arabische Gelehrte Al-Kindi  verfasste eines der frühesten Werke zur Parfümherstellung, „Das Buch der Chemie der Parfümerie und Destillation“, in dem er präzise die Kunst der ätherischen Ölgewinnung und deren Kombination beschrieb. „Düfte reinigen die Seele und erleuchten den Geist. Sie sind ein Geschenk des Himmels, das auf der Erde verweilt“, sagte er – eine Erkenntnis, die die spirituelle Dimension von Düften im arabischen Raum widerspiegelt, welche später auch nach Europa und die ganze Welt überging. So beschreibt der Reisende Ibn Battuta  in seinen Aufzeichnungen über Indien: „Bei jedem Fest sprühen die Frauen Rosenwasser, und die Luft ist erfüllt von Moschus und Amber.“ 

Das goldene Zeitalter des Islams brachte jedoch nicht nur technische Fortschritte in der Parfümherstellung hervor, sondern auch eine umfassende ästhetische und spirituelle Philosophie des Duftes. Der persische Dichter Rumi schrieb: „Der Duft der Rose ist der Atem Gottes, der uns an die Ewigkeit erinnert.“

Ein weiterer bedeutender Meilenstein war das Werk von Avicenna. Der persische Arzt perfektionierte die Destillation von Rosenwasser, wodurch Parfüms haltbarer und vielseitiger wurden. „Rosenwasser ist das Elixier der Reinheit, es stärkt den Körper und erhebt den Geist“, sagte Avicenna und legte damit den Grundstein für die weite Verbreitung des Rosenöls in der westlichen Welt. Weiterhin führte er aus: „Düfte sind die Sprache der Seele, sie sprechen zu uns, wenn Worte schweigen.“

In den antiken Kulturen Arabiens und Persiens begann das Wissen über Duftstoffe zu erblühen. Diese Region, einst als „Land der Düfte“ bekannt, bewahrte nicht nur die Geheimnisse aromatischer Pflanzen, sondern entwickelte auch revolutionäre Techniken zur Gewinnung von Essenzen. Der zuvor genannte Avicenna, führte Destillationstechniken ein, die bis heute die Grundlage der Parfümherstellung bilden. Im Einklang mit der floralen und aromatischen Symbolik des Islams, in der Düfte wie Moschus und Rosen für Reinheit und die Weisheit Gottes standen, wurden Düfte in der islamischen Welt nicht nur als ästhetische Gaben, sondern auch als spirituelle und medizinische Mittel hoch geschätzt. Dieses Wissen um Düfte und deren Verwendung sollte nun auch der westlichen Welt zuteilwerden.

Fun Fact:
Al-Kindi wird oft als der „Vater der arabischen Parfümerie“ bezeichnet, da seine Schriften die Grundlage für die moderne Parfümherstellung legten. Seine Lehren über ätherische Öle und Destillation beeinflussten Generationen von Parfümeuren, sowohl im arabischen Raum als auch in Europa.

Fun Fact 2.0:
Die Muslime des Mittelalters hielten es für eine religiöse Pflicht, sich mit angenehmen Düften zu umgeben. Daher wurden sowohl in privaten als auch in öffentlichen Bereichen Räucherstäbchen und Duftöle verwendet, um die Umgebung zu reinigen und das Wohlbefinden zu fördern.

Duftstoffe als Heilmittel und Statussymbol:                                                                                                   Mit der Zeit übernahmen die Kreuzritter viele Dufttraditionen aus dem Nahen Osten, und vor allem Rosenwasser und Lavendel, als Symbole für Reinheit und Heilung, wurden populär. Philipp August von Frankreich gründete 1190 erstmals die Gilde der Handschuh- und Parfümmeister. Diese Organisation schuf  eine berufliche Grundlage für Parfümeure. Ihre Kreationen beeinflussten nicht nur die Aristokratie, sondern auch die sich langsam entwickelnde Lebens- und Hygienekultur. In den Speisesälen der Adligen fand Rosenwasser Verwendung, um nach den Mahlzeiten die Hände zu reinigen und einen angenehmen Duft zu hinterlassen. Ein Bericht aus dem 13. Jahrhundert beschreibt eine solche Szene: „Nach dem Mahl reichte man uns Schalen mit warmem Wasser, das nach Rosen duftete, und kleine Tücher, um unsere Hände zu reinigen.“

In den prunkvollen Hallen des Adels wurden derartige Düfte bewusst als atmosphärische Medizin eingesetzt. Ein weiteres Beispiel: Der Duft von Kräutern, die auf den Böden von Palästen und Burgen ausgebreitet wurden, sollte den Raum erfrischen und die Luft reinigen. Diese Praxis war der Ursprung des heutigen Parfüms: ein bewusst eingesetzter Duft zur Schaffung einer heilenden, zugleich ästhetischen Atmosphäre.  

Diese Mischung aus duftenden Ölen und Alkohol verbreitete sich rasch in ganz Europa und trug zur weiteren Entwicklung der Parfümkunst bei. Als markanter Wendepunkt in der westlichen Parfümeriegeschichte ist hier die Einführung von „Ungarnwasser“ durch Königin Elisabeth von Ungarn im Jahr 1370 zu nennen. 

Auch die italienische Renaissance spielte eine bedeutende Rolle, als Königin Catherine de Medici ihren eigenen Parfümeur, René le Florentin, nach Frankreich brachte, was dazu beitrug, Parfüm als Luxusgut am französischen Hof zu etablieren. 

Ein berühmtes Zitat des Alchemisten Hieronymus Brunschwig verdeutlicht die Bedeutung von Parfüm in jener Zeit: „Das Destillieren macht das Leibliche geistig und das Grobe subtil. Es ist die Kunst, das Unschöne schöner zu machen.“

Im Mittelalter waren Duftstoffe jedoch nicht nur dem Adel vorbehalten. Mit wachsendem Interesse an den heilenden Kräften von Pflanzen und Kräutern begannen auch die einfachen Leute, Düfte für medizinische Zwecke zu nutzen. Es hieß, angenehme Gerüche könnten die „schlechte Luft“ vertreiben und die negativen Auswirkungen der Enge und Dichte mittelalterlicher Städte lindern. Häufig verwendete Kräuter wie Lavendel, Rosmarin und Kamille fanden Anwendung in Tees, Tinkturen und Salben und wurden sowohl zum Schutz vor Krankheiten als auch zur Förderung des allgemeinen Wohlbefindens genutzt.
Auch große Heilkundige wie Hildegard von Bingen empfahlen Kräuterbäder und duftende Essenzen zur Förderung der Gesundheit und Reinigung des Körpers. Düfte waren in dieser Zeit weit mehr als ein Luxus – sie waren ein praktisches Hilfsmittel, das den Menschen half, in den ungesunden, überfüllten Städten zu überleben.

Fun Fact:
In den Klöstern des Mittelalters wurden oft spezielle „Heilkräutergärten“ angelegt, in denen Mönche und Nonnen Pflanzen zur Heilung und Parfümherstellung kultivierten. Diese Gärten gelten als eine der ersten Formen der botanischen Forschung in Europa.

Fun Fact 2.0:
Im „Decameron“ von Giovanni Boccaccio gibt es eine humorvolle Szene, in der sich eine Dame in Rosenwasser badet, um ihren Wohlgeruch zu verstärken – „sie hat einen Duft, der die Luft verzaubert“. Diese Passage gilt als ein früher literarischer Hinweis auf die Macht des Parfüms in der Gesellschaft.

Der Pomander: Ein Symbol der mittelalterlichen Düfte
Eine bemerkenswerte Entwicklung im Mittelalter war die Erfindung des Pomanders – ein duftendes Schmuckstück, das ästhetische und praktische Funktionen vereinte. Der Pomander, ursprünglich ein simples Metallgehäuse, gefüllt mit duftenden Substanzen, fand seinen Ursprung in den Kirchenzensoren, die während der Messe verwendet wurden, um Weihrauch und andere Harze zu verbreiten. Diese kleinen Kunstwerke, die oft die Form von goldenen Äpfeln oder Herzen annahmen, sollten nicht nur vor schlechten Gerüchen schützen, sondern auch als Schutz vor den „Miasmen“ – den als Krankheitserreger angesehenen Luftverunreinigungen – dienen. Der französische Arzt Guy de Chauliac schrieb: „Die Luft ist voller tödlicher Dämpfe, doch mit der Kraft von wohlriechenden Substanzen schützen wir uns vor dem Übel.“

Fun Fact:
Der Name „Pomander“ stammt vom französischen „pomme d'ambre“, was „Apfel des Bernsteins“ bedeutet. Die ersten Pomander hatten häufig die Form eines Apfels und waren mit dem duftenden Harz Ambergris versetzt. Im Laufe der Zeit avancierten Pomander zu Statussymbolen und Glücksbringern, die zunehmend personalisierte und kunstvolle Formen annahmen. Man glaubte, dass der Besitz eines Pomanders vor bösen Geistern und Krankheiten schützte.

Ich hoffe das euch der Artikel gefallen hat!

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Octavianus

Aktualisiert am 05.12.2024 - 15:30 Uhr
9 Antworten
SereqHetitSereqHetit vor 8 Monaten
Sehr gerne gelesen, wie auch schon die letzten beiden Beiträge!
SalanderSalander vor 8 Monaten
…und auch dieser Blog bereichert die Community.
ErgoproxyErgoproxy vor 8 Monaten
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Schade war nur, dass all die duftenden Hilfsmittel nicht über die ansonsten schlechte Körperhygiene, die sich mit der Schließung der Badehäuser nach der ersten Pestepedemie noch weiter ausbreitete, hinwegtäuschen konnten. Vielen Dank für den tollen Beitrag.
ErgoproxyErgoproxy vor 8 Monaten
Alles gut. 😁 Ich hatte das Thema im Rahmen meiner Ausbildung. Und es wurde ja nicht nur das Waschen abgeschafft. Auch Hebammen wurden aufgrund ihres Wissens verfolgt und als Hexen verbrannt. Das alles in einem Blog zu verarbeiten hätte den Rahmen etwas gesprengt.
OctavianusOctavianus vor 8 Monaten
Zu der Wasser-Thematik hätte Ich noch etwas schreiben können - Mist, das habe ich vergessen. Bei Gelegenheit werde Ich diesbezügliche Informationen nachtragen.
BosworthBosworth vor 8 Monaten
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Ein absoluter Lesegenuss.
OctavianusOctavianus vor 8 Monaten
Danke für das nette Kompliment!
PollitaPollita vor 8 Monaten
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So großartig recherchiert. Vielen Dank.
OctavianusOctavianus vor 8 Monaten
Liebe Pollita, ich habe zu danken! Toll, dass dir der Artikel gefallen hat.

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