
Gibt es sie noch, die eigene Meinung? Zwischen Prestige und Überzeugung.
Parfüm ist mehr als ein reines Accessoire, keinesfalls vergleichbar mit einer Tasche eines High-End-Designerhauses, einer Luxuskarosserie oder der Markenjacke für 1000 €. Es ist ein Statement oder, jedenfalls für mich, Teil meiner Persönlichkeit. Leider scheint sich dieser Fokus nun immer mehr zu verschieben: Parfüm ist weniger ein Ausdruck der Persönlichkeit, sondern mehr ein Statussymbol geworden. Lauter, stärker und teurer scheint die Devise zu sein. Subtilität, Eleganz und Intimität? Fehlanzeige. Wer in einen Raum tritt – mittlerweile beschränkt sich das Phänomen ja nicht einmal mehr auf Discotheken und Bars, sondern auch auf einfache Supermarktbesuche o. Ä., muss den Duft gleich mitbringen oder, besser gesagt, vorausschicken: Wenn man den Duft aus 100 Metern Luftlinie nicht riechen kann, taugt er auch nichts. Edle und ausgefallene Flakons, eine noch tollere Umverpackung und ein dreistelliger Betrag pro Milliliter müssen verständlicherweise mit dem Phänomen „Beastmode“ einhergehen, à la: „Pfff, du trägst Guerlain Habit Rouge? Beiseite, du Depp, ich trage Xerjoff Erba Pura.“ Dass der Preis oftmals mehr Marketing als Magie ist, scheint vergessen zu werden, selbst wenn der Duft nach verbrannter Schuhsohle und einer Basar-Kopie von Baccarat Rouge riecht.

Einen erheblichen Einfluss auf ein solches Konsum- und Kaufverhalten haben meiner Meinung nach die sozialen Medien und die sogenannten Parfüm-„Influencer“ (oder doch eher Influenza?). Jeder neue Duft wird als Gamechanger, Pantydropper, Frauenmagnet oder Heiliger Gral, eine Mischung aus allen erdenklichen Attributen, die sich ansatzweise positiv verorten lassen, angepriesen. Selbstverständlich wird der vorgestellte Duft auch im eigenen Shop angeboten, welch ein Wunder. Tele-Shopping 2.0?
Die Düfte werden teilweise so vorgestellt, als wären sie aus dem Garten Eden entflohen, allesamt Unikate und in Machart und Inhaltsstoffen einzigartig: „Eine solche DNA habt ihr noch nie gerochen. Hochwertige Inhaltsstoffe wie ihr sie nur von Ensar Oud oder Areej le Dore kennt.“ Was folgt: Er/Sie stellt den zehnten Duft vor, der sich am Naxos, Layton oder Kirke orientiert und alles außer natürliche Inhaltsstoffe beinhaltet. Marketing par excellence!

Dennoch, die Düfte werden gekauft, oftmals blind oder, um auf Nummer sicher zu gehen, durch Threads wie: „Welchen Duft soll ich mir kaufen“, „Wie riecht Duft XY“, „Was ist eure Meinung zu Duft XY?“ und das alles unter dem Credo „Nische muss es sein“. In dieser Diskrepanz zwischen Hype und Wirklichkeit liegt ein Problem: die Abhängigkeit von fremden Meinungen. Immanuel Kant forderte einst: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Ein Überbleibsel aus längst vergessener Zeit, leider. Viele scheuen sich, ihre eigene Nase – und damit auch ihre eigene Meinung – entscheiden zu lassen. Sie verlassen sich lieber auf (vermeintliche) Experten oder gesellschaftliche Trends. Dabei ist Parfüm eine zutiefst persönliche Erfahrung. Ein Duft sollte die eigene Persönlichkeit unterstreichen und die eigenen Interessen bedienen, nicht die Erwartungen anderer erfüllen.

Die böse Überraschung folgt dann meistens nach dem Kauf: Der Duft passt nicht zur eigenen Persönlichkeit. Was online als einzigartig beworben wurde, entpuppt sich als nicht stimmig – oder schlicht langweilig. Hinzu kommt, dass die Beastmode-Qualitäten des Duftes doch eher der einer schnurrenden Babykatze ähneln. Komplett verfehlt und das trotz der tollen Beratung eines/r, leider muss ich dies so betiteln, kapitalistisch orientierten Influencers/Influencerin. Oh Wunder, oh Wunder.

Versteht mich bitte nicht falsch. Ich finde es toll, dass sich immer mehr Personen, egal ob jung oder alt, anfangen, sich für Düfte zu interessieren und sich mit unserer Leidenschaft beschäftigen. Es ist nur unfassbar schade, dass die eigene Meinung und das eigene (Duft-)Empfinden immer mehr in den Hintergrund rücken und Hunderte an Euros, insbesondere von jüngerem Publikum, ausgegeben werden, um ein Gefühl von Zusammengehörigkeit oder Nähe zum/zur Influencer/in aufzubauen.
Es ist normal, beeinflusst zu werden, dabei darf aber niemals das Wesentliche aus dem Auge verloren werden. Anstatt blind einem Hype, einer Marke oder einem/r Influencer/in zu folgen, könnte man sich (wieder) auf die eigene Wahrnehmung verlassen. Wie wäre es, einfach durch eine Parfümerie zu schlendern, verschiedene Düfte auszuprobieren und dabei bewusst zu fragen: Gefällt mir dieser Duft? Passt er zu mir? Denn Parfüm ist keine Entscheidung für andere – es ist eine Entscheidung für sich selbst.
Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit!
Ad breve!
Octavianus
Jeder hat die Wahl - der Eine lässt sich von Werbung beeinflussen, die Andere nicht. Wer von Beiden glücklicher lebt, lässt sich nicht sagen...
Parfumo ist inzwischen so groß, dass man fast zu jedem Thema etwas findet. Leider hat sich in den letzten Jahren einiges verändert, deshalb hat man über Dein Thema öfter diskutiert - aus Frust, bewirken kann man damit leider wenig.
Bin da echt ganz bei Dir!
Könnte hier noch einiges zu schreiben aber irgendwie findet sich das alles in anderen Kommentaren schon wieder.
Herzlichen Dank für die Offenlegung Deiner Gedanken die hier auch so Einigen (inklusive mir) im Kopf herum gegeistert sind.
Nocheinmal, sehr schöner Beitrag👌👍
Ich wollte lediglich meinen Standpunkt zur aktuellen, von mir häufig beobachteten Situation darlegen. Das Diskreditieren, Schlechtmachen oder Ähnliches findet in meinem Blog-Beitrag keinen Platz und wird es auch zukünftig nicht geben.
Die Bezeichnung „Tele-Shopping 2.0“ und die Beschreibung kapitalistisch orientierter InfluencerInnen wurde von einer führenden Persönlichkeit in diesem Bereich, die zufällig auch ein riesiges Uhrenimperium besitzt – Chapeau dafür – bestätigt. Diese Person äußerte sich wie folgt: „Natürlich betreiben wir nichts anderes als Tele-Shopping.“
Weiter erklärte er: „Selbstverständlich wollen wir euer Geld.“
Der restliche Blog besteht aus meinen persönlichen Erfahrungen, die ich – so dachte ich jedenfalls – frei teilen kann, ohne eingeschränkt oder verschoben zu werden.
Was wäre dein saver Beastmode - Blindbuy,Bro? 😇
Vor ein paar Tagen hatte ich in einem Blog u.a. auch genau darüber geschrieben, nur wurde der leider entfernt, weil zu böse und nicht Community - regelkonform. 😑
Manchmal wünsche Ich mir diese Zeiten zurück.