Profumo

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Profumo vor 2 Jahren 52 23
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Duft
Einen raushängen lassen
Normalerweise polarisieren Düfte mit animalischen Beimischungen – man denke nur an ‚Kouros’.
Aber auch Düfte ohne nennenswerte tierische Anteile, wie dieser hier, vermögen die Geister offenbar unversöhnlich zu scheiden. Was beide Lager trennt, ist vor allem die Frage, wie empfänglich man für die Reize moderner ‚Woody Ambers’ ist, oder ob man eher allergisch auf sie reagiert. Lauwarme, unentschiedene Haltungen finden sich kaum, stattdessen wahlweise Anerkennung, ja Bewunderung, oder Kopfschütteln, bis hin zu brüsker Ablehnung. ‚Woody Ambers’ sind wahrlich nicht neu, aber sie haben seit einigen Jahren die Dufthoheit überall dort gewonnen, wo junge Männer zusammen kommen. All ihre Pflege-Produkte duften danach: Duschgele und Deos, ihre Parfums sowieso. Insofern sollte also eine Art Reizadaption diese süßlich-holzige Synthetik unserer Aufmerksamkeit längst entzogen haben, ganz so wie einen Hut, den man zwar trägt, aber gar nicht mehr merkt dass man ihn auf hat, da unsere Wahrnehmung den Dauerreiz nach einer Weile zu unterdrücken beginnt, um offen für Neues zu sein.
Hier knallt uns die Aromachemikalie ‚Ambrocenide’ der Firma Symrise aber mit einer Intensität in die Nase, die keine Reizadaption zulässt . Maurice Roucel hat sie in ‚Uncut Gem’ quasi in Übergröße ins Schaufenster gestellt – sie bildet den Dreh- und Angelpunkt des Duftes. Die Holzmindener Firma Symrise charakterisiert den Geruch ihres Produktes als ‚extremely powerful woody-ambery note’, deren massiver Einsatz einer ‚nuclear armament’ gleichkäme, einer atomaren Aufrüstung, so Frédéric Malle.
Da wird man hellhörig, gerade in diesen Zeiten.

Und tatsächlich detoniert hier eine Synthetikbombe sondergleich. Alles was der Duft sonst noch bereithalten mag, so wunderbare Noten, wie Magnolie, Weihrauch, Angelika, Labdanum: begraben unter nuklearem Ambrocenide-Fallout.
Mein Empfinden jedenfalls.
Andere vermögen offenbar einen prägnanten scharf-würzigen Ingwer-Auftakt, einen ledrig-rauchigen Ausklang zu erriechen, unterlegt von ordentlich Moschus – und wenn einer Moschus kann, dann Roucel: man denke nur an ‚Musc Ravageur’, an ‚Dans tes Bras’ und an die beiden ‚Helmut Lang’-Düfte, das Cologne und das EdP!
Allein, ich rieche (fast) nichts davon.

Was ich rieche, ist ein sprödes, scharf-holziges Aroma mit plastikartigen Untertönen und synthetischer Ambersüße, eine herb-grüne, ebenso unnatürlich wirkende vegetabile Note, die entfernt an Galbanum erinnert, und nach langem hineinschnuppern tatsächlich eine Ahnung von ‚French Lover’ – einen leisen Hauch magenbitterwürzige Angelika , einige kühle, rauchige Schlieren, sowie eine sterile Kunstlederfacette.
That’s it.
Zugegeben, ich gehöre zu jenen, die ab einer gewissen Intensität allergisch auf ‚Woody Amber’-Aromen reagieren. Womöglich ist das meinem Alter geschuldet. Ich bin schlicht in einem geruchlich völlig anderen Umfeld aufgewachsen und meine olfaktorische Sozialisation prägten Leder-Chpyres wie ‚Antaeus', aromatische Fougères wie ‚Azzaro pour Homme’ und selbst noch das Jahre später erschienene Dihydromyrcenol-gesättigte ‚Cool Water’. Apropos Dihydromyrcenol: damals fanden meine älteren Kollegen den Davidoff-Duft fürchterlich synthetisch, was ich gar nicht verstehen konnte. Da sie aber ebenfalls eine andere olfaktorische Sozialisation erlebt hatten, waren sie für die Reize des neuen Duftmoleküls nicht mehr empfänglich. Ich wiederum hätte zeitweise darin baden können.
Vermutlich haben sich mit den Jahren die Fronten verkehrt, und heute gehöre ich zu jenen, die mit den aktuell populären Aromachemikalien fremdeln. Das ging schon vor Jahren mit ‚Bleu de Chanel’ los, gipfelte schließlich in dem für mein Empfinden unerträglichen ‚Sauvage’, das ob seines Erfolges zahllose kaum unterscheidbare Nachkommen gebar (ganz wie seinerzeit ‚Cool Water’).
Und nun also: ‚Uncut Gem’.
Wäre der Duft von irgendeinem x-beliebigen Designer-Haus veröffentlicht worden, hätte es mich nicht weiter gewundert, zu groß ist offenbar das Bedürfnis nach immer neuen ‚Woody-Amber’-Kreationen, zu groß offenbar noch immer ihr Erfolg.
Dass ein Haus wie Frédéric Malle nun auch dieses massentaugliche Pferd reitet, ist natürlich einerseits verständlich, da man schlicht ein Stück vom Kuchen abhaben will, schon gar mit einem Estée Lauder-Konzern im Rücken, der vermutlich darauf gepocht haben wird, dass man sich dem Mainstream öffnen solle. Andererseits hat die Editions de Parfums ihr Selbstverständnis von Anfang an in einer Abgrenzung vom Massenmarkt gefunden, hat immer Wert darauf gelegt eigenständige, tragbare Duftcharaktere zu kreieren, die eher in der Tradition der französischen ‚Haute Parfumerie’ wurzeln, als im eigentlichen Nischenmarkt, der die Duft-Palette noch viel weiter, ja bis hin zur Untragbarkeit ausreizt.
In diesem Spannungsfeld, zwischen Mainstream hier und Konzept-Duft seligem Nischenmarkt dort, verortete sich das Haus Frédéric Malle viele Jahre mit einigem Erfolg und erwarb sich gerade unter Duft-Aficionados einen überaus soliden Ruf.
Dieser Ruf hat nun erste Risse bekommen. Wenn der soignierte Monsieur Malle höchstselbst im Werbeclip zu ‚Uncut Gem’ von Marlon Brando und der Welt von Elia Kazan schwärmt, die diesem Duft angeblich entfleuche, gerät diese Götteranrufung zum Versuch der Schadensbegrenzung. Abgesehen davon, dass mir diese ‚Promi-Washings’ schon immer suspekt war, zumal sich die Vereinnahmten nicht mehr dagegen verwahren können. Zugleich wird eine andere Stoßrichtung ersichtlich: wider die zeitgeistige Gender-Ambiguity, die gerade ältere Herren häufig zu überfordern scheint! ‚Uncut Gem’ als Manifest der Eindeutigkeit, das die Männlichkeit ungeniert feiert, das allem ‚Me Too’ zum Trotz sein Uncut Gem mal eben raushängen lässt.

Dieser Name!

Natürlich möchte man ein bisschen provozieren, aber dieses Provokatiönchen erinnert mich eher an pennälerhafte Witzeleien lüsterner Rentner, als an Brandos virile erotische Wucht. Auch geht der Namensgebung jegliche augenzwinkernde Flirtiness à la ‚French Lover’ ab, mag man auch scheinheilig darauf verweisen, man referiere doch eigentlich nur auf die Gegensätzlichkeit von elegant und sophisticated versus roh und ungeschliffen. Wenn dann aber zugleich ständig eine ausgebeulte Hosenfront eingeblendet wird, über der lässig eine Hand baumelt, ahnt man recht schnell, was selbige gleich umfassen wird – ‚Sticky Fingers’ von den Stones lassen grüßen! Mit seiner charmanten Frivolität ist Andy Warhols Cover allerdings näher an ‚French Lover’, als am vergleichsweise steril geratenen fotografischen Zitat (das in puncto Sterilität aber wieder gut mit ‚Uncut Gem’ korrespondiert).

Fazit: ein in meinen Augen unnötiger Versuch sich dem Massenmarkt anzudienen, auf den Malle und Roucel - Vorsicht, Treppenwitz! - scheinbar selbst keinen Bock haben, denn welche Heerscharen reicher junger Männer wollen sie denn auftun, die bereit sind 300 Euro für einen einzigen Flakon hinzublättern, wenn sie dafür drei Pullen ‚Sauvage’ haben können?

Angeblich arbeitet Tom Ford schon an einem neuen Duft: Arbeitstitel ‚Cut Gem’.
Ein Witz.
23 Antworten
Profumo vor 2 Jahren 20 18
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Flakon
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8.5
Duft
Queere Legenden, Teil 1
Hadrian und Antinous – schon wieder!
Nach Marguerite Yourcenars berühmten ‚Memoires d’Hadrien’ und Rufus Wainwrights Oper ‚Hadrian’ wird dem wohl mit Abstand berühmtesten queeren Paar der Antike auch noch dieser Duft gewidmet.
Der römische Kaiser und sein jugendliche Liebhaber, der so früh und unter mysteriösen Umständen verstarb, fortan von Hadrian zum Gott, ja sogar zum Gestirn erhoben, mit einer Stadtgründung und unzähligen Statuen geehrt – die beiden haben offenbar Konjunktur.

Ganz sicher Konjunktur haben Parfums die ‚Peau’ im Namen führen:
‚Fleur de Peau’, ‚Peau de Bête’, ‚Dans la Peau’, ‚Porter Sa Peau’, ‚Brin de Peau’ und so weiter und so fort. Dabei gab es früher schon so manches ‚Peau’: seit 1901 das fein-ledrige ‚Peau d’Espagne’ der florentinischen Marke Santa Maria Novella zum Beispiel, oder seit 1986 den animalisch-fruchtigen Chypre-Kracher ‚Parfum de Peau’ von Montana.
Doch im Unterschied zu Düften die heute ‚Peau’ im Namen führen, wurde damals der Begriff vor allem als Synonym für ‚Cuir’ verwendet, gegerbter Tierhaut also. Die menschliche Epidermis, deren geruchliche Melange uns wie eine duftende Silhouette umgibt und unseren olfaktorischen Fingerprint bildet, rückte dagegen erst in jüngere Zeit in den Fokus.

Eine heute überaus beliebte synthetische Verbindung namens ‚Cashmeran’ spielt hier eine wesentliche Rolle. Sie versucht die saubere, zarte, kindliche Haut duftend wiederzugeben: fein gecremt, Tonka-süßlich, flaumig und weich. Kombiniert mit einem dezenten Moschus-Akkord und einigen salzigen Einsprengseln, und schon sinken wir in die Arme von Frédéric Malles wunderbarem ‚Dans tes Bras’, ein Duft der körperliche Nähe vermittelt, ohne jeden Anflug von Triebhaftigkeit. Auf dieses Terrain gelangen wir schließlich, wenn zusätzlich eine Prise Cumin für einen schweißigen Akzent sorgt (wunderbar in ‚Eau d’Hermès’ in Szene gesetzt), oder ein Hauch Costus unseren Riechzellen die Vorstellung von feuchtem (Scham)Haar vermittelt – die Originalformel von ‚Kouros’ soll einiges davon enthalten haben.
Um aber aus dieser Schmuddelecke wieder herauszukommen: das von Hadrian und Antinous inspirierte ‚Peau’ von Arquiste bleibt halbwegs züchtig, die Hose nur leicht geöffnet – eine laszive Geste, mehr nicht. Vielmehr ließ sich das Duo Huber und Flores-Roux, von einer ganz speziellen Haut leiten, der Marmorhaut antiker Statuen. Eine Haut, die es so natürlich gar nicht gibt, weshalb ‚steinerne Oberfläche’ der passendere Ausdruck wäre. Bei manchen Statuen ist sie aber doch derart kunstvoll bearbeitet und erreicht eine Transparenz, dass man beinahe meinen könnte, darunter pulsiere dennoch Leben, ja als könne man einem inwendigen Muskelspiel folgen.

Eine solche Scheinhaut riecht natürlich nicht, oder wenn, dann bestenfalls mineralisch oder staubig, aber diese in Stein gebannte Lebendigkeit lässt zumindest die Illusion aufkeimen, sie röche vielleicht doch. Und genau hier setzt ‚Peau’ an: der Duft bleibt in der Schwebe zwischen kühler, glatt-polierter Marmorhaut und echter, lebendig warmer. Ein idealisierter Hautduft gewissermaßen, der olfaktorische Umriss seines zu hellem Marmor erstarrten Geliebten, oder wie Arquiste sagt: „Paying tribute to the beloved, like Hadrian did Antinoös, this fragrance captures the memory of skin, conjuring intimacy and closeness, and living in our hearts and minds as an idealized scent.“

Marketing-Geschwurbel?
Mag sein.

Vermutlich wird eher umgekehrt ein Schuh daraus: nicht der Kaiser nebst seinem Jüngling standen Pate für ‚Peau’, sondern schlicht die Tatsache, dass das Thema ‚Haut’ im eigenen Portfolio noch nicht ganz ausgereizt war. Mit ‚Sydney Rock Pool’ bog man zwar schon einmal auf diesen Pfad, aber der Duft bespielte eher das Bild einer Pool-Szenerie unter der gleißenden Sonne Australiens, die zwar viel Haut bietet, aber null Intimität. Und gibt es Intimeres, als den Duft von Haut?!
Vielleicht schwebte den Verantwortlichen daher eine Art ‚Dans Tes Bras’ im Arquiste-Outfit vor. Da man die eigenen Kreationen jedoch nicht einfach so im Abstrakten schweben lässt, musste ein konkretes Datum, ein plausibles Setting her, et voilà: ‚AD 134, Villa Adriana, Tivoli, Italy’’, Hadrians Sommer- und Altersresidenz, in der die vielleicht bekannteste Antinous-Statue, die man heute im Louvre bestaunen kann, ursprünglich stand.

Der Ort ist gut gewählt. Überhaupt beweist das Arquiste-Team einiges Geschick darin bildreiche Kulissen zu entrollen, die hinter ihren Kreationen wie kurze Filmsequenzen aufflimmern, von ‚Peau’ mit trocken-würzigen, pudrig-mineralischen und hell-holzigen Akkorden duftend übersetzt, bei denen es hintergründig ganz dezent menschelt. Da der Parfümeur beim Schweizer Duftstoffhersteller Givaudan unter Vertrag steht, liegt es auf der Hand, dass hier einige Givaudan-typische Riechstoffe zum Einsatz kommen, allen voran ‚Ambrofix’ (aka ‚Ambroxan’), ehemals ‚Ambroxide’, ein in den 50er Jahren eingeführter synthetischer Ersatz für die unendlich teure und extrem seltene ‚Graue Ambra’. Daneben auch ‚Ambermax’, ein Amber-artiges Molekül mit Facetten von Zedernholz und Iris, sowie ‚Okoumal’, ebenfalls ein Amber-Duftstoff mit holzigen Akzenten und Tabak-Nuancen.
Flores-Roux kombiniert nun den synthetischen Ambra-Ersatz mit einem Hauch Moschus, sowie der komplexen Würze des Muskatellersalbeis (dessen Inhaltstoff ‚Sclareol’ wiederum Ausgangsstoff für ‚Ambrofix’ ist) und mag sich damit zwar ein wenig dem breitgefächerte Duft-Kaleidoskop der natürlichen Ambra nähern, holt sie aber vor allem an Land, raus aus dem Meer. Bei allem Ambroxan-Einsatz ist ‚Peau’ nämlich kein aquatischer, kein ‚blauer’ Duft, obwohl das Meer da ist, man ahnt es, sondern vielmehr von heller, beiger Tönung

Eine Prise Pfeffer und einige trocken-würzige Koriandersamen verstetigen diese (Haut)Tönung, die ihrerseits vom warmen Sound der harzigen Amber-Basis – zum Glück ohne die allseits so beliebte Vanille- und Tonka-Süße! – gerahmt wird.

Nach mehrmaligem Tragen kann ich sagen, dass ‚Peau’ ein wirklich angenehmer Begleiter ist. Nicht zu offensiv, aber auch kein sogenannter ‚Skin-Scent’ (was der Name ‚Peau’ fast vermuten ließe). Nein, ‚Peau’ entwickelt tatsächlich eine bemerkenswerte Projektion und Duftschleppe, selbst bei geringer Dosierung.

Was mir ebenfalls an ‚Peau’ gefällt, ist das Changieren zwischen Klassik, für die der Ambra-Akkord steht (bzw. die Bildnisse Hadrians und Antinous’), und Moderne, die sich in der sogenannten ‚Woody-Amber’-Basis wiederspiegelt, bzw. in uns, die wir diese ‚Woody-Amber’-basierten Düfte tragen und zugleich vor diesen antiken Statuen stehen, deren vor vielen Jahrhunderten bearbeiteter Marmor imaginäre Duftschlieren auszusenden scheint: Schlieren von trockener Erde, alten Schriften, poliertem Stein, von Küste und Meer, und der Idee von zuvor balsamierter, nun mumienhaft pergamentartiger Haut.

Einem schnöden gläsernen Flakon kann ein solcher altertümlich-moderner Duftkosmos natürlich nicht entsteigen, da braucht’s schon eine Art zeitgenössischer Amphore, zu welcher das schwarz eingefärbte Behältnis, ziseliert mit Umrissen dürftig gewandeter Römer nach Art einer antiken Vase, vor allem durch seine aufgeraute Oberfläche tatsächlich ein wenig mutiert.

Auch Sappho, eine weitere queere Legende des Altertums, wurde ja schon mit einem Duftgemälde geehrt, ebenso Chritopher Marlowe, um mal etwas in die Neuzeit vorzudringen.
Und wie wär's demnächst mit Fritz und Katte?
Mit Gertrude und Alice?
Ich wär’ dabei!
18 Antworten
Profumo vor 2 Jahren 17 19
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Flakon
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Duft
Noblesse perdue
Fiel das alte „Eau Noble“ von Paul Vacher 1972, zur Zeit seiner Einführung, schon nicht durch Innovationsfreude auf, punktete es doch mit Raffiniertheit und einer duftenden Noblesse, die einer Traditionslinie klassischer Eau de Colognes wie Guerlains „Eau de Cologne Impériale“ und „Eau de Cologne du Coq“, sowie deren Weiterentwicklung zu frischen, leicht aromatisierten Chypres wie Givenchys „Monsieur“, Chanels „Pour Monsieur“, Diors „Eau Fraiche“ und „Eau Sauvage“ verpflichtet blieb.

Dass man damals diesem altgedienten Genre durchaus einen modernen Anstrich zu geben vermochte, zeigen exemplarisch Düfte wie Yves-Saint Laurents „Pour Homme“ ein Jahr zuvor und Loewes „Para Hombre“ zwei Jahre später. „Eau Noble“ hielt sich dagegen vornehm zurück: kein animalisches Gemüffel, keine plakativ herben Aromen, nein, die pure Kultiviertheit. Angesichts der freudigen Experimentierlust dieses Jahrzehnts, des alles in Frage Stellens und stürmischen Vorwärtsdrängens, bot Le Galion mit „Eau Noble“ doch ziemlich verschnarchte, wenn auch sublime Duftkunst.

50 Jahre später spürte man im mittlerweile wiedererstandene Hause Le Galion offenbar das Bedürfnis diese vermeintliche Scharte mangelnder Innovationslust endlich auszuwetzen und präsentiert uns nun eine rundum modernisierte Fassung, für die der renommierte Parfümeur Rodrigo Flores-Roux zeichnet, der das Portfolio des Hauses schon mit so hervorragenden Beiträgen wie „Cologne“, „Cologne Nocturne“, „Bourrasque“, „L’Âme Perdue“ und „Jasmin“ bereicherte.
Folgende Worte finden die heutigen Le Galion-Verantwortlichen dabei für die Arbeit von Paul Vacher:

„Anfang der 70er Jahre verändert sich die Welt, die Gegenkultur wird gefeiert, das Parfüm wird zugänglicher. Ein frischer Wind weht über Frankreich und in die Parfümerie. Die traditionelle Formalität weicht einer jugendlichen Energie, und überholte bürgerliche Vorstellungen werden von jungen, freiheitshungrigen Studenten über Bord geworfen.
Eau Noble verkörpert diese beiden Mentalitäten. Der Name selbst verweist auf ein prestigeträchtiges Erbe, während der Unisex-Duft eine strahlende Zukunft ankündigt. Ein kühnes Erbe.
Ein Parfum, das heute noch so relevant ist wie gestern.“

Ziemlicher Kokolores, finde ich. Wenn es heute noch so relevant ist, wie gestern, wozu dann dieses Update?

Dazu Flores-Roux:

"Bei der Überarbeitung von Eau Noble wollte ich die Energie und den Schwung des Lebens einfangen, die die frühen 70er Jahre auszeichneten. Die Woge intensiver, moderner holziger Noten erinnert an Bewegung und Vorwärtsdrang. Um diese Noten zu akzentuieren, habe ich versucht, einen elektrisierenden und fluoreszierenden 'Technicolor'-Erdbeer-Rhabarberakkord zu kreieren. Patchouli, Zedernholz und Zypresse verleihen dem Duft Tiefe und Eleganz, während Mastixharz, Kiefer und Labdanum die Sinnlichkeit der damaligen Zeit angemessen widerspiegeln.“

Hm, nun ja.
Ehrlich gesagt empfinde ich das Resultat etwas anders, und um es auf einen Nenner zu bringen: mir präsentiert sich der Duft in erster Linie als modernistisches Remake einer wirklich zukunftsweisenden 70er Jahre-Ikone, nämlich „Azzaro pour Homme“.
Nicht, dass die beiden Düfte besonders ähnlich wären, nein, aber irgendwie drängte sich mir Idee auf, als habe man ausgerechnet diesen Klassiker des Fougère-Genres zum Ausgangspunkt für das neue Eau-Noble-Duftkonzept gewählt: man tausche einfach den aromatischen Komplex des Azzaro-Duftes gegen einen modernen sauer-fruchtigen Rhabarber-Akkord aus, akzentuiere die grünen und holzigen Facetten mit einem zeittypischeren Make-Up und dimme die Fougère-Anteile etwas – et voilà, das neue „Eau Noble“ ist gar nicht so weit entfernt!

Was das mit dem alten „Eau Noble“ zu tun hat?
Gar nichts.
Das neue „Eau Noble“ bemüht sich nicht einmal, das alte zu zitieren und erinnert mich aus diesem Grunde auch an eine andere ‚Wiedergeburt’, die von „Patou pour Homme“.
Beide Neu-Erschaffungen gleichen Namens sind per se nicht schlecht, erreichen aber weder die Grandeur des einen, noch die Noblesse des anderen. Im Gegenteil: beim Versuch einer zeitgemäßen Neu-Interpretation ist man, gewollt oder ungewollt, der Gewöhnlichkeit und Seichtheit anheim gefallen, Begriffe, die sich für die Original-Werke schlicht verbieten.

Vielleicht bin ich mittlerweile aber auch zu alt, hänge zu sehr an den alten Schlachtrössern, als dass ich sie abgetakelt und in hippem Fummel ertragen könnte.
Warum gibt man diesen ‚Wiedergeburten’ nicht einfach andere Namen?
Das neue „Eau Noble“ ist nämlich überhaupt nicht ‚nobel’, das alte dagegen schon, und wie! Ebenso die überaus geglückte Parfum-Version „Essence Noble“. Aber das neue „Eau Noble“ – nada. Die Noblesse ist perdu, und zwar restlos.
Meine nicht nur olfaktorisch, sondern auch musikalisch und architektonisch überaus geschätzten 70er Jahre vertritt er obendrein ebensowenig wie Diors „Sauvage“ den Geist und die Raffiniertheit der 60er Jahre-Ikone „Eau Sauvage“ aufzugreifen vermag (noch so ein desaströser Namens-Klau!).

Eines aber muss ich zugeben: auch wenn ich Rhabarber schon überzeugender duftend gerochen habe („Rhubarb my Love“ von The Zoo und „Sept.21.1966“ von Rundholz!) – der Flakon ist schlichtweg genial! Pierre Dinand hat ihn erneut entworfen und dabei eine schöne Interpretation seines vor einem halben Jahrhundert entstandenen Werkes geschaffen – Bravo!!
Vielleicht sollte man besser das alte „Eau Noble“ nebst seiner Parfum-Version in dieses Schmuckstück packen und dem neuen „Eau Noble“ einen Reset unter anderem Namen gönnen, meinetwegen in die zylindrischen Flakons der gesamten Le Galion-Reihe abgefüllt, die sind doch auch ganz nett.
Wär’ das nicht eine Idee, Monsieur Chabot?

19 Antworten
Profumo vor 2 Jahren 49 20
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Duft
The real thing!
Wenige Parfumhersteller liefern seit nunmehr einigen Jahren konstant so qualitätvolle Arbeiten ab, wie die kleine Manufaktur ‚Les Indémodables’ aus dem beschaulichen Alpenstädtchen Annecy im Departement Haute-Savoie in der Region Auvergne-Rhône-Alpes. Nicht nur, dass man hier auf überzeugende Konzepte Wert legt, nein, auch die Reifung (Maturation) und die heute nur noch selten angewandte Methode der Mazeration, das Lösen der Duftbestandteil in Fett oder Öl, wird hier regelrecht zelebriert.
Dass man einen solchen sorgfältigen, die Güte der Ingredienzen würdigenden Umgang gewählt hat, ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit – und das riecht man!
Einem Teil der Kollektion, besonders den frühen Werken für deren Komposition Florence Fouillet Dubois genannt wird, hat man zudem eine Art lokalen Fingerprint mitgegeben: Estragon und Salbei aus den umliegenden Alpen, aus denen auch das Öl der Fichtennadeln stammt.
Ebenso charakteristisch ist bei einigen Düften die extreme Dosierung eines Duft-Öles, was zu einer Art Zurschaustellung eines bestimmten Protagonisten führt, der zwar das Ensemble dominiert, aber von den übrigen Mitwirkenden auf Händen getragen wird: 15% Tuberose im Duft-Öl-Anteil von „Fougère Emeraude“, 10% Osmanthus in „Cuir de Chine“, 10% Tarocco Orangen-Öl in „Chypre Azural“, und nun: 10% natürliche Graue Ambra in „Ambre Suprême“!

10%, das ist unglaublich!

Normalerweise ist in 99% aller Düfte, die Ambregris (häufig auch Ambergris, oder Ambre Gris) als Zutat ausweisen, gar kein Ambregris enthalten, sondern der synthetische Ersatzstoff Ambroxan (auch Cetalox, oder Ambrofix), denn echtes, natürliches Ambregris wird selten an Land gespült und ist extrem teuer. Erst vor ein paar Jahren haben jemenitische Fischer einen riesigen, 127 kg schweren Brocken Graue Ambra gefunden, der sie schlagartig jeglicher Geldsorgen enthob.
Als der Walfang aber noch in großem Umfang betrieben wurde, war die Lage etwas anders, da wurde die Substanz zeitweise sogar in Zigaretten, in Räucherstäbchen und Haarpulvern verwendet.
Heute, da man Pottwale glücklicherweise weitgehend ungeschoren davon kommen lässt und seit den 50er Jahren auch ein teilweise synthetischer Ersatz des komplexen Duftgefüges existiert, ist die Graue Ambra wieder zu dem geworden, was sie vor Beginn des exzessiven Walfangs war: ein Luxusgut, das gefunden werden will. So wird echte Graue Ambra heute fast nur noch von Natur-Labels verwendet, also solchen, die ausschließlich mit natürlichen Ingredienzen arbeiten. Bei ihnen ist die Graue Ambra zwar sehr geschätzt und begehrt, nicht minder aber auch gefürchtet, schlicht der immensen Kosten wegen, die deren Anschaffung verschlingt.

Annette Neuffer fragte ich mal, was für sie der Unterschied von echter Grauer Ambra und Ambroxan ist, und sie gab mir zur Antwort, dass das allgegenwärtige Ambroxan mit der komplexen Magie des natürlichen Produktes soviel gemein hat, wie ein digitaler Sampletrack mit dem Symphonieorchester“ (A. Neuffer).
Auch berichtete sie, dass Besucher ihres Labors die einen Duft einmal mit und einmal ohne Graue Ambra testeten, sich immer für Fassung mit Ambra entschieden, wobei eine Testperson einmal nach ihren Worten treffend bemerkte, dass die Ambra den Duft ‚kreatürlicher’ mache. „Salopp gesagt“, so Annette Neuffer, sei die Ambra „ein im Hintergrund wirkender, aber effektiver, das Unterbewusste ansprechender Strippenzieher“.
Die charakteristischen geruchlichen Eigenschaften von Grauer Ambra beschrieb die Parfümeurin schließlich mit „leicht animalisch, trocken, süßlich, Tabak, Meeresufer, Seealgen, antike Bücher, warme Haut, frischer Schweiß, leicht salzig“

Bingo!

Wer an „Ambre Suprême“ schnuppert wird exakt mit diesem duftenden Kaleidoskop konfrontiert.
Doch zunächst wölbt sich ein strahlender, den Duft weitender Aldehyd-Komplex über dem Auftakt, wie der Himmel über den unendlichen Weiten des Meeres, auf dem unüberriechbar ein dicker Brocken Graue Ambra dümpelt. In „Ambre Suprême“ ist sie definitiv kein im Hintergrund wirkender Strippenzieher, sondern wird von Antoine Lie sehr bewusst an die Rampe befördert – sie soll strahlen, und das weitgehend alleine. Alles was sich an floralen und würzigen Noten zur komplexen Ambra-Magie gesellt (unter anderem Muskatellersalbei, aus dessen Inhaltstoff Sclareol früher Ambroxan gewonnen wurde), akzentuiert bestenfalls die vielfältigen geruchlichen Facetten des Naturstoffes, ohne diesem auch nur eine Sekunde den Rang abzulaufen.
Sicher, der Aldehyd-Komplex zu Beginn ist schon enorm – das muss man mögen! Unwillkürlich kommen Assoziationen zu alten Chanel-Düften auf, insbesondere No 5. Was sich aber im mittleren Duftverlauf abspielt, geht aller floralen Anteile zum Trotz, in eine ganz andere Richtung: Mitsouko!
Nicht, dass sich „Ambre Suprême“ an die Duft-Sprache des Guerlain-Duftes anlehnen würde, nein, das tut er nicht. So fehlt das berühmte Pfirsich-Aldehyd C-14 und auch die tiefdunkle, satte Chypre-Basis, aber es ist diese komplexe Aromen-Vielfalt, dieser Kontrastreichtum, diese Aura, die mich an den 100 Jahre älteren Guerlain-Klassiker denken lässt. In gewisser Weise paraphrasiert ihn „Ambre Suprême“: Aldehyde sind da, aber andere, eine fruchtiger Akzent ebenfalls, der aber schwer zu fassen ist (Neroli? Die Ambra?), Jasmin findet sich tatsächlich in beiden Düften, in der Basis desgleichen Eichenmoos, das im Zusammenspiel mit dezent verwendetem Patchouli und einer leise und gezähmt aufscheinenden Immortelle einen zeittypischen Chypre-Sound kreiert.

Interessanterweise scheint die Graue Ambra seit einiger Zeit Konjunktur zu haben. Und ich meine nicht die seit Jahren inflationäre Verwendung des synthetischen Ersatzstoffes in allen möglichen Duftkonzepten, sondern ich meine das erkennbare Bemühen sich (auch mittels der Ersatzstoffe) an das originale Duftprofil der Ambra millimeterweise heran zu robben, indem die fehlenden Teile des komplexen Profils je nach Schwerpunktsetzung des Duftes ergänzt werden: Arquistes „Peau“ beispielsweise arbeitet so die warmen Haut-Töne heraus und untertitelt den Duft mit den Worten: „An idealized, skin-like ambergris“. Masque Milanos neuestes Werk „White Whale“ wartet ebenfalls mit einem zentralen Ambra-Akkord auf, den Christian Alori anhand von natürlicher Ambra, die ihm als „Target“ diente, nachgebaut hat, wie er freimütig erklärt.
Dass beide Düfte natürlich nur Annäherungswerte an echte Graue Ambra erzielen, kann man an „Ambre Suprême“ studieren: hier wirkt die ganze Komplexität wie aus einem Guss, der Ambra-Akkord in sich ruhend und stabil, allem Kontrastreichtum zum Trotz. Nicht, dass die Akkorde in „White Whale“ und „Peau“ nicht auch überzeugen würden, aber das hier ist wirklich ‚the real thing’!

Noch nie habe ich die Graue Ambra deutlicher und strahlender erlebt. Beim alten „Dioressence“ von früher dachte ich immer, ich habe sie geruchlich erfasst, bevor sie mir vor lauter Beinoten entschwunden ist. Hier verströmt sie sich unverstellt und in voller Glorie.
Um diesen Duft genießen zu können, ist daher nicht nur eine gewisse Toleranz gegenüber dem weiten Facetten-Spektrum der Ambra vonnöten, sondern vielmehr die Bereitschaft und Lust sich tief einatmend in ihm zu verlieren. Wer ihm aber gleichgültig, oder ob seiner animalischen Facetten sogar ablehnend gegenüber steht, der (oder die!) wird keine rechte Freude an ihm haben.

Ich habe eine Riesenfreude an ihm!
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Profumo vor 3 Jahren 31 12
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Duft
Nürburgring, 28. Juli 1935...
Diese Kombination von Benzin- und Oudnoten habe ich schon mal gerochen.
Kurz nachdem ich ‚Nuvolari’ zum ersten Mal aufgesprüht hatte wusste ich auch wo: bei Kilian’s ‚Pure Oud’. Leider habe ich die Probe des Kilian-Duftes nicht mehr (wäre vermutlich ohnehin zu alt), sodass ein Direktvergleich nicht mehr möglich ist, aber ich erinnere mich, dass er in meiner Phantasie ein ähnliches Bild erzeugte. Damals sah ich Sean Connery als ölverschmierten Mechaniker mit einem Whisky in der Hand.
Nun, im Falle von ‚Nuvolari’ lasse ich den Whisky mal weg, und es muss auch nicht mehr zwingend Sean Connery sein, aber die ölverschmierte Kluft eines Automechanikers kommt schon hin.
Oder sagen wir eher: das Setting während eines Boxenstopps, wenn wuselnde Mechaniker in Windeseile die Reifen eines heiß gelaufenen Rennwagens wechseln.
Nicht dass ich einen solchen schon in echt erlebt hätte, nein, aber eine Vorstellung von dieser speziellen geruchlichen Situation vermag mir der Duft glaubhaft zu vermitteln: Öl- und Benzindämpfe, glühend heißes Metall, schmorender Gummi, und anno 1935 (das Jahr, in dem der „Fliegende Mantuaner“, Tazio Nuvolari, den ‚Großen Preis von Deutschland’ auf dem Nürburgring gewann) vermutlich auch noch schweißfeuchtes Leder.

Eigentlich interessieren mich Autorennen nicht die Bohne, ganz im Gegenteil: ich wüsste kaum eine Sportart, die ich blöder fände. Als leidenschaftlicher Fahrrad- und bei Bedarf Zugfahrer, der aus Überzeugung nie einen Führerschein gemacht hat, bringe ich sowas von überhaupt kein Verständnis für dieses Boliden-Gerase und Geröhre auf, dass ich einen Duft, der sich diesem Unsinn olfaktorisch zu nähern versucht eigentlich ebenso missachten sollte.
Aber weit gefehlt, ich kann es nicht: ‚Nuvolari’ riecht einfach zu gut!

Allein dieser Auftakt! Dieses voluminös-dunkle Aufblühen ledriger, öliger, rauchiger und dezent animalischer Facetten, durchzogen von frischen, pfeffrig-aromatischen Schlieren – das ist schlicht umwerfend und erinnerte mich irgendwie an den Moment, als ich zum ersten Mal ‚Tabac Blond’ von Caron roch. Dabei sind die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Düften überschaubar. Aber es ist diese Aura die ich hier wiederfinde, dieser ledrig-rauchige Triumph, dieses satte Volumen.

Cristiano Canali ist einfach ein Magier.
Abgesehen von Antonio Gardonis Kreationen, sind es seine, die ich seit langem am ungeduldigsten erwarte.
Als ich dann vor kurzem in einer auf der letzten Pitti Fragranze gedrehten Filmsequenz sah, dass das kleine aus Mantua stammende Duftlabel Rubini nach Jahren wieder einen neuen Duft lanciert hat, und dieser wie zuvor die beiden anderen aus der Feder von Canali stammt, gab´s kein Zögern mehr – er musste her, einfach so und ungetestet, denn enttäuschen kann Canali mich nicht, ebenso wenig Gardoni.
Und er tat es auch nicht.

‚Nuvolari’ mag vielleicht nicht so innovativ sein wie ‚Fundamental’, nicht so gewagt und polarisierend wie ‚Tambour Sacré’, aber der Duft ist auf dem gleichen hohen künstlerischen Niveau. Gut, in Sachen Leder, Rauch und Oud sind wir in den letzten Jahren wahrlich ausreichend versorgt worden, aber die Kombination mit metallischen Noten, mit Benzin, Maschinenöl und Teer ist schon eigenwillig. Ähnlich eigenwillig wie beispielsweise ‚Type Writer’ von Parfumerie Particulière, an den mich ‚Nuvolari’ ebenso erinnert, nur dass der Rubini-Duft immer ein Parfum bleibt, während es ‚Type Writer’ erst in der Basis wird. Vorher ist er für mich eigentlich ein nur bedingt tragbarer Industrie-Geruch.
Auch an Montales ‚Aoud Cuir d’Arabie’ erinnert ‚Nuvolari’ entfernt, allerdings allein die Inszenierung des Oud betreffend, das hier ähnlich rauchig-ledrig duftet, zum Glück aber nur subkutan animalisch pulsiert, während es mir bei Montale regelrecht in die Magengrube schlägt.
Canali vermag es zwar halbwegs zu zähmen, lässt es aber dennoch von der Leine. Und so bildet es einerseits den Dreh- und Angelpunkt des olfaktorischen Geschehens, drängt sich aber glücklicherweise nicht über Gebühr in den Vordergrund, reiht sich ein, lässt auch andere glänzen. Die Inspiration zu diesem Duft betreffend – die Rennfahrerlegende Tazio Nuvolari und sein Triumph auf dem Nürburgring, mit einem Alfa Romeo, der den deutschen Silberpfeilen eigentlich hoffnungslos unterlegen war – in diesem Kontext findet die komplexe Geruchspalette des Räucherholzes ein wirklich überzeugendes Umfeld.

Wie eine Spinne im Netz verortet Canali das Oud in seiner Formel, lässt dem Netz aber nicht weniger Bedeutung zukommen. Oder anders gesagt: das Oud steht gewissermaßen für den Motor des Alfa Romeo. Doch da ist ebenso das Metall der Chassis, das Leder der Sitze, die Gummireifen auf dem Asphalt, der schneidend scharfe Fahrtwind – all das ist ‚Nuvolari’.
Dem Parfümeur sei Dank, bleibt das passenderweise auch ‚Extrait de Course’ genannte Werk bei dieser Erzählung, und biegt in der Basis nicht in Richtung einer versöhnlich stimmenden balsamisch-soften, süß-orientalischen Melange ab. Nein, auch wenn hier ein weiterer Angstgegner meinerseits (neben dem Oud) auftaucht, muss ich zugeben, auch der hat hier nicht minder seine Daseinsberechtigung: Ambroxan.

Übernimmt das Oud den Part des Motors, kommt dem Ambroxan die Aufgabe des Schmieröls zu: es hält den Laden am laufen, lässt die Energien fließen und emulgiert die widerstrebenden Bestandteile. Dass ledrig-rauchige Nuancen und Ambroxan wunderbar kombinierbar sind, konnte ich kürzlich schon bei Piguets ‚Bandit Suprême’ erleben, und nun also hier. Der Ambra-Ersatz aus dem Labor lässt die Noten tatsächlich erblühen, nimmt ihnen das übermäßig Harsche, Kantige, ohne es völlig zu verwischen. Auch stört mich hier die so typische, leicht synthetische Süße dieses Moleküls, die ich sonst immer unangenehm finde, überhaupt nicht. Nein, das ist irgendwie schon alles richtig so, das soll so sein!

Apropos typisch:
Typisch für das Rubini-Design sind ja auch die beiden schablonenartigen Schalen, die den Flakon zwar schützen, aber nicht völlig umschließen. Sind sie bei Fundamental aus einem hellen Gips-ähnlichen Material, bei ‚Tambour Sacré’ aus dunklem Holz, wurde für ‚Nuvolari’ eine anthrazitfarbene Asphaltschale gewählt, zusammengehalten von einem breiten, an einen Keilriemen erinnerndes Gummiband. Auch hier also, alles wunderbar stringent durchdacht, ausgearbeitet und überzeugend umgesetzt.

In seiner Antwort-Mail schrieb mir der Inhaber von Rubini, Andrea Rubini:

„Since 2015, Rubini channels my passion with a daring vision for high perfumery and genuine research with no fears for new paths, working only with the best raw materials and without time pressures.
My friend, the perfumer Cristiano Canali, is helping me to realize the dream.“

Ich finde, diesen Anspruch setzen die beiden absolut überzeugend um.

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