Salmix
Salmix’ Blog
vor 4 Jahren - 09.10.2020
7 14

Parfum und Kontext

Obwohl ich es eigentlich unterlassen wollte, habe ich es mal wieder getan: einen Blindkauf getätigt. Der Duft hatte mich schon lange interessiert, Proben waren nicht zu haben und nun habe ich erfahren, dass seine Produktion bereits eingestellt wurde. Regulär war er kaum noch zu erstehen und dann begegnete er mir in einem Ausverkauf. Also zog er ein - und nun steht er da, seit zwei Tagen, bislang ungetestet. Ich warte auf den "richtigen Moment", damit er seine Chance bekommt, mir tatsächlich zu gefallen. Nur mal so "zwischen Tür und Angel" testen wäre da falsch.

Das erinnerte mich an einen Forumseintrag, den ich vor fast zwei Jahren geschrieben habe, und veranlasste mich, ihn wieder hervorzukramen und in nur leicht abgewandelter Form als Blogeintrag zu veröffentlichen. Allen, die damals über den Forumseintrag gestolpert sein sollten, meine Entschuldigung fürs Wiederaufwärmen. Nun gut, das habe ich also damals geschrieben:

"In der konstruktivistischen Perspektive auf die Welt ist keine Erfahrung, die wir machen (außer den allerfrühesten), rein, pur oder „unverfälscht“, sondern notwendigerweise eingefügt in Schablonen, die sich zum Teil aus den Begleitumständen des Erlebten ergeben, zum großen Teil aber auch aus unseren vorangegangenen Erfahrungen, Interpretationen und Typisierungen. Dies gilt in besonderem Maße auch für Düfte.

Zum einen erleben wir Parfum selbstverständlich häufig unter dem Eindruck eines bewusst und absichtlich geschaffenen Kontextes, der über Namensgebung, Flakon- und Verpackungsgestaltung, Hintergrundgeschichte und Duftnotenpyramide beeinflussen soll, wie wir den zu vermarktenden Duft wahrnehmen. Ich würde niemals behaupten, dass ich mich von einer gewissen Beeinflussung insbesondere durch das Flakondesign ganz freisprechen könnte. Dieses entscheidet mitunter schon darüber, auf welche Düfte ich überhaupt aufmerksam werde. Finde ich die Präsentation scheußlich, bin ich wohl mehr oder weniger unterbewusst auch weniger geneigt, den Duft zu mögen. Dennoch habe ich natürlich Düfte lieben gelernt und mir zugelegt, deren Darbietung ich nicht mag. Und noch viel häufiger gefallen mir Düfte nicht, deren Verpackungen mich angesprochen hatten. Da entscheiden letztlich schon die Duftqualitäten. Doch diese bewusst geschaffenen Eindrücke sind es nicht, um die es mir hier geht. Ihnen können wir uns schließlich mehr oder weniger gut entziehen, am weitesten mit der Methode des „Blindtests“. Darum ist dieses Format so interessant.

Wirklich „objektiv“ ist die Duftwahrnehmung unter Ausblendung der Marketing-Frames allerdings dennoch nicht, da wir Parfum zum anderen unter 1. dem Eindruck unserer subjektiven vorangegangenen Erfahrungen und zusätzlich unter 2. dem Eindruck der akuten, situativen Umstände des ersten Aufeinandertreffens erleben.

Ein anschauliches Beispiel für ersteres Phänomen liefern, als beliebiges Beispiel herausgegriffen, die Kommentare und Statements zum Chypre-Duft „Dryad“ von Papillon. Wo die einen, die mutmaßlich noch in den 1960er- und -70er-Jahren großgeworden sind, mal mehr, mal weniger wohlwollend an Oma und Opa denken müssen, fühlen sich die anderen vielmehr in einen Zauberwald versetzt, in dem Nymphen und Faune zwischen Farnen im Unterholz tanzen. Duftwahrnehmung ist somit bekanntermaßen oft hochgradig subjektiv. Doch auch diese Assoziationen aufgrund persönlicher Erfahrungen und Vorstellungen sind es nicht, was ich hier behandeln will.

Vielmehr führt mich das zweite angesprochene Phänomen - die Bedeutung der akuten, situativen Umstände des Kennenlernens bzw. der ersten Begegnung mit einem Duft - zu meinem aktuellen „Dilemma“ (bitte ganz dicke Anführungszeichen denken) bzw. - neutraler - zu meiner Beobachtung, welche Hauptgegenstand dieses Textes sein soll.

Ich habe mich in den vergangenen Tagen – neugierig gemacht eben über Namensgebung, Flakongestaltung und Duftpyramiden – zu zwei Blindkäufen hinreißen lassen. Weihnachtsgeld und der Verkauf anderer Flakons haben es möglich gemacht. Die Düfte sind mittlerweile eingetroffen. Doch nun „traue" ich mich nicht, sie zu testen. Das Wetter ist usselig, es ist dunkel, das macht mich ein wenig antriebsschwach, melancholisch und müde. Unter diesen Umständen möchte ich mich den neuen Düften noch nicht nähern.

Ich habe nämlich die Erfahrung gemacht, dass die Rahmenbedingungen des ersten Aufeinandertreffens mit einem Duft mit entscheidend sind für Gefallen oder Nichtgefallen. Und damit komme ich auch wieder zu den Nachteilen eines Blindtests. Einerseits kann uns ein Duft in einem schlichten Probenröhrchen unabhängig von den eigentlichen Duftqualitäten nicht „vorgaukeln“, besonders raffiniert, exotisch, exklusiv, verführerisch, maskulin, feminin oder was auch immer so versprochen wird zu sein. Andererseits bekommt er, getestet als einer unter vielen, entnommen aus einer Grabbelkiste und beherbergt in einem Zerstäuber mit womöglich zerlaufener und angegilbter Beschriftung, daheim auf dem Sofa, vielleicht gemütlich im Jogginganzug, nicht die Bühne bzw. genauer noch: "Kulisse", die er braucht, um sein volles Potential zu entfalten. Ganz zu schweigen bei schlechtem Wetter und ungünstiger Jahreszeit.

Wenn ich auch eigentlich lieber zuhause in Ruhe als in einer Parfümerie Düfte teste, ist meiner Erfahrung nach die Chance, dass ich mich in einen mir bislang unbekannten Duft verliebe, größer nach dem Besuch einer geschmack- oder einfach liebevoll gestalteten Parfümerie an einem Ort, an dem ich mich auf Reisen befinde, bei gutem Wetter, klarer Luft und in der sich daraus ergebenden beschwingten, optimistischen und generell aufgeräumten Stimmung als daheim auf der Couch oder vorm Computer beim Test schmuckloser Probenröhrchen. Selbstverständlich können so auch Fehlkäufe entstehen, da sich für den neuen Duft, der in der fremden Stadt so spannend und reizvoll erschien, zuhause keine Tragemöglichkeiten mehr finden lassen. Ich will nur sagen: ein Duft, der mir an sich zusagt, hat bessere Chancen besonders gut in Erinnerung zu bleiben, wenn mich sein Testsprüher auf der Hand in einer spannenden Stadt bei gutem Wetter durch Parks, Museen und Cafés begleitet als nur zuhause von der Küche ins Schlafzimmer an einem trüben Tag.

Auch wenn manche Parfums komplett für sich stehen und nicht anders können als zu überzeugen, ist es in anderen Fällen dann doch häufig so, dass die Umstände des ersten Eindrucks mit entscheidend sind. Ich gehe sicher davon aus, dass ich ein paar Düfte, die gut zu mir hätten passen können, getestet und weggelegt und wieder vergessen habe, weil die Kennenlernsituation nicht "optimal" war - und umgekehrt, dass ich mir einige wunderbare Düfte zugelegt habe, nur weil ich sie in einer vorteilhaften Stimmung kennengelernt habe (Stichwort Kauflaune), die mir als unscheinbare Probe vielleicht nicht weiter aufgefallen wären.

Die aktuellen Kandidaten sind noch nicht einmal (Blind-)Proben, sondern kommen in ihren Originalflakons. Dennoch warte ich mit dem ersten Test meiner neuen Düfte also noch ein wenig, bis mir die Umstände vorteilhafter erscheinen. Ich möchte sie schließlich mögen.

Kennt Ihr das auch?"

Und in etwa so geht es mir nun wieder mit dem aktuellen Blindkauf. Ich möchte ihn mögen. Nun ja, wenn das nichts wird, kommt er halt in den Souk...

Foto hinzufügen




7 Antworten