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StenLaurels Blog
vor 2 Monaten - 05.03.2024
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Von Maikäfern, Bohnengas und 4711

Wir sind in Frankreich. Sommerferien. Sechs Wochen. Sechs Wochen Frankreich. Tourraine. Die Zigarretten haben wir auf der Fahrt weggeschmissen. Oder ich, genauer gesagt, ich habe sie weggeschmissen. Es sind meine Zigarretten. HB. Aus dem Zug, aus dem Fenster, irgendwo in Belgien. Nicht, dass der Zoll Zigarretten bei uns findet.

Wir, das sind Torsten und ich. Torsten ohne "h". Da legt er Wert drauf. Torsten ist mein Cousin. Torsten raucht nicht, Torsten lebt gesund. Gesünder als ich. Torsten trinkt auch nicht. Keine zwei Halbe vor der Abfahrt, nicht so wie ich. Ich pubertiere, muss das tun, sonst verliere ich mein Gesicht. Torsten ist nicht so. Er ist ein Jahr jünger, vierzehn. Der pubertiert noch nicht. Oder heimlich. Keine Ahnung, ob Torsten heimlich … Rauchen und Trinken tut er jedenfalls nicht. Mädchen, weiss ich nicht. Vielleicht nachts, nachts im Traum.

Torsten duftet. Das unterscheidet uns. Nicht nur in dem, was die Laster angeht. Ich dufte auch, aber eher nach Gauloises und Gitanes. Die kosten hier umgerechnet eine Mark siebzig. Für 20 Stück.
Torsten duftet nach Wasser. Kölnisch Wasser. Schön ist das nicht. Muss ich es doch sechs Wochen mit ihm zusammen im Zelt aushalten. Aber vielleicht hält das die Mücken ab. Mücken gibt es hier reichlich. Und Maikäfer. Oder Junikäfer, die sind nicht weniger anstrengend. Anstrengend, wenn man sie dem anderen heimlich in den Schlafsack steckt. Wir fangen sie mit der blossen Hand, soviele schwirren hier rum. Einfach danach langen.

Torsten schreit wie am Spiess. Er hat einen Hirschkäfer gefangen. Ein Hirschkäferweibchen, die haben kleinere Zangen aber die bessere Hebelwirkung, die können so richtig zubeissen! Ich feixe mir einen. Da nützt ihm auch sein Kölnisch Wasser nix.

Die Ferien neigen sich dem Ende entgegen. Eine Woche haben wir noch. Torstens Eltern kommen mit dem Auto. Audi 60, nigelnagelneu, knallorange, das ist gerade modern. Sie kommen uns abholen, bleiben noch eine Woche. Dann geht es zurück, zurück nach Norddeutschland. Onkel Günther hat Ersatzteile mitgebracht. Einen originalen Auspuff für die BMW von Jean-Luc, den gibt es in Frankreich nicht. Und ein Luftgewehr von Weihrauch. Für Pierre. Pierre ist der Sohn von unserem Gastgeber. Onkel Günther hat das über die Grenze geschmuggelt. Im Kofferraum, ganz unten. Wir Jungen erlegen Pappscheiben, Tante Elsa wird derweil von Suzanne frisiert, wir verleben zusammen noch eine herrliche Woche.

Wir sind auf der Autobahn. 130km/h. Mehr schafft der vollbeladene Audi nicht. Alle sind bestens gelaunt. Tante Elsa, Onkel Günther, Torsten und ich. Es waren tolle Ferien! Wir haben vor der Abfahrt nochmal gut gespeist. Französische Lebensart. Jetzt sitzen wir im Auto. Übersättigt. Nicht von den Erlebnissen, aber von den Bohnen. Von den grünen Bohnen mit Knoblauch. Haricots verts à l'ail. Und Vin. Vin rouge von "Madame ohne Hose".  Das war die Bäuerin im Dorf, die Weinbäuerin. Warum die so hiess, lassen wir lieber.

Torsten muss mal. Nicht aus der Büx, aber durch die Büx. Gase sozusagen, Abgase. Das ist ihm peinlich. Aber er kann nicht mehr aufhalten. Das ist dem Geräusch zu entnehmen. Das verrät ihn. Schwefelwasserstoff breitet sich aus. Onkel Günther meint, das sei Natur, wir sollen uns nicht zurückhalten. Und klinkt sich ein. Das Auto riecht wie … naja … so eben. Tante Elsa lässt wie auf Kommando auch einen fahren. Ich kann nicht mehr. Also verkneifen, mache einfach mit. Tante Elsa holt einen Flakon aus der Handtasche. Einen Flakon 4711. Und sie sprüht. Und nicht nur einmal, sie hat dem Dunst den Kampf angesagt. Wir atmen Bohnengas und 4711.

Bald sind wir zuhause.
Ich habe bis heute nie wieder 4711 angefasst.

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