Zielgerade

Es gibt Dinge, die schiebt man als junger Mensch gedanklich weit, weit von sich. Der Renteneintritt gehört dazu. Zum einen liegt das Leben ja noch wie ein unbeschriebenes Blatt vor einem. Man ist wild entschlossen, noch ganz viel Tolles und Aufregendes zu erleben. Zum anderen verbinden viele das Rentenalter mit Hinfälligkeit, Krankheit, Verfall und schlimmerem.

Ist man selbst so kurz davor wie ich, dann sieht man das natürlich anders. Auch hier gibt es widersprüchliche Gefühle. Zum einen wird einem schmerzlich bewusst, dass der größere Teil des Lebens längst hinter einem liegt. Dass das der entgültig letzte Lebensabschnitt ist, das verdrängt man tunlichst. Zum anderen hat dieser Zeitpunkt aber auch was von "Ernte einfahren", noch einmal Freiheit genießen und eben auch noch mal durchstarten und den nächsten Jahren Leben geben, wenn man dem Leben schon nicht mehr Jahre geben kann.

Ende Februar ist es nun soweit. Schluss mit Arbeit, Schluss mit Müller, keine Kunden mehr beraten, kein Zusammenreissen, wenn der Morgenmuffel in mir sich die Decke noch einmal über den Kopf ziehen möchte. Nicht mehr gezwungenermaßen morgens an der Bushaltestelle Wind und Wetter hautnah spüren. Aber auch kein "Dankeschön für die gute Beratung" mehr. Kein "Was Sie alles wissen" von den Azubis mehr. Nicht mehr die neuen Parfums schnuppern können, bevor sie im Regal landen. Kein Schielen mehr auf Umsatzvorgaben, keine Neugier auf die ultimative, bahnbrechende neue Antifaltenpflege und kein Kopfschütteln über Make-up-Looks, die kein Mensch tragen kann. Nie wieder bei den Aussendienstlern nachhaken, weil mir ihre auswendig gelernten Produktaussagen zu wenig hergeben. Nie wieder Inventur, nie wieder Weihnachtsgeschäft und nie wieder "Feierabend".

Ich gestehe, da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ich bin ein bisschen traurig und noch fühlt sich das fremd an, aber ich freu mich auch unbändig auf die Zukunft. Und das ist im Rentenalter ja doch eigentlich etwas Wunderbares.