Memoir Woman (Eau de Parfum) von Amouage

Memoir Woman 2010 Eau de Parfum

First
21.11.2016 - 17:38 Uhr
20
Top Rezension
9Duft 8Haltbarkeit 6Sillage 9Flakon

Wenn Hemmungen fallen wie Blätter in einem Herbststurm - habe ich wohl Memoir Woman aufgelegt

Startet süß medizinisch mit einem Unterton von Rauch, woran erinnert mich das? Root Beer? Hustensaft? Den Hustinettenbär? Irgendwie kenne ich das gaaaanz weit im Hinterstübchen aus der Kindheit. Also - extrem süß-fruchtig. Eingelegte Amarenakirschen? Und dann mit Kardamom, Zimt und Piment gewürzt? Oder vielleicht: Grießpudding mit eingekochtem Kirschkompott. Mit Kardamom, Zimtstange und einem Nelkenkopf? Das Medizinische nimmt schnell ab, geht aber nicht ganz weg.

Das war jetzt Mitschreiben der ersten Assoziationen zur Kopfnote in Echtzeit. Wenn ich das weiter so handhabe, wird dieser Kommentar zu lang. Deshalb lasse ich jetzt zwischendurch mal was aus.
Die Gedanken stehen ja bekanntlich niemals still. Auch ich bin, deshalb denke ich. Und umgekehrt natürlich. Aber das wissen ja sowieso alle, nicht nur die alten Griechen. Und ich denke, dass ich bin. Also, im Moment bin ich jedenfalls tief dunkelrotes Süßkischenkompott, das mit ordentlich Zucker, Kardamom und einer feinen Zimtstange dick eingekocht wurde. Jedenfalls rieche ich so. Das ist schon beeindruckend. Sehr authentisch!

Ich glaube, ich muss von meinem Assoziationsfluss doch noch etwas mehr wegkürzen, mich etwas zügeln. Aber zumindest - das sei gesagt - ruft Memoir Woman Unmengen an Assoziationen wach. Ist Memoir Woman etwa eine Droge? Ich schreibe doch sonst nicht so. Allerdings denke ich meistens so. Dann bin ich wohl nur enthemmt? Vermutlich. Dieser Duft bewirkt mit einfachem Kirschkompott, dass Hemmungen fallen wie die Blätter im Herbststurm.

Etwa zwei Stunden später: Langsam nervt die Intensität des Kompotts etwas. Aber ich kann mich nun etwas besser zügeln. Merkt Ihr das?
Nach insgesamt etwa zweieinhalb Stunden nimmt der Duft langsam eine Wendung, so als würde er sich besser integrieren, mehr aus einem Guss werden. Er wird nun etwas schwächer und insgesamt deutlich weniger süß, während das dezent Rauchige nun wieder mehr wahrnehmbar ist.

Ich beginne schon zu denken, nun käme eine echte Lücke, da wird Memoir Woman blumiger. Ich rieche sehr zarte Blumen, ohne zunächst genau sagen zu können, welche. Schon wird es pudriger, was eben noch dunkelrot war, wird pastellfarben, rosa, und etwas gedämpft violett-pudrig. ich erahne Iris. In diesem Stadium könnte man fast von einem Sauberduft sprechen. Aber zu sauber wird er auch nicht, das dezent Rauchige, also wohl der Weihrauch, bleibt die ganze Zeit erhalten.

Schon nach einer weiteren halben Stunde nimmt der Duft erneut eine Wendung, diesmal ins minimal Krautige, wie ich es von Männerdüften kenne, so dass Memoir Woman mir nun unisex anmutet. Vermutlich zeigen sich hier erste Anklänge an die Basis: Eichenmoos. Das empfinde ich auf meiner Haut immer als tendenziell männlich. Es bleibt dezent süßlich und die Intensität wird nun wieder etwas stärker, nach und nach mit würziger Tiefe. Trotzdem empfinde ich Memoir Woman nach dieser furiosen, raumgreifenden und etwas halluzinogenen Kopfnote und dem kurzen Herznotenintermezzo nun fast langweilig: Angenehm, beruhigend.
Immer mehr kommt Labdanum zum Tragen. Das trägt stark zu meinem Wohlbefinden bei. Nun könnte ich problemlos und zufrieden mit diesem würzig-süßlichem Hauch mit seinem Lederunterton einschlafen und in die Welt der Träume gleiten. Es dauert noch Stunden bis Memoir Woman ganz verklungen ist.

Wann kann man den tragen? Ich glaube, die Kopfnote geht nur zu Anlässen, bei denen ein wenig verrücktes Reden und Verhalten nicht stört, besser noch, wenn es erwünscht ist.
Und danach? Nach der Kopfnote geht er immer, zu jeder Tages- und Nachtzeit, zu jedem Anlass. Nur für den Frühling und sehr heiße Tage finde ich Memoir Woman nicht frisch und leicht genug.

Anzumerken wäre noch etwas: Da ich nur eine winzige Probe in einem kleinen Glasröhrchen habe, habe ich nur zwei Striche mit dem kleinen Stöpsel auf mein Handgelenk gegeben, wohlgemerkt nur auf EIN Handgelenk. Die Kopfnote war so intensiv, als hätte ich vier volle Sprühstöße an verschiedene Stellen gesprüht. Erst mit der Herznote legt sich die Intensität des Duftes auf ein den zwei kleinen Strichen am Handgelenk angemessenes Maß. Auch die Basis passt dazu.
Woher kam diese enorme Intensität? Kann es sein, dass sich hinter "Gewürznelke" wieder einmal Salicylate verbergen? Die nehme ich immer als enorm intensiv und strahlend wahr. Kam daher mein überwältigendes und fast lautes Kirschkompott? Ich vermute es. Es würde viel erklären.
6 Antworten
CallaCalla vor 9 Jahren
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Wick-Hustenbonbons sind es zu Beginn, Kirsche, diese roten, dreieckigen. Haben bei mir eine Zeitlang neben dem brennenden Kamin gelegen. ;)
CosmicLoveCosmicLove vor 9 Jahren
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Ich werde wohl vorsichtig dosieren beim Testen ... ;;)
SensualSensual vor 9 Jahren
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Den habe ich nur einmal getestet, denn dann kam die Erkältung - aber mein erste Eindrück war auch eher schwierig...Mit Amouage kann´s ja trotzdem dann mal ändern, wie Du leider weisst. ;) Pokal !
JumiJumi vor 9 Jahren
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Jetzt wo du es sagst - stimmt, die verborgene Frucht könnte durchaus eine Kirsche sein (oder Kirschlikör). Die habe ich am Anfang gar nicht als solche wahrgenommen, ging in Gewürzen unter. Sehr schöne Beschreibung von dir! Und ja, er ist eine Bombe in jeder Hinsicht (Wucht, Haltbarkeit und Sillage)
Sweetsmell75Sweetsmell75 vor 9 Jahren
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Hm... Kirschkompott? Ich kann dir im Kommi ab der Basis folgen ;) Empfinde den Duft als wahnsinnig schön... aber ich kann ihn einfach nicht tragen, weil der passende Zeitpunkt bisher immer gefehlt hat.
PlutoPluto vor 9 Jahren
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Mich hat er nicht so überzeugt. Kirschkompott, das klingt gut, jetzt würde ich ihn gerne nochmal testen.