Precious One

Yatagan
28.12.2020 - 09:13 Uhr
49
Top Rezension
7
Preis
8
Flakon
6
Sillage
6
Haltbarkeit
8.5
Duft

Being a snob

Unkommentierte Düfte No. 164

Aufmerksam wurde ich auf Angela Flanders wunderbaren Duft durch Neil Chapmans großartiges Buch "Perfume - In search of your signatur scent" von 2019. Das Werk ist ein Fundus für Parfumliebhaber*innen und bietet ähnlich gute Anregungen wie die bissigen Rezensionen von Luca Turin, schlägt aber einen versöhnlicheren Ton an. Dabei ist gleich der Titel eine dreiste Lüge, denn Chapman empfiehlt nichts weniger als einen einzelnen Signature Scent, sondern ergeht sich vielmehr in der Fülle der Duftwelt. Die Zusammenstellung ist schier endlos und beinahe enzyklopädisch.
Von den vier verzeichneten Düften der "late perfumer" Angela Flanders, wie Chapman die alte Dame, die vor Kurzem hochbetagt starb, liebevoll nennt, werden zwei besonders empfohlen: das exquisite Earl Grey (ein Bergamotte- und Patchouli-Duft; die klassische Teenote fehlt britisch-schrullig völlig). und als Sinnbild englischer Exzentrik "Precious One".
Betrachtet man die oben genannten Inhaltsstoffe, dann wird man hier übrigens ähnlich leichtfüßig aufs Glatteis geführt wie bei Earl Grey - und dennoch hat das alles auch seine Berechtigung: Während nämlich Earl Grey zwar keine Teenote enthält, dafür aber den für den Tee gleichen Namens obligatorischen Bergamotte-Akzent und durch eine Ahnung von Patchouli die Erinnerung an einen holzgetäfelten englischen Club erweckt, wo man eben jenes Getränk stilvoll zu sich nehmen könnte, schlägt auch Precious One subtile in Moll gestimmte Töne an. Tuberose blüht hier angemessen distinguiert und ordentlich wie in einem britischen Gewächshaus, die Katze schnurrt, aber markiert natürlich nicht, das Eichenmoos stammt aus den sanften Hügeln von Cotswold und nicht aus den Alpen und Jasmin wurde einfach gleich ganz vergessen - oder so dezent dosiert, dass er gar nicht recht auffallen will. Dann bleibt noch das Vetiver, das ja auch irgendwie typisch britisch ist, denn es stammt schließlich aus den ehemaligen Kolonien oder sagen wir besser - politisch korrekt - aus dem Commonwealth, aber es scheint wohl nur für die etwas herbe Note verantwortlich zu sein, die allem unterlegt ist. So richtig bemerkbar macht es sich auch nicht.
Aus all diesen Gründen plädiere ich aber schließlich und endlich dafür, diesen Duft nicht als Damenduft zu kategorisieren, vielleicht nicht mal als typischen Unisex-Duft, sondern eher als Duft für Snobs (wäre eine eigene Kategorie wert). Aus eben diesen Gründen gefällt er mir.

P.S.: Die Marke wird von Angela Flanders Tochter weitergeführt.
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