Rose Cut 2014

Parma
08.10.2022 - 01:44 Uhr
15
Top Rezension
6
Sillage
9
Haltbarkeit
8
Duft

Edelsteine und Marlene Dietrich

Rose Cut bezeichnet in der Edelsteinverarbeitung die Technik eines traditionsreichen Diamanten-Schliffs, der dem härtesten aller Edelsteine einen weichen Glanz verleiht.

Der Name ist nicht zufällig gewählt, denn die Inhaberin der Parfummarke, Ann Gérard, ist eine Edelsteindesignerin. Zusammen mit dem befreundeten Parfumeur Bertrand Duchaufour entwarf sie zwischen 2012 und 2014 vier Düfte, deren Namen jeweils einen Bezug zu bestimmten Edelsteinen bzw. ihrer Verarbeitungsmethode haben. Der bislang letzte - und das wahrscheinlich auch aufgrund der Auflösung der Marke leider so bleibende - ist Rose Cut.

Ann Gérard wollte mit diesem Duft sowohl die Härte des Diamanten als auch seinen - ihrer Ansicht nach - weichen, femininen Glanz einfangen, den er durch den speziellen Schliff erhält. Bertrand Duchafour sollte demnach ein Parfum entwerfen, welches gleichzeitig kraftvoll und sehr feminin ist.

Eine zweite Inspiration war Marlene Dietrich. Gérard bewundert bei ihr die Kombination aus Weiblichkeit und dem gleichzeitigen Ignorieren geschlechtsspezifischer Grenzen. Sie erwähnt in diesem Zusammenhang das Tragen von Anzügen, das Trinken und Rauchen.

Wenn man all diese Hintergrundinformationen kennt, versteht man die Anlage des Dufts. Das ist in diesem Fall hilfreich, denn der Dufteindruck ermuntert nicht - zumindest mich - an Rosen (dazu verleitet der Name als erstes und soll es nach Gérard auch) oder die Konsistenz und Brillianz von Diamanten zu denken. Dafür ist er zu satt, voluminös und gourmandhaft angelegt. Und zu wenig kristallklar, durchscheinend und Rosen-zentriert. Im Prinzip ist er ein Halb-Gourmand, der mich etwas an Naomi Goodsirs ‚Or du Sérail‘ aus dem gleichen Jahr - ebenfalls von Duchaufour - erinnert.

Ich sehe Rose Cut als einen recht süßen, von würzigem Rum geschwängerten, viskos-fruchtigen, leicht floralen Duft, in den eine sanft holzig-erdige Basis verwoben ist. Ähnlich eines besonders fruchtigen Rums, der kurzzeitig ich einem Eichenfass gelagert wurde und in dessen Produktionsverlauf sich ein paar Blumen verirrt haben.

Gérard selbst spricht allerdings von einem Rose-Patchouli-Duft, weshalb ich ihn etwas genauer unter die Lupe nehmen will, denn diese Einschätzung kann ich kaum nachvollziehen. Wenn man ihrer folgt, dann ist es zumindest eine sehr ungewöhnliche Variante, da die dichte Fruchtnote - wie bei Duchaufour nicht unüblich - sehr präsent ist (ich denke da an Werke wie ‚Enchanted Forest‘ oder eben ‚Or du Sérail‘). Für mich bestimmt sie, zusammen mit dem Rum-Akkord, diesen Duft. Ich empfinde sie als pflaumig-pfirsichhaft, süffig-süßlich und führe sie auf ein Frucht-Aldehyd zurück. Die Rum-Note verschmilzt sehr schön mit ihr und einer sehr zurückgenommenen wächsernen Note, die mich an Bienenwachs denken lässt. Dazu gesellt sich eine deutliche Würzigkeit, die ich als pfeffrig-nelkig umschreiben würde. Dabei entwickelt der Pfeffer eine leicht rauchige Herbheit und die Nelke ihren typischen retroesk-pudrigen Ton. Sie unterstützen die Aromatik des Rums sehr angenehm, lassen den Duft klassisch erscheinen und bewahren ihn zusammen mit der alkoholischen Note vor einer Übernahme der süßen Früchte. Eingeflochten in den Drydown ist etwas zart Florales, was ich nicht unmittelbar mit einer Rose verbinde. Wenn man weiß, dass es eine sein soll, erkennt man sie ansatzweise (sie geht in Richtung einer tiefroten, aber gleichzeitig frischen wie in Lutens ‚La Fille de Berlin‘, deren Übergänge ins Fruchtige und Alkoholische ebenfalls fließend sind). Ich denke, dass ihre Teilunkenntlichkeit daran liegt, dass die meisten anderen Bestandteile mindestens ebenbürtig bzw. höher dosiert eingesetzt sind. Als letzter Teil des Verlaufs zeigt sich eine zurückhaltend erdige, leicht moosig-rauchige Holzigkeit, die dem Duft - v.a. in Kombination mit der würzigen Rum-Note - eine schöne Tiefe verleiht. So verbleibt er dann linear und recht lang anhaltend (problemlos den ganzen Tag über wahrnehmbar und in den ersten Stunden mit deutlich merkbarer Sillage). Für einen Rose-Patch-Duft dominiert mir zusammenfassend der Rum-Frucht-Akkord zu stark über die florale Note und verleiht ihm eine fast sirupartige Konsistenz. Hinzu kommt, dass die Basis auf mich eher holzig als typisch patchoulihaft wirkt. Ansätze sind durchaus zu erkennen, aber in zu marginalem Ausmaß.

Was er jedoch vermittelt - um damit nochmal auf das obige Konzept zurückzukommen - ist eine Kombination aus Stärke (kräftige Anlage des Dufts) und Weichheit (weiche Ausführung, v.a. über die Süße generierend). Allerdings versucht er diesen Eindruck überwiegend mit Mitteln des Gourmands zu erreichen, was ich im Zusammenhang mit der Namensgebung als unpassend empfinde. Wenn man aber nur von der sehr weit interpretierbaren Formel „kräftig und feminin“ ausgeht, erfüllt er die gewünschten Vorgaben. Dabei bezogen auf die feminine Auslegung in einer selbstbewussten und gleichzeitig verführerischen Weise.

Und um ebenfalls nochmal auf den Vergleich mit ‚Or du Serail‘ zurückzukommen: Wenn man aus jenem den Tabak herausstreichen und dafür eine florale (Rosen-)Note hinzufügen würde, näherten sich die beiden Düfte recht stark an (das Grundgerüst mit Früchten, Rum, Bienenwachs und Eichenholz ist sehr ähnlich).

Zwei andere - allerdings etwas entferntere - Assoziationen, die ich zwischendurch immer mal wieder habe, sind die eines kräftigen Chypredufts (wie z.B. Femme oder Mitsouko) und die würzig-orientalischer Damendüfte aus den 80ern. Bezogen auf die Chypres wahrscheinlich wegen der gewichtigen, eleganten Gesamterscheinung, der pfirsichhaften Note, des holzig-moosig, leicht rauchigen Unterbaus und der zarten Blumennote. Entfernt deshalb, weil er durch die Fruchtdominanz und die zurückgenommene Basis eher einem modernen Chypre entspräche. Und hinsichtlich der würzig-orientalischen Düfte aufgrund der Fülle an Aromen und der klassisch-vornehmen, süßwürzigen Anlage (wie z.B. eines ‚Coco‘).

An diesen verschieden Eindrücken erahnt man die Komplexität des Duftes. Was ich persönlich vermisse - und das ist natürlich Geschmacks- und Erfahrungssache - , ist eine klare Richtung und etwas mehr Eigenständigkeit. Hier ist mir zu vieles gleichwertig und in der Form zu oft Gerochenes vorhanden. Zu viele dominante Noten und etwas fehlender Pfiff. Es ist ein angenehmes, schönes, zeitloses, dichter(!) klassisch-französischer Duftkunst verhaftetes Parfum (könnte z.B. auch ein Lubin sein), welches mir aber etwas übervoll wirkt. Es ist kunstvoll orchestriert und qualitativ sehr wertig, aber mir kompositorisch nicht griffig genug. Als wenn ein bisschen eine zündende Idee gefehlt hätte. Das korreliert mit meinem Eindruck, dass das Konzept von Ann Gérard nur zum Teil passend umgesetzt wurde.

**Anmerkung:**
Gestoßen bin ich auf diesen Duft durch Zufall. Auf der Suche nach ‚Cuir de Nacre‘ (ebenfalls von Ann Gérard Parfums), der mich beim ersten Test vor ein paar Jahren sehr beeindruckt hatte und an den ich immer wieder zurückdenken musste, intensivierte ich in der letzten Zeit meine Bemühungen, ihn doch noch irgendwo zu ergattern. Ich wusste von vorherigen vergeblich Versuchen, dass das ein schwieriges Unterfangen werden würde. Bis heute war es auch noch nicht von Erfolg gekrönt und im Zuge dessen musste ich zudem feststellen, dass er leider nicht mehr produziert wird, da die Marke traurigerweise nicht mehr existiert. Ich konnte aber immerhin noch zwei Proben anderer Düfte der Marke in einer Berliner Nischenparfümerie auftreiben. Eine davon war 'Rose Cut'.
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