Liquid Silver

Parma
19.09.2021 - 04:32 Uhr
11
Top Rezension
6
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
8.5
Duft

Unisex Barbershop-Duft

Früher Morgen.

Ein kleines Hotelzimmer.

Ein Nassrasierer auf der länglichen Porzellan-Ablage vor dem Spiegel.

Darunter ein Block Seife in der Waschbeckenmulde.

Rosen und Jasmin stehen etwas verloren in einer Vase auf dem rüschbedeckten Beistelltisch.

Milchiges Sonnenlicht fällt zwischen den Blüten hindurch.

Streift die Fesseln der vor dem Spiegel stehenden Person.

*

Dieses gepflegte, elegante, leicht spröde, eigenständige Parfum trägt Nostalgisches und Zeitloses in sich. Ein zurückgenommener unisex Barbershop-Duft.

Frisch-seifig mit einer wunderbar weichen Würze, dezent trockenholzigem Rückgrat und einer lieblich-cleanen Blumennote, die ich als sehr gezügelte Jasmin-Rose-Kombination wahrnehme. Der seifig-würzige Eindruck überwiegt etwas, bleibt aber moderat. Zarte Assoziationen an den Geruch von Rasierschaum. Der Seifenanteil wirkt dabei eher moschig als aldehydisch. Schlank. Leicht synthetisch. Die Würze ist undefinierbar. Eventuell Muskat-ähnlich. Mit angedeutetem moosigem Einschlag. Sie verleiht dem Duft seinen individuellen Charakter und ergänzt sich perfekt mit dem Seifenton. Im Prinzip changiert der Duft zwischen allen genannten Eindrücken. Bildet eine Einheit. Sauber. Erwachsen. Seriös. Mit einem dezent verführerischen Vibe durch die Blumennote. Ich stelle mir einen elegant gekleideten Menschen vor, der sich seiner Schönheit bewusst ist, aber nicht viel Aufhebens darum macht. Der sanft, durchsetzungsstark und gepflegt ist. Denn das Eau de Parfum hat beides. Nachsicht und Nachdruck. Für letzteres sorgt eine Sander‘sche Gradlinigkeit. Neben seiner Cleanness erinnert es nämlich vor allem in seiner distinktiven, jedoch nie aufdringlichen Würze an die Charakteristik der Herrendüfte jener deutschen Traditionsmarke ab etwa der Jahrtausendwende. Zudem entwarf Sander in ihrer Hoch-Zeit immer wieder Parfums, die mit damaligen Geschlechtergrenzen spielten (z.B. Woman III, Feeling Man oder Background). In dieser Tradition sehe ich auch Liquid Silver. Er hat einen sehr eigenen Ton. Seine Schattierungen sind - trotz der polierten Oberfläche - bis zum Schluss deutlich vernehmbar. Weil die Konstruktion sehr auskomponiert ist. Sie bleibt beweglich und interessant, geht eine schöne Verbindung mit der Haut ein und wird im Verlauf des Drydowns wärmer, mit einer ambrigen Nuance. Der Name passt in meinen Augen daher nur zum Teil. Der Duft ist zwar sehr sauber und erscheint zu einem gewissen Anteil auch kühl. Allerdings nicht so sehr, als dass ich ihn mit etwas Metallischem (Silver) assoziieren würde. Für mich hat er eine cremeweiße Farbe, da die zugewandten Komponenten leicht überwiegen.

Ich mag ihn sehr und finde, dass er aus den Bestandteilen von subjektiv durchschnittlicher Qualität sehr viel herausholt. Er wirkt unheimlich durchdacht und sehr harmonisch.

*

Zurück im Zimmer.

Mittlerweile ruht das Licht allein auf den Dielen vor der Waschstelle.

Ein Abdruck auf der Federbettdecke zeichnet kleine Täler hinein.

Die Person hat sich angekleidet und den Raum verlassen.

Übrig bleibt ein Stillleben.

Und der zartwürzig-blumige Seifengeruch.

*

Ich möchte dort sein.
**Infos zur Parfumeurin:**
Bis zum Kennenlernen dieses Dufts vor zwei Jahren war mir die aus Südafrika stammende, erst in Kiel und nun seit Jahrzehnten in Hamburg lebende und arbeitende Parfümeurin, Fotografin und Gin-Produzentin („Das ist ja im Prinzip auch nur ein pafümierter Wodka.“) Kim Weisswange kein Begriff. Bei der Recherche erfuhr ich, dass sie seit frühester Kindheit eine Faszination für Düfte hegt, nach eigener Aussage ein fotografisches Duftgedächtnis hat und in Los Angeles ein dreijähriges Studium der Chemie mit dem Schwerpunkt Parfumkreation und Aromatheraphie absolvierte (davor eine Ausbildung als Fotografin und ein Kommunikationsdesign-Studium, dazwischen u.a. als Dekorateurin bei Jil Sander - die sie sehr bewundert - jobbend), bevor sie 1992 mit ihrer eigenen Firma „Weisswange Beauty GmbH“ (seit 2010 „Capital Cosmetics“) anfing, selbst produzierte Düfte und Kosmetik zu vertreiben. Neben Duft- und Kosmetiklinien für Unternehmen inklusive komplettem Markenauftritt, lag und liegt ihr Arbeitsschwerpunkt auf der Entwicklung von Bespoke-Parfums (ihren sogenannten „Unique Perfumes“) für individuelle Kundschaft. In diesem Rahmen entwarf sie u.a. Parfums für Kate und William zu deren royaler Hochzeit, davor schon für die Queen, Charles und Diana, Margarethe von Dänemark, für Hollywood-Größen wie Michelle Pfeiffer, Lauren Hutton, Pierce Brosnan und Glenn Close, für Musik-Ikonen wie Madonna, Cher, Tori Amos, Marla Glen, George Michael und Patti Smith oder auch die Modemacherin Vivienne Westwood. Sie fertigte die Rekonstruktion von Maria Callas‘ Bespoke-Parfum aus deren Privatbesitz anlässlich einer Maria Callas-Ausstellung an. Daneben kreierte sie Event-Düfte, z.B. für die Bayreuther Festspiele 2013 und andere kulturelle Ereignisse. Nach eigenem Bekunden entwirft sie etwa 1000 individuelle Parfums pro Jahr. Ein besonderes Beispiel ihrer Schaffenskraft ist sicherlich der 2013 erschienene und mit dem ‚Design-Oscar‘ ausgezeichnete „The Scent of time“-Duftkalender, der aus 44 in Form einer Duftorgel angeordneten Flakons besteht, mit denen sich in Kombination untereinander für jeden Tag im Jahr ein neuer Duft zusammenstellen lässt. In einem Flakon befindet sich die Basis, die immer gleich bleibt. 12 Flakons beinhalten die jeweiligen Herznoten (für jeden Monat eine andere) und 31 Flakons die Kopfnoten (für jeden Tag im Monat eine neue). Dafür verwendete sie ca. 6500 verschiedene Essenzen. Dieser sehr klaren, strukturierten, leidenschaftlichen Frau, der man ihre norddeutsche Prägung anhört, ist wichtig, dass sie überwiegend natürliche Duftöle verwendet, da für sie durch einen zu hohen Anteil rein synthetischer Duftstoffe die Seele und Tiefe eines Parfums verloren geht. Nach diesem Duft zu urteilen, kann ich verstehen, weshalb sie so stark nachgefragt ist. Diesen, leider nicht mehr zu beziehenden, entwarf sie - wie neun andere - für das Modehaus ‚Apart‘ (die Premium-Marke des OTTO-Versandhauses).

Ich danke Daisy sehr für die Erfüllung eines zwei Jahre lang gehegten Duftwunsches.
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