Indigo Smoke 2022

Intersport
28.12.2023 - 04:25 Uhr
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Top Rezension

Blandness º Fadeur / Tee º Rauch

‘Name ist Schall und Rauch’: bei Parfums ja keine Neuigkeit, auch gut so, fallen doch eine Menge Veröffentlichungen ein, die in Komposition ihrem Titel quasi widersprechen, oder mit dem Namen auf falsche Fährte locken (wollen), je nach Blickwinkel. Arquiste, die vom ehemaligen Architectural Preservation Studenten Carlos Huber gegründete Marke, verschrieb sich dabei ganz auf eine zum Teil ‘belegbare’ Historie, die den jeweiligen Düften als Ausgangspunkt dient. Den Grossteil des Portfolios konnte Huber mit den Givaudan Parfumeuren Rodrigo Flores-Roux und Yann Vasnier umsetzten. Dieser boys-club wurde nun durch Calice Becker erweitert, vielleicht nicht zuletzt wegen Becker’s ‘olfactory preservation’ mit den Neuauflagen (1990) zweier Balmain Klassiker. Vielleicht.

Indigo Smoke, also Indigo Rauch, bzw. indigo-farbener Rauch könnte, auch mit der Nennung einer Lapsang souchong Note und wie immer bei Arquiste, dem historischen Motif zur Genese der Tee-Räucherung, auf einen mehr oder weniger rauchigen Duft schliessen lassen. Doch schon lange hat mich kein Titel mehr derart an der Nase herumgeführt wie dieser, Indigo Smoke.

Ein rauchiger Teeduft, wie Lapsang vermuten lassen könnte ist Indigo Smoke nicht. Ein bläulicher, oder besser indigo-farbener Duft (der Beiname Indigo wird oft und gerne verwendet, allein die Datenbank hier zählt locker über 100 Einträge, eine Trendfarbe…), was auch immer das sein kann, ist Indigo Smoke auch nicht - wie Indigopflanzen duften oder ob diese beim Verbrennen den Rauch tatsächlich Indigo-bläulich färben, bleibt fraglich. Für mich ein Glück, rauchiges per se ist weit von meinen Notenfavoriten entfernt, auch wenn immer wieder scheinbar neue Rekorde was Räucheraromen angeht aufgestellt werden, bei Teedüften konnten mich bisher nur Comme des Garçons’ Tea (2001) mit seiner teer-artigen Pflaster Note, oder Artisan’s exzentrisches Durcheinander in Cœur de Vétiver Sacré (2010) längerfristig begeistern. Dennoch, hier war ich gespannt, Arquiste hatte immer wieder Überdurchschnittliches dabei.

Der heimliche Star, oder die zentrale Nebenrolle bei Indigo Smoke ist ein Aprikosen Akkord, der dabei nie total im Mittelpunkt steht. Zu sehr wird dieser von den anderen Inhaltsstoffen moduliert bzw. moduliert dieser den Rest: der Aprikosen Akkord - bereits in dieser Wortwahl schwingt eine gewisse Ambiguität mit, ist nicht ein-eindeutig einer frischen oder reifen oder unreifen oder getrockneten, usw. Aprikose zuzuordnen, was es umso interessanter macht. Die Aprikose als zentrale Nebenrolle kenne ich in ähnlicher Funktion etwa aus Serge Lutens’ / Christopher Sheldrake’s El Attarine (2008): Aprikose, Cumin, Mandarine, Gewürze; oder aktueller Marc-Antoine Corticchiato’s Immortelle Corse (2019): Aprikose + Immortelle. Der Aprikosen Akkord aus Indigo Smoke ist kühler und dabei bitterer, was anfangs noch von einer Bitterorangen/Mandarinen Note unterstützt wird, und später von einer dezenten Schwarztee Note: trocken, nicht-geräuchert, ja leicht, eher junger Darjeeling als kräftigere Vertreter, und mehr Geruch als Geschmack). Diese (tee)blättrige Trockenheit bietet ein Gegengewicht zur Steinfruchtnote, beides an sich, Frucht und Tee kann ja schnell mal kitschig werden. Hier kommt eine zweite Facette ins Spiel, Heu-artiges, was vermutlich dem verwendeten Coumarin geschuldet bzw. seitens Arquiste - wenn auch geografisch eher ungeeignet - als Mate Tee Note vermerkt ist, die ja wiederum Heu-ähnlich erscheinen können. Die Dosierung und auch die Schattierung ist gut gewählt, so strahlend grün wie etwa in Villoresi’s prudigen Sud Yerbamate (2001) ist Indigo Smoke nie, der Coumarin/Heu/Mate Faktor ist hier stark eingetrocknet und farblich näher zu den grau-braun-schwarz Tönen diverser Teeblätter. Das könnte in dieser Form auch möglicher Teil der Neuen-Europäischen-Bukolischen Düfte sein - doch hier ist alles staubiger. Überhaupt erscheint Textur von Indigo Smoke recht feinkörnig granular - viele der Noten ahne ich nur in spurenelement-grossen Potenzen auszumachen, immer wieder blitzen Facetten kurzzeitig auf, unsüsse Vanille in kleinsten Mengen, Zimtschale, ein Tropfen kühles Vétiver, etwas Guaiac - nur explizit rauchiger Lapsang Tee bleibt bis zum Ende ein Gespenst. Indigo Smoke ist Texturenduft par excellence, dessen konkrete Eckpunkte, Profile und Stimmen immer wieder verschwommen erscheinen.

2004 veröffentlichte der französische Philosoph und Sinologe François Jullien 'Eloge de la fadeur'. Im Vorwort zur englischen Version ‘In Praise of Blandness’, spricht die Übersetzerin von der Schwierigkeit ein angemessenes englisches Equivalent zu 'fadeur' zu finden. Gewählt wurde 'blandness', wobei der deutsche Begriff 'Fadheit' es nicht so recht treffen will. Fadeur und blandness umschreiben einen Zustand der Abwesenheit von spezifischen, definierenden, gestaltgebenden, oder herausstechenden Qualitäten - was wie Jullien zeigt, nicht zwingend fad sein muss. Das Buch beleuchtet die Ursprünge dieser 'Nicht-Qualitäten' u.a. in Daoistischen and Konfuzianischen Traditionen China’s und wie sich diese auf Dichtung, Malerei, Ästhetik, usw. auswirkten. Auch wenn Jullien nicht direkt ins Gustatorische ausschweift, fallen mir spezielle Lebensmittel/Gerichte ein, Teil chinesischer Speisefolgen, die gerade auf Grund ihrer Textur und dem Gefühl das sie im Gaumen erzeugen geschätzt werden, mehr als wegen eines besonderen Geschmacks.

Dass eine Anmerkung zu diesem Thema es nicht in Arquiste’s Bibliografie geschafft hat ist schade, aber in der Parfumindustrie, wo Besonderheiten und Alleinstellungsmerkmale ja stets zelebriert werden, auch verständlich. Natürlich ist Indigo Smoke nicht Parfum-gewordene-blandness, dazu ist die Marke zu amerikanisch und Calice Becker zu französisch, aber es ist ein leiser, feiner Duft der mit seiner stets amorphen Textur mehr Aura ist als raumeinnehmendes Statement. Fast erinnert dieser Stil etwas an Artisan Parfumeur Düfte der frühen 2000’er Jahre, oder erste Ausgaben der Comme des Garçons parfums parfums Serien. Liebhaber*Innen kräftigerer Parfums wie sie immer mehr in Mode gekommen sind könnten mit Indigo Smoke über/unterfordert sein. Manchmal ertappe ich mich auch und wünschte mir hier ein paar deutlichere Farbstriche, bevor alles wieder in ein atmosphärisches, aber schwer zu packendes Nebulöses zerfällt.

Interessanterweise veröffentlichte Olfactive Studio mit Smoky Soul (2023) dieses Jahr zur gleichen Thematik. Auch hier wurde, bei den ersten öffentlichen Präsentationen noch von Lapsang Souchong Tee gesprochen. Ein Foto der ikonographischen Teefelder aus Fujian dient als visuelle Referenz. So demonstrativ rauchig wie getrocknete Lapsang Blätter ist Smoky Soul auch nicht. Hier wurde mittlerweile, eventuell um Unterschiede nochmal zu betonen auf Ceylon Tee, also Tee, der auf der Insel Sri Lanka angebaut wird, umgestellt. Ich will gar nicht wissen was in Frankreich mit einem passiert, wenn ein Wein aus dem Bordeaux auf einmal mit einer Referenz aus dem Burgund zusammengewürfelt wurde - für Céline Verleure sind derartige geografische Flexibilitäten anscheinend weniger problematisch. Das von Marc-Antoine Corticchiato entworfene Smoky Soul ist dabei etwas unmittelbarer, insgesamt dunkler, etwas rauchiger, und Osmanthus-lastiger (siehe auch Osmanthus Interdite (2007)) als Indigo Smoke, vielleicht ist es eher Duft der direkt die mit Osmanthus versehene Tees huldigen möchte? Neben diesem wirkt Indigo Smoke wie ein Dunstschleier vs den kräftigeren Konturen von Smoky Soul. Passt auch besser zu Olfactive Studio, in ein paar Momenten muss ich hier an das ausgezeichnete, exzentrische Chypre Shot, (2018) denken, das ebenfalls mit Tee/Frucht Kombinationen flirtete, eine Veröffentlichung bei der scheinbar, die von Olfactive Studio praktizierten 3-er-Konstellationen Kollegen Duchaufour zu Bestform auflaufen liess.

So unterschiedlich Smoky Soul und Indigo Smoke auch auf den ersten Blick sind, phasenweise nähern sie sich im Verlauf dann doch an, da gibt es zu viele Überschneidungen von Aprikose und Osmanthus, und eben auch in den Tee Profilen - so gänzlich geräuchert erscheint mir weder das eine oder andere. Die feinere und insgesamt offenere Textur bleibt dennoch eine Besonderheit von Indigo Smoke; eine tolle Erweiterung im Arquiste’schen Portfolio. Letztendlich also doch blandness als einprägsame Charakteristik? Fadeur als Name kann ich mir dafür gut vorstellen. Mit besten Dank an Parma für die Unterstützung!
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