18.10.2023 - 14:22 Uhr
Midnights
27 Rezensionen
Midnights
Sehr hilfreiche Rezension
16
Von endlosen Sommern und verblichenen Postkarten…
Es ist 14:27 Uhr. Die sommerliche Mittagssonne hat ihren Höchststand vor gut drei Wochen erreicht, nur will sich keine Erleichterung einstellen. Die Hitze drückt auf die Gliedmassen und die Gedanken. Ein Vakuum aus körperlicher und geistiger Hemmnis. Am Horizont ein Hitzeflimmern, wellenartige Vibrationen, den Flammen ähnlich, so heiss, dass alles kurz davor ist, in einem metallischen Blau aufzugehen. Die Stille der staubigen Landstrasse wird nur vom Zirpen der Grillen und dem Summen anderer Kerbtiere unterbrochen. Aber auch die wirken träge und geben Geräusche nur deshalb von sich, weil sie nicht anders können. Wer wählen kann, vermeidet jede Bewegung und jeden Ton. Minimalismus der Existenz, ein Leben in Zeitlupe.
Die Luft in unsichtbarem Tremor. Jeder am Morgen noch so klare Duft ist mittlerweile in Hitze getränkt und wie ein alter Sonnenschirm von der Sonne ausgeblichen.
Die in der Zwischenzeit trocken gewordene Schale der am Vormittag geschälten Orange liegt noch auf dem Holztisch. Die Erinnerung an ihre Saftigkeit ist vermeintlich zum Greifen nah, entwischt jedoch wie die Fruchtfliegen, wenn man danach zu fassen versucht. Die ausgepressten Zitronen liegen sauer in der Luft und suggerieren eine Vorstellung von Frische, welche selbst am Abend nicht wirklich eintritt. Das aus Rillen quellende Harz auf dem Holztisch ist schon ganz weich, kurz vor flüssig, eine Fliege hat sich darin verfangen. Die Halbsträucher der Strohblume, mittlerweile verkahlt, duften würzig, honigwarm und dennoch trocken. Bei jeder Duftwelle verwandelt sich der Mund in eine Staubwüste. Als ob sie es wüssten, werfen Wachholdernadeln kühle und balsamische Rettungsleinen, immer dann, wenn die Sinne zu überhitzen drohen. Der Lavendel gibt noch leise Lebenssignale von sich, den Kopf nur schwer auf den Schultern tragend.
In der abgedunkelten Küche liegt der noch frische Fenchel in seinem süsslichen Grün. Ihn zu verstauen, war wohl zu anstrengend gewesen. Der Bund Rosmarin, in ein Wasserglas gestellt, ist von der leblosen Hitze unbeeindruckt und flutet die Räume mit seiner Würze. Die Zeit zieht sich endlos hin und findet den Weg nicht mehr. Wie die Postkarte aus dem Sommerurlaub im letzten Jahr, die nie angekommen ist. Vermutlich ist auch sie mittlerweile verblichen und vergilbt wie dieser Tag.
***
Als hätte man den Sommer in einem Flakon eingefangen. All seine Lebendigkeit, seine Trägheit, die Hitze, die Geräusche der Insekten, die Sehnsucht nach Erfrischung, die staubigen Strassen…
Zitronen so naturalistisch sauer, dass mir das Wasser im Mund zusammenläuft. Fenchel so süsslich frisch, als stünde ich in aller Frühe am Marktstand. Immortelle so würzig, staubig, trocken, als liefe ich über mediterrane Klippen. Dort, wo mich I-I Terralba intellektuell berührt hat, trifft mich „Sempreviva“ authentisch und ohne Abstraktion mitten ins Herz. Leise, mit trägen Bewegungen eines Sommertages, schleicht er sich an, unerwartet. Und ich frage mich, wann genau die Sommer aufgehört haben, sich ewig anzufühlen.
Die Luft in unsichtbarem Tremor. Jeder am Morgen noch so klare Duft ist mittlerweile in Hitze getränkt und wie ein alter Sonnenschirm von der Sonne ausgeblichen.
Die in der Zwischenzeit trocken gewordene Schale der am Vormittag geschälten Orange liegt noch auf dem Holztisch. Die Erinnerung an ihre Saftigkeit ist vermeintlich zum Greifen nah, entwischt jedoch wie die Fruchtfliegen, wenn man danach zu fassen versucht. Die ausgepressten Zitronen liegen sauer in der Luft und suggerieren eine Vorstellung von Frische, welche selbst am Abend nicht wirklich eintritt. Das aus Rillen quellende Harz auf dem Holztisch ist schon ganz weich, kurz vor flüssig, eine Fliege hat sich darin verfangen. Die Halbsträucher der Strohblume, mittlerweile verkahlt, duften würzig, honigwarm und dennoch trocken. Bei jeder Duftwelle verwandelt sich der Mund in eine Staubwüste. Als ob sie es wüssten, werfen Wachholdernadeln kühle und balsamische Rettungsleinen, immer dann, wenn die Sinne zu überhitzen drohen. Der Lavendel gibt noch leise Lebenssignale von sich, den Kopf nur schwer auf den Schultern tragend.
In der abgedunkelten Küche liegt der noch frische Fenchel in seinem süsslichen Grün. Ihn zu verstauen, war wohl zu anstrengend gewesen. Der Bund Rosmarin, in ein Wasserglas gestellt, ist von der leblosen Hitze unbeeindruckt und flutet die Räume mit seiner Würze. Die Zeit zieht sich endlos hin und findet den Weg nicht mehr. Wie die Postkarte aus dem Sommerurlaub im letzten Jahr, die nie angekommen ist. Vermutlich ist auch sie mittlerweile verblichen und vergilbt wie dieser Tag.
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Als hätte man den Sommer in einem Flakon eingefangen. All seine Lebendigkeit, seine Trägheit, die Hitze, die Geräusche der Insekten, die Sehnsucht nach Erfrischung, die staubigen Strassen…
Zitronen so naturalistisch sauer, dass mir das Wasser im Mund zusammenläuft. Fenchel so süsslich frisch, als stünde ich in aller Frühe am Marktstand. Immortelle so würzig, staubig, trocken, als liefe ich über mediterrane Klippen. Dort, wo mich I-I Terralba intellektuell berührt hat, trifft mich „Sempreviva“ authentisch und ohne Abstraktion mitten ins Herz. Leise, mit trägen Bewegungen eines Sommertages, schleicht er sich an, unerwartet. Und ich frage mich, wann genau die Sommer aufgehört haben, sich ewig anzufühlen.
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