Young Hearts (Pure Essence) 2019

Anarlan
29.09.2020 - 17:46 Uhr
25
Top Rezension
8
Flakon
10
Sillage
10
Haltbarkeit
10
Duft

Walddisco

Dass das etwas in die Jahre gekommene, Mitte der Siebziger gegründete italienische Traditionsunternehmen Bruno Acampora das Wagnis eingeht, eine sieben Düfte umfassende Serie mit dem Namen „Acampora 54“ zu lancieren, welche die glamouröse Vor-Aids-Disco-Ära des exzessiven und legendären New Yorker Nachtclubs „Studio54“ beschwört, ist zunächst merkwürdig. Sobald man weiß, dass Bruno Acampora selbst regelmäßiger Gast auf der Tanzfläche des Studio54 war und irgendwie zum ausufernden Dunstkreis von Andy Warhol gehörte, wird die Verbindung etwas offensichtlicher. Duft Nummer Eins trägt dem zufolge auch als Hommage an den Gründer den Namen „Bruno“.

In den zur Serie gehörenden Visuals (dazu zählt ein wie ich finde eher lauwarmes denn heißes Video unter dem Titel „Acampora 54“ auf Youtube) wird das Disco Inferno ziemlich geordnet, handzahm und leicht verdaulich in schicken Bildern mit hübschen jungen Menschen gefeiert, inklusive der unvermeidlichen Discokugel.

Einen Miguel Matos, self taught-Parfümeur und Fragrantica-Reviewer mit Hang zur Experimentierwut (siehe seine "Scents of Fail"), mit der Kreation der Düfte zu beauftragen, dürfte da schon der verwegenere Schritt gewesen sein. Diese Wahl hat sich spätestens, nachdem sein zur Serie gehöriger „Young Hearts“ Mitte des Monats in der Independet-Kategorie des jährlich in Los Angeles verliehen „Art and Olfaction Awards“ als Sieger gekürt wurde, als möglicherweise richtige Entscheidung heraus gestellt.

Young Hearts also.

Dreh- und Angelpunkt des Duftes bilden die Harze und Balsame tiefgrüner borealer Nadelwälder mit ihrer majestätischen Ausstrahlung und Ruhe. Das hat nun so gar nichts mit exzessivem Nightclubbing zu tun, ist aber mindestens so schön. Zu dieser starken, in sich ruhenden Stimmung kehrt der Duft immer wieder während seines über viele Stunden dauernden Duftverlaufs zurück. Die Duftstoffkonzentration beim Extrait, welches ich teste, ist der blanke Wahnsinn. Ein paar Moleküle, mit dem Plastikstäbchen aus dem Pröbchen auf den Arm getupft, und der Duft ist im ganzen Raum wahrnehmbar. Meine Familie hat entgegen sonstiger Gewohnheiten alle Düfte (dabei waren noch „Robin“ und „Relight my fire“, dazu unten noch eine kleine Notiz) lautstark kommentiert, was an sich schon ungewöhnlich genug ist, da meine Duftvorlieben normalerweise niemanden zuhause scheren, sprich: Es werden kaum Kommentare zu Düften abgegeben. Ich muss dazu sagen, dass ich Düfte sparsam verwende, da ich eine zweite Hülle aus Geruch um mich herum für Aussenstehende eher unschön finde. Dieses Mal war das anders, die Bude roch wie ein Skandinavischer Hexenwald. Und um es vorweg zu nehmen: Young Hearts war der klare Favorit aller.

Young Hearts besitzen eine Dichte und Qualität und Dringlichkeit der Aromen, die ich bisher so nur von Annette Neuffer und einigen Parfums von Francesca Bianchi kenne. Der Beginn gleicht einer regelrechten grünen Explosion aus Galbanum, Bergamotte und Nadelwaldaromen, wobei Bergamotte dafür sorgt, dass der Gesamteindruck frisch bleibt, ohne in Galbanum-typische ölig-bittere Gefilde zu driften. Die deutliche Präsenz von Galbanum und daneben Eichenmoos, welches neben den Nadelwald-Balsamen das Rückgrat des Duftes bildet, schafft Verwandtschaften mit Galbanum-betonten Chypres wie Scherrer und Bandit, wirkt aber im Vergleich zu diesen alten Giganten (die ich beide sehr mag) deutlich moderner.

Im Verlauf treten weitere Aspekte deutlich in Erscheinung: Ledrig-kühl wirkender Safran, der eine staubig-würzige Erdung und Abdunklung herstellt, und eine tiefdunkelrote Rose, über die weitere florale Polarlichter wandern. Dunkles Patchouli (diesmal ohne Schokoladen-/Hippie- oder Blumentopf-Kolorit) bleibt dezent im Hintergrund, bis schließlich nach über 6 Stunden im Duftverlauf die Eichenmoos-lastige Basis mit wie ich finde deutlich animalischen, aber sehr anziehenden Aspekten durch Moschus aufwartet. Moschus hat eine warme, sexy, etwas schmuddelige Qualität, die dem Drydown sehr gut steht.

Der Duft vereint warme und kühle Aspekte, boreale Frische, die mit Intimität und Hautwärme spielt, so als würde man sich irgendwo in Skandinaviens Wäldern in einen warmen Schlafsack unter dem freien Sternenhimmel kuscheln. Und das ist unglaublich anziehend und behaglich und friedvoll und schön.

Da können die anderen gerne derweil durch die Clubs ziehen.

PS: Ich habe erst drei der 54er getestet, und beim „Relight my fire“ hat das Tanzbein dann schon heftig gejuckt. Ein Retro-Floral-Aldehyd-Kracher, als wären Grace Jones gerade im Taxi vorgefahren.

Gimme, gimme, gimme!
15 Antworten