Pour Un Homme de Caron 1934 Eau de Toilette

Version von 1934
Stefanu155
02.12.2020 - 15:25 Uhr
20
Hilfreiche Rezension
8
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
7.5
Duft

Der Problemlavendel

Nachdem es den altehrwürdigen Duft schon so lange gibt und er sich darüber hinaus bei einigen von mir hochgeschätzten Supernasen einer, ich möchte sagen, soliden Wertschätzung erfreut, wurde es höchste Zeit, mir den Knaben, den sich meine innere Nase schon längst und schon länger ausgemalt hat, mal vorzunehmen. (Erste Sätze sollen kurz sein - was schert es mich?)
Tatsächlich ist es so, dass ich mir diese Lavendel-Vanille-Combi recht gut vorstellen konnte, wie ich jetzt im nachhinein erfahren durfte, dann aber andrerseits Lavendel nicht zu den Stoffen gehört, die ich unbedingt ständig riechen müsste (gehört bei mir eher in die Kategorie "Gewürze", d.h. kann man auch zum Kochen verwenden...).
Desweiteren erzeugt das Adjektiv "vanillig" auch keine unmittelbare Schnupperlust in dem Sinne, dass ich das jetzt unbedingt haben wollte (siehe oben), was, langer Rede kurzer Sinn, dazu führte, dass ich von dem Teil bislang nur den Flakon kannte, ihn aber nie mechanisch betätigte.
Also erstmal "Holla! Was geht da ab?" Der herb-bittere Lavendel durchschneidet mit der Prägnanz eines Piratensäbels die umliegende Raumluft und sagt dabei "du sollst keinen anderen Gott neben mir haben." Das passiert auch nicht, denn 10 Sekunden lang bin ich durch den Lavendelschock hirnlich und affektiv eingeschränkt und nehm den Sprüher mal gleich mit an den Rechner, um nachher nicht nochmal aufstehen zu müssen (wer weiß, ob ich noch kann...) zum evtl. Nachdosieren.
Nun, 10 Sekunden gehen schnell vorbei und gaaaanz vorsichtig wagen sich die milderen Töne der grundierenden Sänft- und Süßlinge hervor, um ihrem Lavendelchef ein wenig den Bauch zu kraulen. Der ignoriert das aber nicht nur, sondern bekommt - jetzt wird er schweinisch, meine Damen und Herren - lüsterne, gerade zu schmutzige Anwandlungen.
Das macht Lavendel in gewisser Dichte und Deckkraft gerne so, aber man muss schon sagen... der hat's faustdick hinter oder unter den Ohren.
Ob man das jetzt eher als das Böckeln des (ungewaschenen) Jünglings, die Säuerlichkeit des brünftigen Weibes oder die von plötzlicher Geilheit (tja, der Lavendel!) übermannte Aura des älteren Herren wahrnimmt, tut nichts zur Sache und wäre reine Geschmacks- bzw. Geruchssache. Auch das Adjektiv "rattig" kommt mir hierzu noch in den Sinn...
Ich bin hin- und hergerissen, denn einerseits hatte ich so einem, wie ich dachte, "gediegenem" Oldschooler das gar nicht zugetraut und freue mich über die Überraschung, denn die meisten Oldschooler, die ich kenne, riechen für mich häufig wirklich nur alt, ich bin überrascht von meiner Freude... aber andrerseits - das ist schon fies!
Und nein, das ist nicht Hautchemie oder irgendsolche Mythologeme, ich habe auch keine Moleküle zerrieben (hihi) , das geht auf einem Stoffstück, auf Papier oder Kleidung genauso - genauso pieksig, ungeniert und direkt zur Sache.
Die Frage, die sich hier stellt, ist natürlich: hat der Herr Daltroff damals, 1934, dieses olfaktorische Zwischenspiel als "bei viel Lavendel unvermeidlich" hin- und in Kauf genommen, oder hat er gar absichtlich damit operiert und den Duft in diese Richtung "gestaltet", oder ist es ihm gar nicht in den Sinn gekommen, weil Lavendel in seiner Nase schon eine gewisse Gewöhnung und Abstumpfung erzeugte, dass er gar nicht auf solcherlei Gedanken kommen konnte?
Also, jedenfalls haben wir hier ein gewisses Lavendelproblem, einen Problemlavendel sozusagen, äh, wir haben dann einen Unterschied zwischen dem normal sich verhaltenden Lavendel, dem Schadlavendel und dem äh Problemlavendel. Und, äh, es ist ganz klar, dass, äh, dieser Lavendel, äh, ein Problemlavendel ist und es ist im Übrigen auch, im Grunde genommen, äh durchaus äh ein gewisses Glück gewesen, er hat um 1 Uhr nachts praktisch alles vollgeduftet. Und Gott sei Dank war in dem Haus, äh, war, also jedenfalls ist das nicht bemerkt worden.
Doch, von mir schon.
Und das, ich habe es schon gesagt, finde ich einerseits cool, dass der da so unerwartet Kante zeigt, andrerseits aber auch einen Tick zu viel... Jedenfalls kommt der Problemlavendel nach ca. 30 bis 45 Minuten (aber was er da womöglich schon angerichtet haben mag?) in Hausarrest, Untersuchungshaft oder Quarantäne und darf jetzt nur mit elektronischer Vanillefussfessel und Moschusmaske hinaus. Er trägt es mit Fassung und bildet damit auf lange Sicht ein sehr harmonische, ruhige und charakterstarke Einheit, die, wie es einem 86-jährigen gebührt, durch Altersmilde und menschenfreundliche Weisheit glänzt und sich nun doch, wenn auch spät, noch einmal der Menschheit als dienlich und fördernd erweist. Jetzt, das muss ich zu guter Letzt noch sagen, ist und riecht er tatsächlich so, wie ich ihn mir die ganze Zeit vorgestellt hatte. Hoffen wir, dass das Herz noch lange mitmacht.

Ihr Lieben, ich verstehe alle Grade von Bewertungen hier, eure Begeisterung und eure Kritik. Der ist wesentlich "stranger" als ich dachte, aber das finde ich auch wiederum gut. Und andrerseits... usw. usf.
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