26.10.2019 - 10:12 Uhr
Yatagan
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Yatagan
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54
Wo liegt die Zukunft von Duft?
Unkommentierte Düfte No. 139
Wer meine Kommentare oder Blogs gelegentlich gelesen hat, weiß, dass ich ein großer Freund von Klassikern bin und ein Blick in meine Sammlung reicht, um das zu bestätigen. Nun haben Klassiker den Nachteil, dass sie eine aussterbende Spezies sind. Immer mehr landen auf der schwarzen Duft-Liste, weil sie Inhaltsstoffe enthalten, die die IFRA als bedenklich einstuft und die in Konsequenz kaum noch verarbeitet werden. Einer nach dem anderen der berühmten Namen verschwindet von der Bildfläche oder wird bis zur Unkenntlichkeit reformuliert. Bleibt als letzte Option das akribische Studium des Vintagesegments, der Besuch von Flohmärkten oder einschlägiger Internetforen. Irgendwann ist man dann durch und kennt fast alles, was der Markt in früheren Zeiten hergab (Exkurs: Wer das nicht glaubt, mag auf meine Getestet-Liste schauen. Ich freue mich aber sehr über jeden Tipp von bisher nicht entdeckten Perlen). Wo aber liegt die Zukunft von Duft, wenn die Vergangenheit hinlänglich bekannt ist?
Folgt man Luca Turin, was ich (im Gegensatz zu etlichen Kritikern hier in diesem Forum) immer wieder mit Gewinn getan habe, so zeigt sich, dass die Empfehlungen in seinem ersten Duftguide (2008) konsequenterweise fast alle verfügbaren Klassiker aufführen: Mitsouko, Shalimar, Chanel No. 5, Jicky, White Linen, Eau Sauvage sowie einige moderne Klassiker wie Cool Water und Timbuktu, um nur wenige davon stellvertretend zu nennen.
Der zweite Guide (2018), zehn Jahre nach Erscheinen des ersten, wurde von vielen mit Spannung erwartet, denn nachdem sämtliche relevanten Klassiker besprochen waren, blieb nur noch der Blick auf die Gegenwart. Doch während etliche Leser erwartet hatten, dass sich Luca Turin dem hochpreisigen Nischenmarkt zuwenden würde, fiel seine Kritik zu Düften von Roja, Orto Parisi, MFK und anderen wider Erwarten schlecht aus. Zu Recht, wie mir (oft) scheint. Da der aktuelle Mainstreammarkt nur wenige Alternativen bietet, stellt sich die Frage, wo letztendlich interessante Entwicklungen zu finden blieben.
Turin empfiehlt in seinem Guide einen Blick auf kleine und kleinste Manufakturen. Gerade dort ist allerdings Vorsicht angeraten, denn auch etliche dieser Hinterzimmer-Firmen wollen dem willigen Kunden alles verkaufen, was der für einen exotischen Fund hält. Dennoch: Besonders in diesem Segment gibt es den einen oder anderen Lichtblick: Annette Neuffer, Baruti, Dusita, Francesca Bianchi, Jean-Michel Duriez, Mendittorosa, Papillon, Parfum d'Empire, The Zoo (Ich führe hier nur einige wichtige Kleinstmarken auf, insbesondere jene, bei denen ich in meinem Urteil dem von Luca Turin folge).
Was aber kommt nach 2018? Auch hier kann ein Blick auf Turins Homepage helfen und aufwändigste Recherchen nach den neuesten Hypes auf diversen Blogs abkürzen. Die dort von LT jüngst empfohlenen Düfte sind die folgenden (unter Angabe der Sterne, wobei ich die weniger gut bewerteten Düfte übergehe): Andy Tauer Les Années 25 (5 Sterne), Frassai Teisenddu (4 Sterne), Chatillon Lux Lamplight Penance (4 Sterne; Anlass für diesen Kommentar), Masque Romanza (4 Sterne), Zoologist Tyrannosaurus Rex (4 Sterne). Nebenbei bemerkt: Ein dort beschriebener Xerjoff erhielt nur einen einzigen Stern: provokativ, aber nachvollziehbar.
Auch dabei wird deutlich, dass sich Luca Turin den Außenseitern, den Kleinstmarken, den Manufakturen zuwendet, während teure Nische oder Mainstream durchfällt. Um es bei einigen der oben Genannten kurz zu machen: Auch ich empfehle Teisenddu und Tyrannosaurus Rex, finde Romanza und Les Années 25 allemal spannend - und blieb besonders an Chatillon Lux' Lamplight Penance hängen. Nicht etwa deshalb, weil ich diesen Duft für besser halte als die anderen oben empfohlenen, sondern weil er sich weit von den meisten mir bekannten Düften entfernt.
Lamplight Penance ist zunächst einmal einer der wenigen aktuellen Düfte, die noch eine regelrechte Duftentwicklung kennen. Weder die postmoderne Nische noch der Mainstreammarkt setzt 2019 auf Entwicklung, sondern auf monothematische Wiedererkennbarkeit. Das kann artifiziell verstanden werden (i.S. von Klarheit, Struktur, Nüchternheit), aber auch wirtschaftlich (i.S. einer schnellen Kaufentscheidung: alles muss sofort präsent sein, wenn ich mir den Duft zwischen Vormittagsmeeting und Lunch auf den Handrücken sprühen lasse). Lamplight Penance entzieht sich dieser olfaktorischen Transparenz und versteckte sich zunächst hinter einer prickelnden, etwas mineralisch wirkenden Eröffnung, die allerdings schon bald klar macht, dass da enorm viel mehr drunter und drin ist. Im Grunde ist der Duft sogar überladen, enthält zuviel - und weniger wäre wahrscheinlich mehr gewesen. Ich nehme nach den mineralischen Tönen eine alkoholische Note wahr und mehr und mehr eine derartige Dichte, dass man die o.a. Inhaltsstoffe kaum oder nur schwer isolieren kann. Wollte ich dem Duft eine Farbe zuordnen, so wäre es erdfarbenbraun, lederbraun, whiskybraun, kaffeebraun, holzbraun, balsambraun, guajakölbraun oder das Braun eines antiken Möbels. Helle Früchte oder Blüten kann ich im Grunde nicht isolieren. Vielleicht sind sie am Gesamteindruck entscheidend beteiligt, aber das lässt sich kaum mit Bestimmtheit sagen. Nach einer Weile entwickelt der Duft noch eine feine balsamische Süße (ich würde es nicht Harz nennen), bei der ein animalischer Ton (Moschus oder eine pflanzlich animalische Note) mitschwingt, der mir nicht immer ganz angenehm ist, der mich aber fasziniert, so wie es häufiger bei schmutzigem Moschus der Fall ist.
Übrigens finde ich, dass der Duft sich besser macht, wenn man ihn auf Textil trägt. Auf Haut entwickelt er sich farbloser. Vorsicht ist aber bei hellen Stoffen geboten, denn der Duft ist wirklich braun und schwer und könnte Flecken hinterlassen. Da ich kein Haltbarkeitsfetischist bin, im Gegenteil eher eine schwache Aura schätze, konstatiere ich, dass der Duft vielleicht ein bisschen zu lange haftet, aber weit von öliger Penetranz entfernt ist.
Im Drydown ist der Duft schließlich vor allem holzig, wobei sich eine balsamische Note noch lange hält. Andere Brauntöne (Kaffee, Whisky) haben sich dann verabschiedet. Der animalische Grundton schwingt weiter mit. Nichts für Freunde von unkompliziert Tragbarem à la Sauvage / Bleu, nichts für Fans von glattgebügelter Nische à la Marly, nichts für Liebhaber*innen von blasser Synthetik à la MFK, vielleicht am ehesten noch mit den sehr gehaltvollen Rojas vergleichbar - oder im positiven Sinne mit den hervorragenden Düften von Annette Neuffer, auch wenn mir diese charmanter erscheinen. Ich würde dem Duft nur eine 7.5 als Bewertung zugestehen, habe aber auf 8.0 erhöht, weil mich der Duft irritiert. Das gefällt mir.
Nachtrag: Der ungewöhnliche Name "Lampenlicht Buße" wird vom Hersteller auf der Homepage folgendermaßen erklärt: Lamplight Penance beziehe sich auf Henri Chatillon, einen Helden des Oregon Trails, der sich nach dem Tod seiner geliebten Frau, einer Ogallala-Indianerin, in die Stadt zurückzog, aber immer wieder auf dem Dachboden im Schein einer alten Öllampe, zwischen Artefakten seiner Erinnerungen sitzend, an sein früheres abenteuerliches Leben zurück dachte.
Wer meine Kommentare oder Blogs gelegentlich gelesen hat, weiß, dass ich ein großer Freund von Klassikern bin und ein Blick in meine Sammlung reicht, um das zu bestätigen. Nun haben Klassiker den Nachteil, dass sie eine aussterbende Spezies sind. Immer mehr landen auf der schwarzen Duft-Liste, weil sie Inhaltsstoffe enthalten, die die IFRA als bedenklich einstuft und die in Konsequenz kaum noch verarbeitet werden. Einer nach dem anderen der berühmten Namen verschwindet von der Bildfläche oder wird bis zur Unkenntlichkeit reformuliert. Bleibt als letzte Option das akribische Studium des Vintagesegments, der Besuch von Flohmärkten oder einschlägiger Internetforen. Irgendwann ist man dann durch und kennt fast alles, was der Markt in früheren Zeiten hergab (Exkurs: Wer das nicht glaubt, mag auf meine Getestet-Liste schauen. Ich freue mich aber sehr über jeden Tipp von bisher nicht entdeckten Perlen). Wo aber liegt die Zukunft von Duft, wenn die Vergangenheit hinlänglich bekannt ist?
Folgt man Luca Turin, was ich (im Gegensatz zu etlichen Kritikern hier in diesem Forum) immer wieder mit Gewinn getan habe, so zeigt sich, dass die Empfehlungen in seinem ersten Duftguide (2008) konsequenterweise fast alle verfügbaren Klassiker aufführen: Mitsouko, Shalimar, Chanel No. 5, Jicky, White Linen, Eau Sauvage sowie einige moderne Klassiker wie Cool Water und Timbuktu, um nur wenige davon stellvertretend zu nennen.
Der zweite Guide (2018), zehn Jahre nach Erscheinen des ersten, wurde von vielen mit Spannung erwartet, denn nachdem sämtliche relevanten Klassiker besprochen waren, blieb nur noch der Blick auf die Gegenwart. Doch während etliche Leser erwartet hatten, dass sich Luca Turin dem hochpreisigen Nischenmarkt zuwenden würde, fiel seine Kritik zu Düften von Roja, Orto Parisi, MFK und anderen wider Erwarten schlecht aus. Zu Recht, wie mir (oft) scheint. Da der aktuelle Mainstreammarkt nur wenige Alternativen bietet, stellt sich die Frage, wo letztendlich interessante Entwicklungen zu finden blieben.
Turin empfiehlt in seinem Guide einen Blick auf kleine und kleinste Manufakturen. Gerade dort ist allerdings Vorsicht angeraten, denn auch etliche dieser Hinterzimmer-Firmen wollen dem willigen Kunden alles verkaufen, was der für einen exotischen Fund hält. Dennoch: Besonders in diesem Segment gibt es den einen oder anderen Lichtblick: Annette Neuffer, Baruti, Dusita, Francesca Bianchi, Jean-Michel Duriez, Mendittorosa, Papillon, Parfum d'Empire, The Zoo (Ich führe hier nur einige wichtige Kleinstmarken auf, insbesondere jene, bei denen ich in meinem Urteil dem von Luca Turin folge).
Was aber kommt nach 2018? Auch hier kann ein Blick auf Turins Homepage helfen und aufwändigste Recherchen nach den neuesten Hypes auf diversen Blogs abkürzen. Die dort von LT jüngst empfohlenen Düfte sind die folgenden (unter Angabe der Sterne, wobei ich die weniger gut bewerteten Düfte übergehe): Andy Tauer Les Années 25 (5 Sterne), Frassai Teisenddu (4 Sterne), Chatillon Lux Lamplight Penance (4 Sterne; Anlass für diesen Kommentar), Masque Romanza (4 Sterne), Zoologist Tyrannosaurus Rex (4 Sterne). Nebenbei bemerkt: Ein dort beschriebener Xerjoff erhielt nur einen einzigen Stern: provokativ, aber nachvollziehbar.
Auch dabei wird deutlich, dass sich Luca Turin den Außenseitern, den Kleinstmarken, den Manufakturen zuwendet, während teure Nische oder Mainstream durchfällt. Um es bei einigen der oben Genannten kurz zu machen: Auch ich empfehle Teisenddu und Tyrannosaurus Rex, finde Romanza und Les Années 25 allemal spannend - und blieb besonders an Chatillon Lux' Lamplight Penance hängen. Nicht etwa deshalb, weil ich diesen Duft für besser halte als die anderen oben empfohlenen, sondern weil er sich weit von den meisten mir bekannten Düften entfernt.
Lamplight Penance ist zunächst einmal einer der wenigen aktuellen Düfte, die noch eine regelrechte Duftentwicklung kennen. Weder die postmoderne Nische noch der Mainstreammarkt setzt 2019 auf Entwicklung, sondern auf monothematische Wiedererkennbarkeit. Das kann artifiziell verstanden werden (i.S. von Klarheit, Struktur, Nüchternheit), aber auch wirtschaftlich (i.S. einer schnellen Kaufentscheidung: alles muss sofort präsent sein, wenn ich mir den Duft zwischen Vormittagsmeeting und Lunch auf den Handrücken sprühen lasse). Lamplight Penance entzieht sich dieser olfaktorischen Transparenz und versteckte sich zunächst hinter einer prickelnden, etwas mineralisch wirkenden Eröffnung, die allerdings schon bald klar macht, dass da enorm viel mehr drunter und drin ist. Im Grunde ist der Duft sogar überladen, enthält zuviel - und weniger wäre wahrscheinlich mehr gewesen. Ich nehme nach den mineralischen Tönen eine alkoholische Note wahr und mehr und mehr eine derartige Dichte, dass man die o.a. Inhaltsstoffe kaum oder nur schwer isolieren kann. Wollte ich dem Duft eine Farbe zuordnen, so wäre es erdfarbenbraun, lederbraun, whiskybraun, kaffeebraun, holzbraun, balsambraun, guajakölbraun oder das Braun eines antiken Möbels. Helle Früchte oder Blüten kann ich im Grunde nicht isolieren. Vielleicht sind sie am Gesamteindruck entscheidend beteiligt, aber das lässt sich kaum mit Bestimmtheit sagen. Nach einer Weile entwickelt der Duft noch eine feine balsamische Süße (ich würde es nicht Harz nennen), bei der ein animalischer Ton (Moschus oder eine pflanzlich animalische Note) mitschwingt, der mir nicht immer ganz angenehm ist, der mich aber fasziniert, so wie es häufiger bei schmutzigem Moschus der Fall ist.
Übrigens finde ich, dass der Duft sich besser macht, wenn man ihn auf Textil trägt. Auf Haut entwickelt er sich farbloser. Vorsicht ist aber bei hellen Stoffen geboten, denn der Duft ist wirklich braun und schwer und könnte Flecken hinterlassen. Da ich kein Haltbarkeitsfetischist bin, im Gegenteil eher eine schwache Aura schätze, konstatiere ich, dass der Duft vielleicht ein bisschen zu lange haftet, aber weit von öliger Penetranz entfernt ist.
Im Drydown ist der Duft schließlich vor allem holzig, wobei sich eine balsamische Note noch lange hält. Andere Brauntöne (Kaffee, Whisky) haben sich dann verabschiedet. Der animalische Grundton schwingt weiter mit. Nichts für Freunde von unkompliziert Tragbarem à la Sauvage / Bleu, nichts für Fans von glattgebügelter Nische à la Marly, nichts für Liebhaber*innen von blasser Synthetik à la MFK, vielleicht am ehesten noch mit den sehr gehaltvollen Rojas vergleichbar - oder im positiven Sinne mit den hervorragenden Düften von Annette Neuffer, auch wenn mir diese charmanter erscheinen. Ich würde dem Duft nur eine 7.5 als Bewertung zugestehen, habe aber auf 8.0 erhöht, weil mich der Duft irritiert. Das gefällt mir.
Nachtrag: Der ungewöhnliche Name "Lampenlicht Buße" wird vom Hersteller auf der Homepage folgendermaßen erklärt: Lamplight Penance beziehe sich auf Henri Chatillon, einen Helden des Oregon Trails, der sich nach dem Tod seiner geliebten Frau, einer Ogallala-Indianerin, in die Stadt zurückzog, aber immer wieder auf dem Dachboden im Schein einer alten Öllampe, zwischen Artefakten seiner Erinnerungen sitzend, an sein früheres abenteuerliches Leben zurück dachte.
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