Zino 1986 Eau de Toilette

Ponticus
19.02.2022 - 18:26 Uhr
71
Top Rezension
10
Preis
6
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
7
Duft

Streuner, Landstreicher, Tunichtgut – like a rolling stone !

“Like a rolling stone” ist einer der bekanntesten lyrischen Hits des Musikers Bob Dylan und wurde, sicherlich nicht ganz uneigennützig, vom bekannten Musikmagazin Rolling Stone zum besten Song aller Zeiten gewählt. Darin geht es um eine ehemals wohlhabende Frau, die inzwischen auf der Straße gelandet ist. Sie hatte sich immer über Obdachlose und Herumtreiber lustig gemacht und wird nun mit den Fragen konfrontiert, wie es jetzt höchstselbst ist, heimatlos, unbekannt und allein zu sein. So endet der Refrain des Songs immer mit der Frage, wie es sich nun anfühlt ein rolling stone zu sein und bezieht sich auf die Metapher, den umgangssprachlichen Begriff des „rolling stone“ der sich aus dem Zusammenhang ergibt und einen Landstreicher meint. Daher verstehen wir den Titel nicht als „wie ein rollender Stein“, sondern „wie ein Landstreicher“. Somit sind auch die Rolling Stones keine rollenden Steine sondern Landstreicher und haben sich auch bewusst so genannt!

Auch bei dem hier vorgestellte Parfüm, Zino von Davidoff, kommt mir eine solche Assoziation in den Sinn, einerseits was direkt den Duft von Zino anbelangt, andererseits auch beim Anblick des schwarz gewandeten Flakons mit dem billigen beigen Plastehütchen als Verschluß. Ein schwarzer Anzug kombiniert mit einer spaßigen Kasperkappe ist nicht schön, erfüllt aber den Zweck. Man nimmt halt was da ist, was verfügbar ist. Charakteristisch zwar, aber das macht das Fläschchen nicht hübscher.

Der Duft selbst beginnt angenehm mit lavendliger, grünfrischer Kräuterwürzigkeit, die von herber, krautiger Blumigkeit unterlegt ist. Gefühlt wie ein erholsamer und doch anregender Spaziergang am Morgen eines heißen Sonnentages nach einer eher unbequem verbrachten Nacht irgendwo unterm Sternenhimmel. Es riecht grasig, nach warmer Erde, trockenen Kräutern und Blüten. Ich glaube nicht, daß uns der Sinn danach steht ein Sträußchen zu pflücken, aber wir nehmen den bittrig-blumigen, leicht süßlichen Geruch der Wiese gut war, der uns mit seiner herben Maskulinität auch daran erinnert in der nächsten Stadt wieder einmal eine Waschsalon aufzusuchen. Dunkle Regenwolken ziehen auf, ein trockener Platz für die kommende Nacht muß gefunden werden. In der Tat gibt Zino hier ebenfalls die Richtung vor und weist den Weg in geschützte, aber dunkle, von modrigem Patchouliduft durchtränkte Keller mit süßlich, feuchten Ecken als sichere, aber auch schmierig-würzige Zuflucht vor der Finsternis. Und ja, da sind auch noch einige wärmende, samtige Facetten sowie eine aromatische Rauchigkeit zu bemerken, aber der gruftig-erdige und muffig-blütige Grabgeruch der Gewölbe gestattet nicht zu unterscheiden, ob dort in den dunklen Ecken irgendwo noch ein abgeriebener burnout Mopedreifen, eine alte, bekleckerte Lederjacke, eine Puderquaste, ein feines Holzschränkchen oder doch nur ausgedrückte Kippen liegen.

Zino von Davidoff passt für mich perfekt in das Bild so eines Streuners der auf „jeder Hochzeit getanzt“ hat und deren Träger dabei viele edle Parkettböden in Ballsälen, aber auch reichlich alte hölzerne Dielentanzböden in stickiger Kulturhäuser und Kneipen gesehen haben. Vom Vater getragen, vom Sohn probiert hat Zino die beleuchteten Badezimmerspiegelschränke des Allibertzeitalters zügig erobert und ist dann so schnell verglüht, wie er als Stern hell gestrahlt hat. Diese kometenhafte Eigenschaft teilt er allerdings mit einigen andere Düften seiner Zeit, die wie ein heller Komet den Dufthimmel ein Weilchen ausgeleuchtet haben und dann in den dunklen Tiefen der Ramschkisten verschwunden sind. Allen voran Discokönig Lagerfeld classic, Discoqueen Obsession, Obelisk von MCM, Loulou von Cacharel, Open von Roger & Gallet, Boss Number One und etliche andere. Heute streunen diese, vor allem der Zino, umher und werden mal hierhin, mal dorthin geräumt, selten genutzt, aber von Liebhabern begeistert erinnert und verehrt. Oft stehen sie auch vergessen in den hintersten Ecken der noch von Prilblumen verzierten Nasszellen und erwarten ihre glanzvolle Wiederkehr, derweil ihre ehemaligen Getreuen immer weniger werden.

Ein paar Enthusiasten, gerade hier auf Parfumo, wird es immer geben, die solchen Düften wie Zino die Treue halten, vielleicht sogar einige, die diese Düfte für sich neu entdecken. Die breite Masse der Parfümnutzer ist aber für derartige Kompositionen verloren. Es war einfach eine andere Zeit damals, die Männer waren anders, die Rolle der Frau war anders, es gab nicht mal Internet. Wie sagt man so treffend seid Klaus Wowereit „... und das ist gut so“! Das finde ich ebenfalls, denn jede Zeit braucht ihre eigenen Helden, auch wenn ich mich persönlich zu den eingangs erwähnten Enthusiasten zähle.

Dankeschön für das Begleiten dieser kleinen Landstreicherei des Zino Davidoff.
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