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Top Rezension
Stille Wasser sind tief!
Dieser Duft ist ein Phänomen: seit nunmehr über 40 Jahren ist er Jahr für Jahr der meistverkaufte Herrenduft in Frankreich, weltweit einer der erfolgreichsten die je kreiert wurden und er kommt und kommt einfach nicht aus der Mode. Erst kürzlich hat Dior seiner Kampagne für Eau Sauvage wieder ein neues Gesicht gegeben, bezeichnenderweise das des jungen Alain Delon. Warum kein neues, könnte man einwenden, so wie Enrique Iglesias seit einiger Zeit für Azzaro pour Homme wirbt, warum der gute, alte Alain Delon? Ganz einfach, weil er zum einen heute noch gut aussieht und sich wahrlich ‚gut gehalten’ hat, vor allem aber weil der Stil seiner frühen Tage heute wieder schwer en vogue ist – die sechziger und siebziger Jahre feiern wahre Urstände in Mode und Musik, aber auch in der Parfumwelt (mit Tom Ford als Hohepriester dieser Retro-Bewegung). Und so wundert es nicht wenn ein Magazin wie die GQ dem jungen, korrekt gescheitelten, Hornbrille und Beatnik-Outfit tragenden Mann von Heute nicht etwa ein neues, ach-so-frisches Wässerchen anempfiehlt, sondern das gute, alte Eau Sauvage – wenn schon Retro, dann richtig! Ein bisschen Authentizität kann ja nicht schaden, und mit dem jungen Alain Delon an seiner Seite können wir zwei Stilbildende Ikonen von erstaunlicher Modernität bewundern.
Apropos Ikonen: Dior warb vor einigen Jahren für sein Eau Sauvage mit der berühmten Comic-Figur Corto Maltese von Hugo Pratt und dem Slogan: ‚Méfiez-vous de l´eau qui dort’, was soviel heißt wie: hüten Sie sich vor schlafendem Wasser, oder auch: ‚stille Wasser sind tief’. Ich liebe dieses Bild: Corto, wie er mit durchdringendem Blick unter der Seefahrermütze den Betrachter ansieht, wie er sich den Kragen seines Pullovers gegen die steife Meeresprise über das markante Kinn zieht, und dann dieser Spruch darunter- einfach großartig! Kein noch so tolles Model hätte das Wesen dieses Duftes besser transportieren können, selbst Alain Delon nicht. Auch der berühmte mit Christian Dior befreundete Illustrator René Gruau zeichnete für Eau Sauvage, wie schon für Miss Dior, eine ganze Serie wunderbarer Bilder: zumeist einen frisch der Dusche entstiegenen Mann mit verwuschelten Haaren, mal lässig ein Handtuch über die Schulter geworfen, mal in einem weißen Bademantel, mal gänzlich nackt vor einem Spiegel stehend – immer ein Fläschchen Eau Sauvage in Reichweite oder in Händen, immer ein wenig ironisch zwinkernd. Parfumwerbung at it´s best!
Doch zurück in die sechziger Jahre, genauer: in die Mitte der Sechziger. Was war das für eine Zeit! Geradezu eine Art ‚Big-Bang’ in der Geschichte der Herrenparfümerie: so lancierte Guerlain 1965 das erste orientalische Parfum für den Herren: Habit Rouge – eine Legende! Im selben Jahre brachte Estée Lauder das originale Aramis auf den Markt und kurz darauf, 1966, zog Dior mit seinem ersten maskulinen Duft nach: Eau Sauvage – zwei Düfte die für Generationen zum Inbegriff des ‚guten’ Parfums und zum olfaktorischen Abbild ihrer Zeit wurden. Gemeinsam mit Habit Rouge, das nie auch nur annähernd die Verbreitung der beiden anderen erlebte, dafür aber immer als etwas exklusiver galt, revolutionierten sie nicht nur die Welt der Herrendüfte sondern den Habitus der Herren überhaupt, denn diese trugen plötzlich einen Duft, und nicht mehr nur vereinzelt, sondern ‚en masse’!
Interessanterweise waren alle drei Parfums auch bei den Damen derart beliebt, dass zwei der drei Parfumeure die diese Düfte schufen noch einmal zu Werke gingen und leicht modifizierte ‚pour femme’ Düfte kreierten: Bernard Chant komponierte für Estée Lauder ‚Azurée’ und Edmond Roudnitska ‚Diorella’ für Dior. Liebhaberinnen von Habit Rouge hatten ja ohnehin schon mit ‚Shalimar’ ihr feminines Gegenstück.
Edmond Roudnitska hatte die Angewohnheit seine Düfte sozusagen genealogisch zu entwickeln. So entstand Eau Sauvage aus dem früheren Eau Fraiche. Diorella wiederum bezog sich einereseits auf das Eau Fraiche, ebenso aber auf Eau Sauvage. Sein posthum erschienenes Le Parfum de Therese wiederum entwickelte sich aus Diorella.
Wie seinem eigenen Eau Fraiche liegt Eau Sauvage ein klassisch-frisches Eau de Cologne-Gerüst zugrunde. Eau Fraiche gewinnt seine Charakteristik durch eine die Frische kontrastierende herb-bittere Chypre-Basis, die Edmond Roudnitska für sein späteres Eau Sauvage allerdings wieder etwas zurückfährt, sodass der Chypre-Charakter zwar noch erhalten bleibt, den Duft aber nicht mehr so deutlich beherrscht. Und da ein wildes Wasser in der Regel auch durch eine wilde Natur fließt, fügte er ihm allerhand Krautig-Aromatisches wie Rosmarin und Basilikum bei, während ein paar flüchtige Blütenakkorde von Iris, Nelke und Rose vorüberrauschen – das wilde Wasser ist auch ein schnelles! – um letztlich in einem Delta von leisem Vetiver, sanften Moos, dezenten Ambertönen und etwas Moschus zur Ruhe zu kommen.
Klingt alles recht solide und nicht sonderlich aufregend, und wäre es vermutlich auch nicht, fügte Edmond Roudnitska dieser Komposition nicht noch ein entscheidendes Quentchen einer damals recht selten verwendeten und wenig beachteten Substanz bei: Hedion, ein entfernt nach Jasmin duftender Riechstoff von multiplen Fähigkeiten (bessere Haftung, größere Strahlkraft und Transparenz). Für den Einsatz dieser Hedione wurde Eau Sauvage in Fachkreisen berühmt – obwohl immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass es gar nicht so viel davon enthalte (Cliniques Happy soll voll davon sein!) Aber Roudnitska zeigte mit diesem Parfum wozu Hedion in der Lage ist: ‚...es zaubert den Tau auf welke Blumen zurück’ (Luca Turin). Und tatsächlich verleiht es diesem ‚Eau’ eine geradezu sprudelnde Feuchtigkeit und wie ein tosender Wasserfall die Luft mit abertausend kleinster Wassertröpfchen schwängert, so verströmt Eau Sauvage das feuchteste, dabei denkbar frischeste Aroma. Es lässt mich immer an vom Wasser umspülte Kieselsteine an einem sonnigen Strand denken. Was Intensität und Haltbarkeit des Duftes angeht, kann Eau Sauvage nicht mit Eau Fraiche oder gar Diorella mithalten – sollte es aber auch gar nicht. Die Funktion eines Duftes für den Herren war zu jener Zeit hauptsächlich ihn nach der Morgentoilette zu erfrischen und ein wenig dieser Frische mit in den Tag zu nehmen – nicht zuviel, das Parfümiert-Sein war damals noch definitiv Sache der Dame, sondern gerade soviel, dass ein frisches, und im Falle von Eau Sauvage auch herbes Aroma den Träger leicht und dezent umspielte. Man musste ihm schon recht nahe kommen um einen Hauch dieses Duftes wahrzunehmen.
Heute aber, die Gewohnheiten ändern sich, wie die Ansprüche an einen Duft, wird dieses ‚sich dezent auf die Haut des Trägers zurückziehen’ als Schwäche von Eau Sauvage empfunden – einstmals aber war es genau seine Stärke. Es ist ja auch nicht so, dass er einfach verschwinden würde. Nein, über viele Stunden bleibt er leise und dezent auf der Haut (oder auch Textil) erhalten und blüht sogar noch einmal kräftig auf wenn der Körper des Trägers z.B. beim Sport noch einmal in Wallung gerät. Ganz ähnlich funktioniert Chanels Pour Monsieur, wie Eau Sauvage ein Duft dem häufig mangelnde Intensität und Ausdauer vorgehalten wird. Dabei verkennt man im Grunde nur was sie eigentlich sind: Wunderwerke an nobler und leiser Zurückhaltung, bei bestmöglicher Langlebigkeit!
So modern dieser Duft zu seiner Entstehungszeit war und auch so empfunden wurde, haftet ihm heute doch etwas Konservatives an. Das mag daher kommen, dass man ihn zum einen schon lange genug kennt, dass er viele Erinnerungen an Menschen und Situationen ‚konserviert’. Vor allem aber hat er sich über die Jahre als geradezu perfekter Duft für den Büroalltag bewährt und wird folgerichtig zumeist auch als eher formaler Duft beschrieben, will heißen: weniger sinnlich, eher kühl. Trotz jahrelangem und geradezu massenhaftem Gebrauch ist er dabei interessanterweise nie in den Geruch des Ordinären gekommen.
Dass er heute, nach all den Jahren, auf einmal wieder derart ‚gehypt’ wird (GQ!), zeigt was für ein Geniestreich Edmond Roudnitska damals geglückt ist – ein Geniestreich, der nur ganz, ganz wenigen Parfumeuren bisher vergönnt war: vergleichbar Ernest Beauxs No 5 oder Jacques Guerlains Mitsouko.
PS: Hände weg von Eau Sauvage Extréme – ein unnötiger und absolut verunglückter Versuch dem originalen Duft mehr Gewicht zu verleihen. Eau Sauvage Fraicheur Cuir ist da schon besser, aber auch nicht wirklich überzeugend. Das originale Eau Sauvage ist unübertroffen, und bleibt es vermutlich auch.
Apropos Ikonen: Dior warb vor einigen Jahren für sein Eau Sauvage mit der berühmten Comic-Figur Corto Maltese von Hugo Pratt und dem Slogan: ‚Méfiez-vous de l´eau qui dort’, was soviel heißt wie: hüten Sie sich vor schlafendem Wasser, oder auch: ‚stille Wasser sind tief’. Ich liebe dieses Bild: Corto, wie er mit durchdringendem Blick unter der Seefahrermütze den Betrachter ansieht, wie er sich den Kragen seines Pullovers gegen die steife Meeresprise über das markante Kinn zieht, und dann dieser Spruch darunter- einfach großartig! Kein noch so tolles Model hätte das Wesen dieses Duftes besser transportieren können, selbst Alain Delon nicht. Auch der berühmte mit Christian Dior befreundete Illustrator René Gruau zeichnete für Eau Sauvage, wie schon für Miss Dior, eine ganze Serie wunderbarer Bilder: zumeist einen frisch der Dusche entstiegenen Mann mit verwuschelten Haaren, mal lässig ein Handtuch über die Schulter geworfen, mal in einem weißen Bademantel, mal gänzlich nackt vor einem Spiegel stehend – immer ein Fläschchen Eau Sauvage in Reichweite oder in Händen, immer ein wenig ironisch zwinkernd. Parfumwerbung at it´s best!
Doch zurück in die sechziger Jahre, genauer: in die Mitte der Sechziger. Was war das für eine Zeit! Geradezu eine Art ‚Big-Bang’ in der Geschichte der Herrenparfümerie: so lancierte Guerlain 1965 das erste orientalische Parfum für den Herren: Habit Rouge – eine Legende! Im selben Jahre brachte Estée Lauder das originale Aramis auf den Markt und kurz darauf, 1966, zog Dior mit seinem ersten maskulinen Duft nach: Eau Sauvage – zwei Düfte die für Generationen zum Inbegriff des ‚guten’ Parfums und zum olfaktorischen Abbild ihrer Zeit wurden. Gemeinsam mit Habit Rouge, das nie auch nur annähernd die Verbreitung der beiden anderen erlebte, dafür aber immer als etwas exklusiver galt, revolutionierten sie nicht nur die Welt der Herrendüfte sondern den Habitus der Herren überhaupt, denn diese trugen plötzlich einen Duft, und nicht mehr nur vereinzelt, sondern ‚en masse’!
Interessanterweise waren alle drei Parfums auch bei den Damen derart beliebt, dass zwei der drei Parfumeure die diese Düfte schufen noch einmal zu Werke gingen und leicht modifizierte ‚pour femme’ Düfte kreierten: Bernard Chant komponierte für Estée Lauder ‚Azurée’ und Edmond Roudnitska ‚Diorella’ für Dior. Liebhaberinnen von Habit Rouge hatten ja ohnehin schon mit ‚Shalimar’ ihr feminines Gegenstück.
Edmond Roudnitska hatte die Angewohnheit seine Düfte sozusagen genealogisch zu entwickeln. So entstand Eau Sauvage aus dem früheren Eau Fraiche. Diorella wiederum bezog sich einereseits auf das Eau Fraiche, ebenso aber auf Eau Sauvage. Sein posthum erschienenes Le Parfum de Therese wiederum entwickelte sich aus Diorella.
Wie seinem eigenen Eau Fraiche liegt Eau Sauvage ein klassisch-frisches Eau de Cologne-Gerüst zugrunde. Eau Fraiche gewinnt seine Charakteristik durch eine die Frische kontrastierende herb-bittere Chypre-Basis, die Edmond Roudnitska für sein späteres Eau Sauvage allerdings wieder etwas zurückfährt, sodass der Chypre-Charakter zwar noch erhalten bleibt, den Duft aber nicht mehr so deutlich beherrscht. Und da ein wildes Wasser in der Regel auch durch eine wilde Natur fließt, fügte er ihm allerhand Krautig-Aromatisches wie Rosmarin und Basilikum bei, während ein paar flüchtige Blütenakkorde von Iris, Nelke und Rose vorüberrauschen – das wilde Wasser ist auch ein schnelles! – um letztlich in einem Delta von leisem Vetiver, sanften Moos, dezenten Ambertönen und etwas Moschus zur Ruhe zu kommen.
Klingt alles recht solide und nicht sonderlich aufregend, und wäre es vermutlich auch nicht, fügte Edmond Roudnitska dieser Komposition nicht noch ein entscheidendes Quentchen einer damals recht selten verwendeten und wenig beachteten Substanz bei: Hedion, ein entfernt nach Jasmin duftender Riechstoff von multiplen Fähigkeiten (bessere Haftung, größere Strahlkraft und Transparenz). Für den Einsatz dieser Hedione wurde Eau Sauvage in Fachkreisen berühmt – obwohl immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass es gar nicht so viel davon enthalte (Cliniques Happy soll voll davon sein!) Aber Roudnitska zeigte mit diesem Parfum wozu Hedion in der Lage ist: ‚...es zaubert den Tau auf welke Blumen zurück’ (Luca Turin). Und tatsächlich verleiht es diesem ‚Eau’ eine geradezu sprudelnde Feuchtigkeit und wie ein tosender Wasserfall die Luft mit abertausend kleinster Wassertröpfchen schwängert, so verströmt Eau Sauvage das feuchteste, dabei denkbar frischeste Aroma. Es lässt mich immer an vom Wasser umspülte Kieselsteine an einem sonnigen Strand denken. Was Intensität und Haltbarkeit des Duftes angeht, kann Eau Sauvage nicht mit Eau Fraiche oder gar Diorella mithalten – sollte es aber auch gar nicht. Die Funktion eines Duftes für den Herren war zu jener Zeit hauptsächlich ihn nach der Morgentoilette zu erfrischen und ein wenig dieser Frische mit in den Tag zu nehmen – nicht zuviel, das Parfümiert-Sein war damals noch definitiv Sache der Dame, sondern gerade soviel, dass ein frisches, und im Falle von Eau Sauvage auch herbes Aroma den Träger leicht und dezent umspielte. Man musste ihm schon recht nahe kommen um einen Hauch dieses Duftes wahrzunehmen.
Heute aber, die Gewohnheiten ändern sich, wie die Ansprüche an einen Duft, wird dieses ‚sich dezent auf die Haut des Trägers zurückziehen’ als Schwäche von Eau Sauvage empfunden – einstmals aber war es genau seine Stärke. Es ist ja auch nicht so, dass er einfach verschwinden würde. Nein, über viele Stunden bleibt er leise und dezent auf der Haut (oder auch Textil) erhalten und blüht sogar noch einmal kräftig auf wenn der Körper des Trägers z.B. beim Sport noch einmal in Wallung gerät. Ganz ähnlich funktioniert Chanels Pour Monsieur, wie Eau Sauvage ein Duft dem häufig mangelnde Intensität und Ausdauer vorgehalten wird. Dabei verkennt man im Grunde nur was sie eigentlich sind: Wunderwerke an nobler und leiser Zurückhaltung, bei bestmöglicher Langlebigkeit!
So modern dieser Duft zu seiner Entstehungszeit war und auch so empfunden wurde, haftet ihm heute doch etwas Konservatives an. Das mag daher kommen, dass man ihn zum einen schon lange genug kennt, dass er viele Erinnerungen an Menschen und Situationen ‚konserviert’. Vor allem aber hat er sich über die Jahre als geradezu perfekter Duft für den Büroalltag bewährt und wird folgerichtig zumeist auch als eher formaler Duft beschrieben, will heißen: weniger sinnlich, eher kühl. Trotz jahrelangem und geradezu massenhaftem Gebrauch ist er dabei interessanterweise nie in den Geruch des Ordinären gekommen.
Dass er heute, nach all den Jahren, auf einmal wieder derart ‚gehypt’ wird (GQ!), zeigt was für ein Geniestreich Edmond Roudnitska damals geglückt ist – ein Geniestreich, der nur ganz, ganz wenigen Parfumeuren bisher vergönnt war: vergleichbar Ernest Beauxs No 5 oder Jacques Guerlains Mitsouko.
PS: Hände weg von Eau Sauvage Extréme – ein unnötiger und absolut verunglückter Versuch dem originalen Duft mehr Gewicht zu verleihen. Eau Sauvage Fraicheur Cuir ist da schon besser, aber auch nicht wirklich überzeugend. Das originale Eau Sauvage ist unübertroffen, und bleibt es vermutlich auch.
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Robert Johnston, Associate Editor, GQ