Crêpe de Chine 1925 Eau de Toilette

Yatagan
23.12.2019 - 09:49 Uhr
48
Top Rezension
8
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
8.5
Duft

1925

Unkommentierte Düfte No. 142

Das Jahr 1925 begann unspektakulär. Immerhin erhielt die norwegische Hauptstadt Christiania am 1. Januar ihren alten Namen Oslo zurück, den sie bis heute trägt. Abseits politischer und weltgeschichtlicher Ereignisse erschien 1925, und somit ein Jahr nach Kafkas Tod, sein bahnbrechender Roman "Der Prozeß", Busonis noch heute populäre Oper "Doktor Faust" wurde im seinerzeit noch unzerstörten Dresden uraufgeführt, Fritz Lang begann, vom Großteil der Weltöffentlichkeit unbemerkt, seine Dreharbeiten zu "Metropolis", der Film "Gold Rush", einer der Meisterwerke von Charlie Chaplin, wurde in New York zum ersten Mal gezeigt, auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs feierte Sergei Eisensteins Film "Panzerkreuzer Potemkin", einer der großen Meilensteine des russischen Kinos, Premiere, etliche Katastrophen und menschliche Tragödien ereigneten sich, politisch nachhaltige Entscheidungen wurden getroffen oder verhindert. Die Modewelt feierte 1925 ein besonderes Gewebe, den Crêpe de Chine, auch China-Krepp genannt, in den Kreationen von Augusta Bernhard (Modeschöpferin, 1886 - 1946).
Aus ebendiesem Grund hieß dann wohl auch einer der wichtigsten Düfte von Jean Desprez, erschienen bei F. Millot, "Crêpe de Chine". Der Name und die dahinter stehende Idee passen gut zu diesem seidenweichen und dennoch durch seinen starken Aldehyd-Auftakt synthetischen Chypreduft. Ähnlich alt wie Chanel No. 5 (1921) gehört Crêpe de Chine in die Riege der kühlen, eleganten, dandy- resp. divenhaften Düfte, die heute vielen so unmodern erscheinen und doch bei Kennern nie aus der Mode kamen. Der exzellente Parfum-Guide von Neil Chapman ("Perfume - in search of your signature scent" , 2019) widmet dem Duft einen besonders ausführlichen Abschnitt und auch in Haarmann & Reimers Duftatlas wurde er als wegweisend verzeichnet, und zwar in direkter Nachfolge von Chypres Coty als zweiter Urahn der blumig-frischen Chypres. Wer jetzt nicht schon sowieso weiß, wie der Duft riecht, bekommt hier eine genaue Beschreibung: Bergamotte (gehört zum Chypre), angereichert mit weiteren hesperidischen Noten (viel mehr etwa als bei Chanel No. 5), ein Herz aus Rose und dezentem Jasmin (gehört zum Chypre), weitere Blüten sind nicht isolierbar, weil die Aldehyde im Vordergrund stehen, Eichenmoos (gehört zum Chypre) und Moschus (gehört oft auch zum Chypre) in der Basis. Soweit so klassisch und unspektakulär, so unspektakulär wie das Jahr 1925 begann, aber Crêpe de Chine gehört zu jenen Parfums, die schlicht so gut gemacht sind, dass sie andere Düfte, die auf dem Papier genauso riechen sollten, überragen, selbst in späteren Versionen. Ich habe einen Flakon, der weitgehend demjenigen oben auf dem Foto gleicht und dem Design nach zu urteilen schon einige Jahre auf der Kappe haben dürfte.
Der Duft ist für mich eine echte Option für Heilig Abend.

Nachtrag: So unspektakulär das Jahr erschien, so schnell zogen dunkle Schatten auf, denn ein (größen)wahnsinniger Maler veröffentlichte in eben jenem Jahr ein Pamphlet, das alle Schrecken der folgenden Jahre vorausahnen ließ.

Ich wünsche allen Leser*innen ein friedvolles Weihnachtsfest!
Yatagan
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