Theorema 1998 Eau de Parfum

Aava
08.03.2014 - 18:57 Uhr
45
Top Rezension
10
Flakon
7.5
Sillage
10
Haltbarkeit
10
Duft

Die Leichtigkeit der Schwere

Ein Moment, in dem wir nur für uns sind. Alleine aber ganz und gar. Ein Moment im Licht. Eingehüllt in einen Kreis aus Musik. Einer Musik, die meinen Körper bewegt, und mich. Die Bewegung ins Licht taucht, einen Schatten ins Dunkel drum herum wirft und wieder daraus hervor tanzt. Eine Musik, die Stille erzeugt, rund herum. Nur ich und die Musik. Für diesen Moment. Ganz und gar. Theorema.

Theorema feiert diesen Moment, dieses Sein im Jetzt, das Beisichsein. Ohne Erwartung und ohne Kompromiss. Autark und autopoietisch. Nicht hart, sondern nah. Nicht kalt, sondern warm. Nicht gleißend hell, sondern golden zwielichtig. Ein großes Parfum, das ganz eigen nur für sich selbst steht aber dabei nicht auf den großen Effekt zielt. Ein Parfum, das mir vor 15 Jahren nicht vom Regal in den Schoß fiel, sondern seine Zeit gebraucht hat, um verstanden und empfunden zu werden. Andere Mainstream-Düfte aus dieser Zeit waren lauter, eleganter, eingängiger, ihrer Zeit eher voraus oder haben sich schlicht einfach besser verkauft. Wish, Envy, Rush, J’Adore, Allure, Déclaration, um nur einige zu nennen. Theorema stach neben ihnen nicht in besonderer Weise heraus und doch hat dieses Parfum die Zeit bis heute überdauert. Obwohl schon längst wieder offiziell vom Markt verschwunden, wird Theorema auch heute noch von einer großen Fangemeinde geschätzt, die ihm sogar eine eigene Facebookseite gewidmet hat: „Bring back Theorema“. Theorema war eigen und jetzt ist es Kult.

Grundsätzlich ein Orientale fällt Theorema aber dennoch irgendwie aus der Reihe. Viele Attribute, die ein orientalisches Parfum als solches klassifizieren, findet man zwar in Theorema: Gewürze, allerlei Blumen, balsamische Noten, Hölzer, eine gewisse Süße und Schwere. Und doch ist Theorema einfach anders. Theorema ist gegensätzlich und in genau dieser Gegensätzlichkeit liegt auch sein Reiz und seine goldschimmernde Schönheit. Viel orangige Frucht, Zitrisches, verhaltene Süße und weiche Holzigkeit in der Kopfnote. Sanft, verspielt, tanzend. Und dem Gegenüber schwere Gewürze. Vor allem Pfeffer, Zimt, Kardamom und Muskat. Erdend, ankernd, raumgreifend. Leichte und schwere Anteile setzen sich so wie Puzzleteilchen aneinander und bilden bis in die Herznote hinein bereits eine makellos weiche Einheit. Eine verspielt leichte und würzig warme Schwere, die den gesamten Duft unterlegt und ihn durchzieht, wie Goldadern Fels. Dieses Gold blüht in der Herznote zu einem solch strahlenden Schimmer auf, dass mir nur Hedione als Erklärung in den Sinn kommt. Hedione ist ein Wunderzeug. Nicht nur unterbaut es das Duftblühen mit einer gewissen Durchlässigkeit, es stellt auch vor allem die Blumen der Herznote ins Licht. In einen lang gezogenen Lichtmoment. Wie ein Sonnenstrahl, der auf eine Blüte fällt und sie warm und sanft in ein strahlendes Schimmern hüllt. Schön ist das und macht für mich einen großen Teil der wunderbar mühelosen Weiblichkeit aus, die Theorema trägt und gibt: „For the woman who defies definition“. Und auch hier sind die einzelnen Blütennoten so ineinander verwoben, dass allenfalls die Gartennelke einen Ticken deutlicher hervortritt als die anderen Blumen. So wie die einzelnen Noten jeweils ineinander verwoben werden, fließen auch die Duftphasen ineinander und geht das Schimmern der Herznote in das Glimmen der Basis über. Ein holzig warmes, gewürzig sanftes und weich blühendes Duftglimmen. Schwere und Schwerelosigkeit. Ein Moment im Licht. Mein Moment und ein Körper, der sich für kurz zu mir herüber bewegt. Tanzend verweilt er eine Sekunde zu lang an meiner Haut und atmet weiche Schwere ein. Wir tanzen zusammen.

Theorema ist für mich Christine Nagels Meisterstück. Handwerklich wie auch von der Einordnung in ihr Gesamtwerk nimmt Theorema meiner Meinung nach so eine ähnlich bedeutsame Stellung ein wie L'Eau d'Hiver in Jean Claude Ellenas Schaffen. Beide Düfte stellen für mich in gewisser Weise eine handwerkliche Meisterschaft dar und beide Düfte sind auch insofern miteinander vergleichbar als dass sie mit Gegensätzlichkeit arbeiten. Die gewürzige Schwere und strahlende Leichtigkeit in Christine Nagels Theorema und die olfaktorische Dichotomie von „kalt und warm“ in Jean Claude Ellenas Eau Chaude. Sowohl Theorema als auch L'Eau d'Hiver spielen dabei mit dem Konzept „Orientalisch“ und interpretieren es auf ganz eigene Weise. Während Theorema dabei aber vielleicht ein Kind seiner Zeit ist, das zwar mühelos aus dieser heraus ins Jetzt gefunden hat, entzieht sich L'Eau d'Hiver sui generis einer solchen Einteilung. Gemein dürfte beiden nach meiner Vermutung dennoch der sehr prägnante Einsatz von Hedione sein, der auf der einen Seite L'Eau d'Hiver eine fast unwirkliche Transparenz und Theorema auf der anderen Seite u.a. sein schimmerndes Strahlen verleiht.

Ein schimmerndes Strahlen, ein goldenes Licht, das sich auch ganz wunderbar in der fast asiatisch anmutenden Verpackung und im Glanz der Flüssigkeit selbst widerspiegelt. Zusammen mit dem eher zurückhaltend-puristischen aber hochwertig und individuell gestalteten Flakon ergibt das Gesamtbild Theorema für mich so eine ganz eigene Einheit. Und bei aller Eigenheit und anfänglichen Sperrigkeit ist Theorema doch eine Liebe für’s Leben. Einmal eingefangen, stelle ich mich seitdem immer wieder für einen Moment ins Licht, drum herum ein Kreis aus Musik und tanze für mich, tanze mit der Musik.

Ein Strahlen. Ein Moment im Licht.
Bring back Theorema!
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