Aava

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1 - 5 von 50
Aava vor 9 Jahren 40 23
5
Flakon
7.5
Sillage
7.5
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10
Duft
Die Signatur des Glücks
Manchmal trifft man das Glück. Gutes, richtiges Glück, das sich ganz leise ankündigt. Glück, das man hören muss, wenn es nur flüstert und das aber bleibt, wenn man es so gibt wie man es nimmt. Das bleibt vom ersten glücklichen Moment, in dem man die Hand auf das andere Herz legt und sich erkennt, und dann ein Leben lang. Zusammen mit der Liebe. Felsenfest.

Leise aber felsenfest. So ist auch L’Antimatière von der kleinen schweizer Parfummanufaktur LesNez-Parfums d‘Auteurs, deren außergewöhnliche, manchmal ein wenig avandgardistisch anmutende Parfums in kaum einer der exklusiven Parfumerien auf der Welt zu finden sind. LesNez ist genauso wie seine sehr besonderen Duftkunstwerke kein laut krachendes , sondern ein eher kleines und unaufgeregtes aber sehr feines Dufthaus, das mit Herz geführt wird. Man möchte dort nicht mehr sein als man ist, macht kein großes Brimborium um seine Parfums, bietet aber doch nicht nur eine sehr feine Qualität, sondern auch große Duftkunst, Leidenschaft für die Materie und Authentizität in Sein und Produkten. Hierfür wird mit namhaften Parfumeuren zusammen gearbeitet, die sich ähnlich wie ursprünglich bei Frédéric Malle nicht nur als Handwerker, sondern ebenso als Künstler, Komponisten, gar als Autoren ganz der Verwirklichung ihrer Duftvisionen widmen dürfen. Man ist sich dort bei LesNez verbunden, schätzt sich, genauso wie man seinen Parfums verbunden ist.

Und L’Antimatière, dieses zarte, auf den ersten Blick mehr als unscheinbar wirkende und gern unterschätzte aber ganz außergewöhnliche Duftgebilde, spiegelt genau all das wider. Besonderheit, die nicht laut sein muss, aus sich selbst heraus wirkt und etwas Magisches an sich hat, ohne dabei bewusst zu wollen. Es ist wie es ist. Und L’Antimatière ist eigentlich ein „Nicht-Parfum“. Antimaterie, ein luftleerer Raum, nicht greifbar und trotzdem existent. Ein quasi Duftexperiment, geschaffen von Isabelle Doyen, der Haus- und Hofparfumeurin des Hauses Goutal. Es spielt mit den Sinnen des Gegenübers, drängt sich nicht auf, aber ins Bewusstsein hinein, „wie Spuren einer Schrift, mit unsichtbarer Tinte geschrieben. Mehr gefühlt als gerochen, eindringlich geflüstert. Wie der Geruch des Morgenbetts, das auf der Haut schwebt.“ Wie Glück, das leise angeflüstert kommt, sich sehr unaufdringlich aber ebenso unhaltbar ins Bewusstsein schiebt und dann alles verändert. Das Leben verändert und füllt.

Tatsächlich wirkt L’Antimatière beim ersten Aufsprühen künstlich. Eine leichte Klebstoffnote, die mich auch immer wieder an den chemischen Körper von Molecule 01, von ISO E Super, erinnert. Aber doch irgendwie nicht so kantig, sondern weicher, voller, noch subtiler, weiblicher. Das erste Aufsprühen aber gibt das noch lange nicht preis. Und auf Papier schon gar nicht. L’Antimatière ist ein Hautduft, gehört dort hin und entfaltet sich auch nur da zu seiner vollen Wärme. Und während ich selbst immer wieder glaube nachsprühen zu müssen, weil L’Antimatière für mich als Träger nur ganz subtil wahrnehmbar ist, ist es doch raumfüllend. Selten habe ich so viele Komplimente für einen Duft bekommen, selbst wenn er nur ganz zurückhaltend im Büroraum schwebt und nur noch den Rest des Tages herüber weht. Und dabei ist L‘Antimatière wirklich keine große Duftkomplexität, die lang und breit analysiert werden muss. Grundkörper Moschus. Einer von der guten Sorte. Und Isabelle Doyen kann Moschus. Auch das Goutalsche „Musc Nomade“ stammt aus ihrer Hand und dieser Moschus ist für mich einer der Schönsten. Hautig, cremig, ein bißchen dreckig vielleicht aber immer auch licht und leicht. Und vielleicht mag der Moschusnote in L’Antimatìere die leichte Klebstoffanmutung des Anfangs geschuldet sein aber trotzdem ist auch dieser Moschus einer der ansonsten sauberen, cleanen, sehr lichtdurchlässigen, hellen und warmen und weichen Sorte. Da sticht und brennt nichts, sondern in Kombination mit einer gänzlich unaufdringlichen Ambernote, wärmt und schützt dieser Moschus. Verbindet sich mit meiner Haut, als wäre es mein eigener Duft. Mein Körper, mein Haus, mein Bild von mir selbst. Allenfalls etwas Medizinisch-Holziges lässt sich noch erahnen, das dafür sorgt, dass der Duft auf meiner Haut nicht in die Breite verschmilzt und platt wird. Ob dabei nun eine große Portion Ambroxan oder doch das vermutete ISO E Super oder vielleicht sogar beides mit im Spiel ist, vermag ich nur schwer auseinander zu halten. Sicher ist für mich aber, dass es eines oder beides sein muss, was neben all der Wärme auch für Halt und eine gewisse Kantigkeit sorgt. L’Antimatière behält neben aller Wärme und Weichheit auf meinem Körper nämlich doch immer auch seinen eigenen Körper, hat Kontur und Eleganz, ist ganz sich selbst, genauso wie ich beim Tragen ich selbst sein darf.

Und so ist dieses außergewöhnliche Parfum, das seinen ganz eigenen flüsternden Zauber ausstrahlt, inzwischen auch zu meiner Signatur geworden. Dieses Parfum, das eigentlich keines ist. Das mit der Wahrnehmung spielt und sich einschleicht. Das fragen lässt, ob es nun wirklich so ist wie es zu sein scheint. Ob man sieht, was man glaubt zu sehen. Hört, was man nur leise wahrnimmt und fühlt, was man sich nicht traut zu fühlen. Wie Glück, das sich leise ankündigt und das man erkennen muss. Und so wie die Signatur solchen Glücks die Liebe ist, ist L’Antimatière inzwischen meine. Meine Signatur, mein Duft, der mich ausdrückt, zu mir passt und mich durch die Glücksmomente meines Lebens begleitet:

Ich habe L‘Antimatière getragen, als wir uns das erste Mal geküsst haben. Und auch als wir geheiratet haben. Und bald wird unser Kind geboren. Die Signatur unseres Glücks.
23 Antworten
Aava vor 10 Jahren 45 34
10
Flakon
7.5
Sillage
10
Haltbarkeit
10
Duft
Die Leichtigkeit der Schwere
Ein Moment, in dem wir nur für uns sind. Alleine aber ganz und gar. Ein Moment im Licht. Eingehüllt in einen Kreis aus Musik. Einer Musik, die meinen Körper bewegt, und mich. Die Bewegung ins Licht taucht, einen Schatten ins Dunkel drum herum wirft und wieder daraus hervor tanzt. Eine Musik, die Stille erzeugt, rund herum. Nur ich und die Musik. Für diesen Moment. Ganz und gar. Theorema.

Theorema feiert diesen Moment, dieses Sein im Jetzt, das Beisichsein. Ohne Erwartung und ohne Kompromiss. Autark und autopoietisch. Nicht hart, sondern nah. Nicht kalt, sondern warm. Nicht gleißend hell, sondern golden zwielichtig. Ein großes Parfum, das ganz eigen nur für sich selbst steht aber dabei nicht auf den großen Effekt zielt. Ein Parfum, das mir vor 15 Jahren nicht vom Regal in den Schoß fiel, sondern seine Zeit gebraucht hat, um verstanden und empfunden zu werden. Andere Mainstream-Düfte aus dieser Zeit waren lauter, eleganter, eingängiger, ihrer Zeit eher voraus oder haben sich schlicht einfach besser verkauft. Wish, Envy, Rush, J’Adore, Allure, Déclaration, um nur einige zu nennen. Theorema stach neben ihnen nicht in besonderer Weise heraus und doch hat dieses Parfum die Zeit bis heute überdauert. Obwohl schon längst wieder offiziell vom Markt verschwunden, wird Theorema auch heute noch von einer großen Fangemeinde geschätzt, die ihm sogar eine eigene Facebookseite gewidmet hat: „Bring back Theorema“. Theorema war eigen und jetzt ist es Kult.

Grundsätzlich ein Orientale fällt Theorema aber dennoch irgendwie aus der Reihe. Viele Attribute, die ein orientalisches Parfum als solches klassifizieren, findet man zwar in Theorema: Gewürze, allerlei Blumen, balsamische Noten, Hölzer, eine gewisse Süße und Schwere. Und doch ist Theorema einfach anders. Theorema ist gegensätzlich und in genau dieser Gegensätzlichkeit liegt auch sein Reiz und seine goldschimmernde Schönheit. Viel orangige Frucht, Zitrisches, verhaltene Süße und weiche Holzigkeit in der Kopfnote. Sanft, verspielt, tanzend. Und dem Gegenüber schwere Gewürze. Vor allem Pfeffer, Zimt, Kardamom und Muskat. Erdend, ankernd, raumgreifend. Leichte und schwere Anteile setzen sich so wie Puzzleteilchen aneinander und bilden bis in die Herznote hinein bereits eine makellos weiche Einheit. Eine verspielt leichte und würzig warme Schwere, die den gesamten Duft unterlegt und ihn durchzieht, wie Goldadern Fels. Dieses Gold blüht in der Herznote zu einem solch strahlenden Schimmer auf, dass mir nur Hedione als Erklärung in den Sinn kommt. Hedione ist ein Wunderzeug. Nicht nur unterbaut es das Duftblühen mit einer gewissen Durchlässigkeit, es stellt auch vor allem die Blumen der Herznote ins Licht. In einen lang gezogenen Lichtmoment. Wie ein Sonnenstrahl, der auf eine Blüte fällt und sie warm und sanft in ein strahlendes Schimmern hüllt. Schön ist das und macht für mich einen großen Teil der wunderbar mühelosen Weiblichkeit aus, die Theorema trägt und gibt: „For the woman who defies definition“. Und auch hier sind die einzelnen Blütennoten so ineinander verwoben, dass allenfalls die Gartennelke einen Ticken deutlicher hervortritt als die anderen Blumen. So wie die einzelnen Noten jeweils ineinander verwoben werden, fließen auch die Duftphasen ineinander und geht das Schimmern der Herznote in das Glimmen der Basis über. Ein holzig warmes, gewürzig sanftes und weich blühendes Duftglimmen. Schwere und Schwerelosigkeit. Ein Moment im Licht. Mein Moment und ein Körper, der sich für kurz zu mir herüber bewegt. Tanzend verweilt er eine Sekunde zu lang an meiner Haut und atmet weiche Schwere ein. Wir tanzen zusammen.

Theorema ist für mich Christine Nagels Meisterstück. Handwerklich wie auch von der Einordnung in ihr Gesamtwerk nimmt Theorema meiner Meinung nach so eine ähnlich bedeutsame Stellung ein wie L'Eau d'Hiver in Jean Claude Ellenas Schaffen. Beide Düfte stellen für mich in gewisser Weise eine handwerkliche Meisterschaft dar und beide Düfte sind auch insofern miteinander vergleichbar als dass sie mit Gegensätzlichkeit arbeiten. Die gewürzige Schwere und strahlende Leichtigkeit in Christine Nagels Theorema und die olfaktorische Dichotomie von „kalt und warm“ in Jean Claude Ellenas Eau Chaude. Sowohl Theorema als auch L'Eau d'Hiver spielen dabei mit dem Konzept „Orientalisch“ und interpretieren es auf ganz eigene Weise. Während Theorema dabei aber vielleicht ein Kind seiner Zeit ist, das zwar mühelos aus dieser heraus ins Jetzt gefunden hat, entzieht sich L'Eau d'Hiver sui generis einer solchen Einteilung. Gemein dürfte beiden nach meiner Vermutung dennoch der sehr prägnante Einsatz von Hedione sein, der auf der einen Seite L'Eau d'Hiver eine fast unwirkliche Transparenz und Theorema auf der anderen Seite u.a. sein schimmerndes Strahlen verleiht.

Ein schimmerndes Strahlen, ein goldenes Licht, das sich auch ganz wunderbar in der fast asiatisch anmutenden Verpackung und im Glanz der Flüssigkeit selbst widerspiegelt. Zusammen mit dem eher zurückhaltend-puristischen aber hochwertig und individuell gestalteten Flakon ergibt das Gesamtbild Theorema für mich so eine ganz eigene Einheit. Und bei aller Eigenheit und anfänglichen Sperrigkeit ist Theorema doch eine Liebe für’s Leben. Einmal eingefangen, stelle ich mich seitdem immer wieder für einen Moment ins Licht, drum herum ein Kreis aus Musik und tanze für mich, tanze mit der Musik.

Ein Strahlen. Ein Moment im Licht.
Bring back Theorema!
34 Antworten
Aava vor 11 Jahren 36 30
7.5
Flakon
5
Sillage
5
Haltbarkeit
9
Duft
How to make a mixtape
Ein Mixtape mit den Lieblingssongs zusammenstellen, ins Auto steigen, die Fenster runterkurbeln, die Musik aufdrehen und mitsingend über die Landstraßen cruisen. Dabei in die Sonne blinzeln, den Ellenbogen aus dem Fenster hängen lassen und einfach weiter fahren – bis Patagonien oder sonst wohin. Den Job kündigen und eine Eisdiele in Istanbul oder eine Espressobar in Düsseldorf eröffnen. Zu viele Schuhe oder Parfums kaufen und zu oft in Urlaub fahren. Die Freizeit maximieren und allen sagen: „Mir egal, ich mach das jetzt einfach!“. Laut lachen und da sein. Einfach das Leben freuen!

Das Nasengold, wie ich Raute S, den ersten Duft des in Hamburg ansässigen und noch recht jungen Labels „Nasengold“ um Christian Plesch gerne nenne, macht einfach Spaß. Raute S macht mir einfach Spaß. So fröhlich und beschwingt wie der Duft selbst ist, lässt er mich werden. Ganz einfach, ganz automatisch und ganz unprätentiös passiert das. Ich schlage Salti durch den Tag und die Luft, springe über Kontinente in den Himmel und wieder zurück. Das geht mit dem Nasengold nämlich und so ist auch der Auftakt von Raute S spritzig, voller Sommer und Raum zum Atmen. Frei und unangepasst. Hier vibriert die Luft und knallen die Sektkorken. Ab jetzt wird gefeiert!

Tatsächlich riecht das Nasengold sofort von Beginn an deutlich nach der Note, um die die komplette Komposition aufgebaut zu sein scheint: Lie de Vin. Lie de Vin ist im Prinzip eine holzfassgereifte Weinhefe, wie sie z.B. bei der Herstellung von Cognac gewonnen wird und in kleinster Dosierung wohl auch schon seit langer Zeit Verwendung in der Parfumherstellung findet. Raute S beinhaltet davon aber offensichtlich nicht nur ein kleines Quentchen, sondern diese hefig-fruchtige Note zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Komposition. Sie ist das Zentrum, der Grund und der Boden des Duftes. Am Anfang spritzig und funkelnd, verbreitet sie in Verbindung mit einer zitrischen Komponente, der ätherischen Würze aus Pfeffer und Ingwer sowie der fruchtig herben Süße der Grapefruit sofort gute Laune. Ich habe selten einen Duft erlebt, der direkt in den ersten Sekunden nach dem Aufsprühen bereits eine derartige Präsenz besitzt und solch eine freundlich überschwängliche Atmosphäre verbreitet. Eine Haltung anfeuert, die zu Späßen aufgelegt ist, ohne dabei platt zu wirken. Fast vibriert die Kopfnote und sprudelt wie die kleinen Blubberbläschen im Prosecco. Hier finde ich die Weinhefe als Duftnote am präsentesten im gesamten Duftverlauf. Unter die prickelnd-vibrierende Oberfläche der Kopfnote legt sie sich als ein unterschwellig gärender Grundton, der mich in seiner gärenden Fruchtigkeit spontan an „Pulp“ von Byredo, nur in luftig und locker erinnert. Dadurch wird die hell-spritzige Lebensfreude der ersten Sekunden mit einer leichten Schwere unterlegt, die der Kopfnote Haftung gibt, so dass sie nie ins Hysterische abgleitet.

Im weiteren Verlauf wird die Grapefruit in Zusammenspiel mit einem eher hintergründig auftretenden, leicht seifig und sehr frisch anmutenden Rosenakkord präsenter, der Duft insgesamt etwas ruhiger und weicher. Überhaupt empfinde ich Raute S als eher unkantig aber dennoch als eigen und außergewöhnlich. Das hat Charakter und ist eigensinnig, geht aber nie auf die Nerven und beißt nicht. Raute S schlägt keine Haken und nimmt keine krummen Kurven. Der gärende Grundton franst nicht aus und wird nicht breit. Er gibt einen Rahmen vor, begrenzt zwar großzügig aber doch klar umrissen. Geschuldet ist die Kontur des Duftes sicher auch, dem wie ich finde, genialen Einsatz des Iso E Super in der Basis. Sehr weich und fluffig, zurückgezogen und hautnah wird der Duft gen Ende hin und bleibt dabei aber doch auch dicht und klar umgrenzt. Das Iso E Super, für mich eine als Einzelnote klare, feingeistige und fast schon übertrieben intellektuelle Note, die eher als warm dunkel-holzige Aura, denn als eindeutiger Parfumeffekt über die Haut schwebt und dabei stetig abklingt und wieder aufglimmt. In Raute S ist das Iso E Super fein eingebunden, sticht nicht explizit heraus und hindert den Duft aber dennoch daran, ins Beliebige abzurutschen. Das Molekül verleiht dem Parfum etwas zeitgemäß Modernes. Nicht unbedingt etwas Jugendliches aber doch ein bißchen Fashion, ein wenig Haut-Couture und ein Fitzelchen Punk. Mal flacht dieser Eindruck ab, ein anderes Mal wieder auf. So ist für mich der einzig Wermutstropfen des Duftes auch die eher zurückgenommene Sillage und nur durchschnittliche Haltbarkeit. Bei mir hält Raute S ca. 5-7 Stunden durch, wird aber in den letzten Stunden so hautnah, dass ich selbst Schwierigkeiten habe, den Duft noch wahrzunehmen. Aber mal zieht er sich wie gesagt zurück, mal lebt er auch wieder auf. Das Nasengold macht, was es will.

Und so versteht sich auch das Label laut der eigenen Homepage: Unangepasst, spontan und voller Lebensfreude. Ein Statement, das ich z.B. im Gegensatz zum künstlich zusammengerockten Marketinggerede um „Dreckig bleiben“ als absolut authentisch und glaubwürdig empfinde. Das nehme ich dem Herrn Plesch ab und das vermittelt auch Raute S. Und an genau diesem Punkt erinnert mich Raute S auch an einen meiner, wenn nicht gar den Lieblingsduft überhaupt: an Bosque von Humiecki & Graef. Bekannt ist das Dufthaus für sein Konzept, dass sich jedes ihrer Parfums einer bestimmten menschlichen Emotion widmet. Und bei Bosque ist es die Zufriedenheit. Bosque riecht für mich nach dem, was war und dem, was sein wird. Nach angekommen und ausgeglichen sein, nach Einklang und Zufriedenheit. Und auch Bosque stellt das her über das Zusammenspiel fruchtig-würziger sowie ausgleichend warmer und doch auch erdend herber Noten. Während Bosque für mich aber eine warme Zufriedenheit ausstrahlt und in mir auslöst, ist es bei Raute S eher die ausgelassene Freude am Leben. Ähnliche Gefühle, das eine Mal etwas ruhiger und das andere Mal etwas dynamischer, aber dennoch ähnlich. Und beiden Parfums ist zudem sowohl das Ansinnen, genau diese Gefühle vermitteln zu wollen als auch die Tatsache gemein, das auch tatsächlich zu schaffen. Das eine ist das Konzept hinter dem Duft und das andere ist es, dieses Konzept auch riech- und erlebbar zu machen. Das ist hier ganz wunderbar gelungen.

Und morgen kaufe ich mir als erstes einen Flakon vom Nasengold, mache mir danach ein Mixtape und fahre los...
30 Antworten
Aava vor 11 Jahren 37 27
5
Flakon
5
Sillage
5
Haltbarkeit
8
Duft
L'Air du Marrakech
Marrakesch. Durch heiße Straßen und enge Gassen. Ein Labyrinth, dann die Djemaa el Fna, der zentrale Marktplatz. Schlange geringelt um einen Arm. Aufgespießte Schafsköpfe und Hennatattoos. Feuerspucker und Wahrsager. Bunte Stoffe und Keramik. Von Hauswänden abbröckelnde Farbe, blau, gelb, rot, grün, satt. Rauch, Trommel, Lachen, Lichter, Düfte und Gerüche - Marrakesch lebt und wabert durch die Nacht.

Es ist nicht einfach, den Duft zu beschreiben, den eine Stadt wie Marrakesch ausstrahlt und der sirenengleich Fremde anzieht, immer weiter hinein, bis in ihr Herz. Bis in die dunklen, engen, staubigen Gassen der Medina. Eine Stadt voller Leben, Dreck, Geschäftigkeit, Ursprünglichkeit, bunten Farben und geruhsamen Menschen. Ein Duft, der sich in die Haare und Kleider legt, den man mit nach Hause trägt und der auch nach vielen Wasch- und Duschgängen immer noch als Erinnerung um und in meinem Kopf umherweht. Olfaktorisch ist die Stadt ein Supergau und das Gemisch aus Widerwärtigem bis Andersartigem bis Wunderbarem brennt sich tief ein. Die stadteigene Gerberei, die die Nase bis an die Grenze des Ertragbaren fordert. Die staubigen, trockenen Straßen der Medina, die nach Hitze, vielen Schritten und Geschäftigkeit riechen. Die aberzähligen Restaurants, aus denen es köstlich nach leise köchelnder Tajine duftet. Die bunten Hüte und Schals, die nach vielen Händen, warmen Stoffen und Farben riechen. Die kleinen Lädchen, in denen es nach Argan und natürlichen Farbpigmenten riecht. Und die Badezimmer aus Tadelakt, die so nass-porös nach einer Mischung aus feuchter Kreide und Amber riechen. Schöne und schreckliche Bilder der Stadt, so viele wie schöne und schreckliche Düfte der Stadt. Eine Mischung, die per se dafür gemacht ist, zu fordern und zu überfordern.

So schreit das Erleben der Stadt nach Runterkommen, nach einer Pause und Erholung. Am besten geht das in einem der zahlreichen Hinterhofcafés bei einem Glas frisch aufgebrühtem und hoch aufgegossenem Minztee, mit Blick auf blühende Pflanzen und den meist in diesen Hinterhöfen zur Abkühlung installierten Wasserspielen. Frischer Minztee. Nichts steht für mich mehr für Marrakesch. Für seine ruhige, weiche und erholsame Seite. Dunkler und starker Tee aus frischer Minze und grünem Tee, stark gesüßt. Heiß und kühlend gleichzeitig. Wunderbar.

Noch bevor ich wusste, wer Meo Fusciuni ist oder warum die Nummer 2 seiner dreiteiligen Nota di Viaggio Reihe Shukran (Arabisch für Danke) heißt, hat mich dieses Parfum schon an Marrakesch erinnert. An diese ruhigen Hinterhofmomente mit meinem Minztee, der kühlen Luft und dem Blick auf die blühenden Pflanzen. Shukran ist dieser Minztee. Dieses gemütliche Runterkommen von einem anstrengenden und erlebnisreichen Tag in dem so fremden wie faszinierenden Marrakesch. Dieses süße Übergleiten in die Nacht, in das Leben und den ganz eigenen Sog der Stadt. Frische Minze, etwas krautig, ein Stengel im Glas, ein Minzblatt abgezupft und zwischen den Fingern zerrieben. Vielleicht ein Quentchen Kamille oder Salbei und ansonsten süßer, schwerer Tee und von irgendwo her ein kleines Rauchwölkchen aus einer Shisha. Und damit hat man Shukran, die Nummer 2, auch schon erfasst. Mehr passiert da nicht, mehr kommt da nicht, außer dass man sich noch darüber streiten könnte, ob die Teenote nun ausgewiesen schwarz oder grün ist und die Tabaknote zur Basis hin noch etwas dominierender wird oder nicht. Alles in allem entwickelt sich die Nummer 2 aber eigentlich ganz kausal in eine Richtung, überrascht nicht mit irgendwelchen Kanten oder Wendungen und bleibt von Anfang bis Ende bei ihrem Thema: dem Minztee. Ja, das ist ein bißchen einfach strukturiert und vielleicht auf Dauer auch ein wenig langweilig. Auch die Sillage und Haltbarkeit sind eher durchschnittlich. Zudem darf man sich durchaus fragen, ob man selbst nach frisch aufgebrühtem Minztee riechen oder ihn lieber vor sich stehen haben und trinken möchte. Das alles ist so und doch ist Shukran für mich die schönste Interpretation von marrokanischem Minztee, die ich bisher unter der Nase hatte. Und das nicht nur deshalb, weil Shukran absolut authentisch nach Minztee riecht oder mich an die gemütlichen Hinterhofmomente erinnert, sondern weil er sofort Bilder von Marrakesch evoziert, die ansonsten nur sehr lose in meinem Gedächtnis herum schwirren und selten so geballt an die Oberfläche treten. Faszinierend.

Und tatsächlich hat sich Meo Fusciuni bzw. Giuseppe Imprezzabile, wie sein richtiger Name lautet, für seine dreiteilige Duftreihe Trilogia di Viaggio (Trilogie einer Reise) von seinen Reisen nach Istanbul, Sizilien und für die Nummer 2 dann von Marokko inspirieren lassen. Der italienische ehemalige Drogerist, mit einem Hang zur Poetik, macht seit einigen Jahren in Parfums und verkauft seine handgemachten und aus rein natürlichen Inhaltstoffen hergestellten Düfte, in seinem eigenen Laden in einer italienischen Kleinstadt. Zwar sind seine Kreationen weltweit erhältlich, aber für mich dennoch wirkliche Nische. Inspiriert von Reisen und Gedichten, mit Freude am Prozess der Herstellung und dem Gewicht mehr auf der Liebe zum Duft allgemein als auf dem fertigen Produkt, dem Marketing oder der Zielgruppe. Dem olfaktorischen Nomadentum sei er in verschiedene Länder und Städte auf der Welt gefolgt, angetrieben davon, das Leben, die Poesie des Lebens einzufangen in Parfum. Und wenn ich nun selbst daran denke, welche Bilder über Marrakesch sofort beim ersten Riechen an Shukran in mir entstanden sind, dann hat er das gut hinbekommen, der Singore Fusciuni.

2# Nota di Viaggio – Shukran – ist insgesamt ein absolut feiner und authentischer Minzteeduft, den ich zwar selbst nicht tragen aber immer wieder daran riechen möchte. Eine wunderbare Erinnerung an Marrakesch.

Marrakesch, ich atme deine Luft!
27 Antworten
Aava vor 11 Jahren 37 33
10
Flakon
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
7
Duft
Der moderne Punk
Dreckig bleiben - Ein Name, der für ein Parfum so ungewöhnlich wie seltsam ist. Mehr eine Haltung als nur ein Name, verkündet Dreckig bleiben von Individualität und Authentizität. Sich selbst bleiben, sich nicht beugen unter dem Druck der Masse. Anders bleiben. "Dreckig bleiben" ist gegen Konventionen und ein Kontrapunkt zu dem Allerlei der unzählbaren Parfumneuerscheinungen, die jedes Jahr in völlig unüberschaubarem Maß auf den Markt geschmissen werden. PMP - Perfumes Mayr Plettenberg, inzwischen hier im Forum auch hinreichend bekannt als die Kollaboration von Stefanie Mayr und Daniel Plettenberg, die "Dreckig bleiben" in Zusammenarbeit mit Parfumeur Mark Buxton kreiert haben, machen es anders. Sie produzieren gerade mal 999 Flakons ihres ungewöhnlichen Outsiderduftes und nennen es völlig anarchistisch "Dreckig bleiben". PMP setzen also auf Anti. Anti-Mainstream, Anti-Oberflächlichkeit, Anti-Mit dem Strom schwimmen. Das ist Punk. Das ist Never-Mind-the-Bollocks-Punk in modern.

Wer also von „Dreckig bleiben“ gehört hat, ist mit Sicherheit neugierig. Fragt sich, wie dieser Anti-Duft, diese "fein abgestimmte Absage an die Oberflächlichkeit", wohl riechen mag und was daran so besonders sein wird. Sein Ruf eilt ihm voraus und ich komme nicht umhin, ein wenig bewundernd meine Augenbrauen ob der Tatsache hochzuziehen, dass da ein junges Nischenlabel die Absage der Oberflächlichkeit wie ein großes Banner vor sich her trägt und sich gegen den Durchschnitt genauso wie gegen die Großen der Branche stellt, auf der anderen Seite aber eine Marketingwelle los getreten hat, die ich erstaunlich finde. „Dreckig bleiben“ spricht an und verführt. Das Konzept ist grandios. Jeder möchte individuell, ganz eigen und autark sein und auch so riechen. Das Konzept greift und ich schätze, dass nicht nur ich eins um´s andere Mal fast den „Buy now“ Button auf der liebevoll gestalteten „Dreckig bleiben“ Homepage angeklickt hätte, ohne vorher einmal an dem Duft gerochen zu haben. „Dreckig bleiben“ verspricht Individualität und Exklusivität und hat ganz offensichtlich damit alles richtig gemacht.

Laut des Beschreibungstextes von PMP zu „Dreckig bleiben“ soll der Duft eine gemütlich-leichte Lagerfeuerstimmung transportieren. Man sitzt mit den besten Freunden unbeschwert um ein Lagerfeuer an irgendeinem Fluss, wahrscheinlich irgendwo im Industriegebiet einer mittelgroßen Stadt, trinkt Bier aus Flaschen, die man nicht mit dem Flaschenöffner, sondern mit dem Feuerzeug gekappt hat, und unterhält sich, lacht, macht Krach. Nach Lagerfeuer und Rauch soll „Dreckig bleiben“ also riechen. Nach lockerer Ungezwungenheit. Etwas für Individualisten und Querdenker.

„Dreckig bleiben“ startet mit einem wunderschönen Akkord aus verschiedenen zitrischen Noten: Mandarine, Ingwer, Neroli, Bergamotte. Noten, die Leichtigkeit und eine gewisse spritzige Unbeschwertheit verkünden sollen. Ein wirklich wunderbarer Auftaktakkord, den ich grandios zusammen gestellt finde. Die Noten sind fein in- und miteinander verwoben und so harzig weich eingebunden, dass der Auftakt von „Dreckig bleiben“ schon überrascht. Überraschend weich fällt er nämlich dort aus, wo ich doch eher eine Kopfnotenbombe erwartet hatte, die brüllt, wie ein Punk, wenn er „God save the Queen“ mit gröhlt. Aber nein, „Dreckig bleiben“ brüllt nicht, es ist gemütlich. Hier ist nichts scharfkantig oder laut, sondern eher ein wenig herb aber sehr warm und weich. Eingebunden in die Harze der Herznoten macht die Kopfnote keinen Krach, sondern wirkt in meiner Nase rund und harmonisch. Allenfalls rieche ich aus der Verbundenheit der Einzelnoten den Ingwer heraus, der spritzig aber auch ein wenig holzig anmutet. Hier wird eine Ingwerknolle gerade von ihrer holzig faserigen Schale befreit und verströmt einen heilsamen, würzig-ätherischen Duft. All das ist nicht cologneartig, nicht luftig und taghell. Nein, die Kopfnote ist schwer, eher dämmrig, gemütlich wie ein großer Ohrensessel und gleich von Beginn an so in die Harze der Herznote eingebunden, dass klar ist: „Dreckig bleiben“ ist Harz, harzer, harzigst! Gurjum und Labdanum fließen in einer deutlich ambrierten Weichheit ein, während wohl das Elemiharz zusammen mit den Holznoten aus der Basis für die angepriesene rauchige Lagerfeuerstimmung sorgen soll. Aber dezidiert rauchig finde ich „Dreckig bleiben“ nicht. Auch nicht ausgewiesen holzig. Rauchige und holzige Anklänge lassen sich zwar erkennen, schieben sich aber nie in den Vordergrund. Erst in der Basis lässt die harzige Dominanz etwas nach und gibt den Holznoten mehr Raum. Sowohl das eher weiche Sandelholz als auch die etwas frischere Zeder kann man heraus riechen, wenn man danach sucht. Eine unsüße Vanille rundet ab, macht das Ganze freundlich und verleiht der Basis einen ruhigen und gesetzten Unterton.

„Dreckig bleiben“ präsentiert sich insgesamt nicht ausschweifend und nicht laut. Gerade die Basis empfinde ich sogar als recht konventionell. Schön aber nicht ungewöhnlich. An manchen Stellen wurden schon Vergleiche zu dem leider eingestellten Gucci pour Homme I aufgestellt, die ich bedingt nachvollziehen kann. Am ähnlichsten sind sich „Dreckig bleiben“ und GPH I in ihrer Basis, wobei ich GPH I deutlich würziger, weihrauchiger und orientalischer angehaucht finde. „Dreckig bleiben“ dagegen wirkt noch eine Spur weicher und zurückhaltender und damit für mich aber leider auch gewöhnlicher. Bei all dem Marketinggerede um Individualität und Authentizität, der Anti-Haltung und der Absage an die Oberflächlichkeit habe ich einen deutlich kompromissloseren und experimentelleren Duft erwartet. Erwartet habe ich einen so kompromisslosen Duft wie Bois d’Ascèse, der ähnlich wie „Dreckig bleiben“ nach Rauch und Lagerfeuer riechen soll. Im Vergleich zu „Dreckig bleiben“ setzt Bois d’Ascèse das rauchige Thema aber deutlich kraftvoller um. Während Bois d’Ascèse als Duft eine klare Ansage ist, polarisiert und in seiner Andersartigkeit fasziniert, spricht mich bei „Dreckig bleiben“ vor allem die Andersartigkeit des Marketingkonzepts an. Der Duft selbst, obwohl sehr schön und gut gemacht, wirkt auf mich nicht besonders ungewöhnlich und auch nicht besonders andersartig.

Dreckig bleiben – anders bleiben. Anders bleibt man hier in Gemütlichkeit. Hier besetzt kein Punk mehr ein Haus oder schrabbt ein paar schräge Akkorde auf der Gitarre runter. Der moderne Punk sitzt bei einem Bier mit seinen Freunden zusammen, hört elektronische Musik und diskutiert leise über kluge Themen bei einem langsam verglimmenden Lagerfeuer am Fluss, irgendwo im Industriegebiet einer mittelgroßen Stadt. Der moderne Punk bleibt dreckig, das aber nicht zu laut!
33 Antworten
1 - 5 von 50