Fougère Royale (2010) (Eau de Parfum) von Houbigant

Fougère Royale 2010 Eau de Parfum

Version von 2010
Profumo
07.02.2011 - 09:12 Uhr
41
Top Rezension
8.5Duft 7.5Haltbarkeit

Gelungener Spagat zwischen Tradition und Moderne

So, da wäre er also wieder, der Stammesvater der modernen Herrenparfümerie, der Abraham unter den maskulinen Düften. Er begründete nicht nur ein ganzes Genre, er definierte es auch für alle Ewigkeit – das Genre der ‚Fougère-Düfte’. Abertausend Nachfahren hat er gezeugt, doch bei aller Verschiedenheit, ist allen eines gleich: der unverrückbare Zweiklang von Lavendel und Cumarin. Egal ob das Mitglied der Familie sich aromatisches, klassisches, animalisches oder aquatisches Fougère nennt, diese beiden: scharf-krautiger Lavendel und pudrig-nussiges Cumarin, sind immer dabei. Gemeinsam bilden sie einen seifig-frischen Grundton wie er früheren Herrensalons zu Eigen war, als ‚mann’ sich noch rasieren ließ.
‚Fougère Royale’ ist aber nicht nur Stammvater der nach ihm benannten Duft-Familie, sondern darüber hinaus auch der erste Duft mit einer synthetischen Komponente, besagtem Cumarin. Erst kurze Zeit vor seiner Einführung gelang die synthetische Herstellung der einige Jahrzehnte zuvor in einem aufwendigen Verfahren aus der Tonka-Bohne (span.: cumarú) isolierten heu- und vanilleartig riechenden, kristallinen Substanz.
Aber nicht nur dessen Verwendung macht ‚Fougère Royale’ zu einem wahrhaft revolutionären Parfum, sondern vor allem ein über die pure Nachahmung in der Natur erlebbarer Wohlgerüche, wie dem Duft einer Rose oder des Veilchens, hinausgehendes Bemühen um Abstraktion. Denn es will uns vormachen wie Farn riechen könnte, wenn er denn riechen würde. Bis dato waren alle Düfte dechiffrierbar und trugen nicht selten im Namen, wie beispielsweise ‚Fleurs de Bulgarie’, schon einen Hinweis auf die Art und Weise des duftenden Inhalts.
Der berühmteste und recht unmittelbare Nachfolger von ‚Fougère Royale’, Guerlains ‚Jicky’, stellt seinen Vorgänger in dieser Hinsicht noch in den Schatten: es will uns nämlich nicht nur einen Duft vorgaukeln den es gar nicht gibt, nein, es will uns noch nicht einmal einen Hinweis darauf geben wonach es riechen könnte, und wem es gewidmet ist, ob Mann oder Frau – die völlige Abstraktion des Begriffes: Duft. So ist ‚Fougère Royale’ einen Schritt in Richtung Emanzipation des Duftes von natürlichen Vorbildern gegangen, ‚Jicky’ den zweiten und endgültigen. Nebenbei hat der Duft von Guerlain noch eine weitere synthetische Substanz eingeführt (und so das Entstehen einer weiteren Duftfamilie, die der orientalischen Düfte eingeläutet): das Vanillin.
Die Radikalität in der Abkehr und Überwindung traditionellen Parfum-Verständnisses ist bei ‚Jicky’ zwar ungleich größer und umfassender als bei ‚Fougère Royale’, aber ersteres hätte es gewiss so nicht gegeben, wäre letzteres nicht schon mutig vorangeschritten.

‚Jicky’ blieb und bekam sogar noch einen kleinen Bruder, der das Fougère-Thema noch stärker herausstellte: ‚Mouchoir de Monsieur’. ‚Fougère Royale’ aber verschwand irgendwann in den 50ger Jahren des folgenden Jahrhunderts, ganz so wie François Cotys legendäres und ebenso stilbildendes ‚Chypre’ im Schatten einer anderen Guerlain-Kreation verschwand: ‚Mitsouko’. Soviel zur Geschichte.
Das es nun auf einmal wieder da ist, grenzt schon an ein kleines Wunder, vor allem wenn man bedenkt, dass es fast zu Tode kopiert wurde, und die unendlich vielen Variationen auf ein und dasselbe Thema unsere Nasen phasenweise in einer Penetranz umwehten, dass wir meinten für alle Zeiten restlos bedient zu sein.

Aber weit gefehlt.
Tom Ford läutete mit Jacques Cavaliers ‚Rive Gauche pour Homme’ zu Beginn des neuen Jahrtausends eine zögerliche Renaissance dieses daniederliegenden Genres ein, die sich nun mit Düften wie Penhaligon´s ‚Sartorial’ und mit der Wiederauferstehung des Urahnen ‚Fougère Royale’ fortsetzt. .
Interessant dabei ist, dass diese Düfte nicht einfach so rausgehauen wurden, weil gerade mal wieder eine Retro-Modewelle durchs Land schwappt und man schlicht am großen Reibach teilnehmen möchte. Nein, ganz im Gegenteil: man spürt geradezu mit wie viel Sorgfalt sie aus den besten Materialien komponiert wurden - offenbar dem Wunsch folgend, zu zeigen, dass ein wirklich gutes Fougère nicht nur seine Existenzberechtigung hat, sondern neben einem guten Chypre oder einem guten orientalischen Duft durchaus bestehen kann.
Wer aber möchte, dass ein Fougère als exquisit und stilvoll empfunden wird, der muss sich wirklich viel Mühe geben, denn schlechte, einfach zusammengeschusterte und billig produzierte Fougères gibt es zuhauf. Ja, dieses Heer an uninspirierten und gesichtslosen Klonen finden wir in fast allen Duschgels, Shampoos und Deos mit dem Hinweis ‚for men’. Die massenhafte Verbreitung dieser Duftrichtung, mitunter auf allerniedrigstem Niveau (und darunter), führt nun leider dazu, dass Fougères heute eher als ordinär empfunden werden, sodass auch die wirklich guten es schwer haben ihren Status als herausragende Werke zu bewahren. Düfte wie ‚Azzaro pour Homme’ oder auch ‚Cool Water’ wurden so exzessiv nachgeahmt, dass sie selbst, diese Großtaten der Parfumgeschichte, von den unzähligen mediokren Nachfolgern vereinnahmt und in Sippenhaft genommen werden. Fougère = ordinär und billig, so lautet die gängige Meinung.
In diesem Umfeld einen Duft dieser Gattung auf den Markt zu bringen, und mag er auch noch so gut sein, zeugt von selten gewordenem Mut ein unternehmerisches Risiko eingehen zu wollen, aber auch davon, dass man offenbar der Ansicht ist, dass die Zeit für ein wirklich gutes Fougère reif sei. Man könnte auch sagen: es ist der Versuch einer Rehabilitation.

Ob er gelingen mag? Wir werden sehen.

Einstweilen bleibt festzustellen, dass ‚Fougère Royale’ diesem Versuch zur Ehre gereicht: kaum aufgesprüht, explodiert blitzschnell ein scharfkantiges Kräuteraroma, das aber umgehend, nur mit kurzer Verzögerung, von frischer Bergamotte eingeholt wird. Nun blüht ein Reigen krautig-aromatischer Akkorde auf, dessen Solisten - Lavendel und Kamille - von blumig-strahlendem Geranium und floral-würziger ‚Rondeletia Odorata’ (auch Panama Rose genannt) gerahmt werden. Etwas Zimt und Nelke geben diesem Akkord Fülle, ohne sich in den Vordergrund zu drängen.
Dieser krautig-blumig-würzige Chor ruht auf einem Fond von nussig-pudrigem Cumarin, kräftigen Patchoulinoten, markantem Salbei (mit seinen leicht urinösen Untertönen) und deutlich wahrnehmbarer, delikater grauer Ambra (Ambroxan), die den Duft von unten herauf wie Kohlensäurebläschen durchperlt, und ihm einen dezenten animalischen Twist verleiht.
Die üppige Verwendung des Ambroxans scheint mir eine Reminiszenz an den vielleicht größten aller Fougère-Düfte zu sein: an ‚Azzaro pour Homme’. Nur ist es bei ‚Fougère Royale’ dezenter in Szene gesetzt, wie der gesamte Duft an sich nicht die überrumpelnde Kraft und Potenz des berühmten Vorgängers (bzw. Nachfolgers) besitzt. Es ist ‚Fougère Royale’ anzumerken, dass es sich in allen Belangen um Zurückhaltung und Dezenz bemüht, aber dennoch nach Präsenz strebt. Zugleich möchte es maximale Stilsicherheit und besten Geschmack vermitteln – eine Mischung aus traditionellem Bewusstsein und aktueller, modischer Eleganz.
Ich finde, der Spagat zwischen Tradition und Moderne ist ihm gelungen, denn obwohl dem Duft eine teilweise altmodische Aura anhaftet, wirkt er doch erfrischend jung.
Vergleicht man ihn mit einem wenig später entstanden Duft, dem leider vor einigen Jahren verschwundenen ‚Crown Fougère’ (ich habe noch eine Probe von ihm), so kann man leicht feststellen, wo der Abzweig in Richtung Moderne bei ‚Fougère Royale’ liegt: beim Übergang der Herznoten zur Basis. Hier, wo die alten Fougères doch recht holzig, knarzig und manchmal auch leicht säuerlich enden, ist heutzutage alles viel runder, weicher und wärmer. Festes Material und strammer Sitz, nebst hochschießendem ‚Vatermörder’, sind glücklicherweise einer weicheren, fließenderen Textur gewichen, die weitaus mehr Lässigkeit vermittelt als Steifheit.
Wie allerdings ‚Fougére Royale’ ursprünglich geduftet haben mag, wird sich bis auf weiteres unserer Erkenntnis entziehen. Die beiden Parfumeure des neuen ‚Fougère Royale’ (R.Flores-Roux und Roja Dove) dürften allerdings ihre Nasen in dem alten gehabt haben – in der Pariser Osmotheque kann, wer möchte, daran schnuppern.
Luca Turin hat dieses Erlebnis in seinem Buch ‚Secret of Scent’ einmal wie folgt beschrieben:

„It does smell of coumarin, to be sure, but it is also fresh, clean, austere, almost bitter. This is the reference smell of scrubbed bathrooms, suggestive of black and white tiles, clean, slightly damp towels, a freshly shaven daddy. But wait! there's a funny thing there, something not altogether pleasant. It's a touch of natural civet, stuff that comes from the rear end of an Asian cat and smells like it does. [...] Small wonder Fougere Royale was such a success. At a distance, he who wears it is everyone's favourite son-in-law; up close, a bit of an animal“.

Nun ja, das Zibet ist heute verschwunden, aber das ‚animal’ ist immer noch da – ein ganz klein bisschen jedenfalls.

Das neue ‚Fougère Royale’ besitzt eine gute Präsenz, ohne laut zu sein - man muss schon im näheren Umkreis des Trägers sein, um den Duft wahrnehmen zu können.
Und auch die Haltbarkeit ist mehr als akzeptabel.

Zu guter letzt: der Flakon ist wirklich beeindruckend schön, nur die silberne Kartonage wirkt irgendwie billig.
Sei´s drum: ein rundum gelungenes Revival!
7 Antworten
Mustang69Mustang69 vor 8 Jahren
Soeben erst gelesen und sehr genossen. Ein großartiger Kommentar, herzlichen Dank hierfür!
YataganYatagan vor 13 Jahren
Die Blaupause für einen Kommentar. Dem Duft würdig.
UnterholzUnterholz vor 13 Jahren
Vielen Dank für diesen schönen Ausflug. Mit dem Duft am Handgelenk liest es sich noch schöner ;-)
CristalleCristalle vor 14 Jahren
Lehrreich und sehr interessant zu lesen!
CloverClover vor 15 Jahren
Wunderbar!
ApiciusApicius vor 15 Jahren
Ein großer Wurf - das Parfum und dieser Kommentar!
Medusa00Medusa00 vor 15 Jahren
wieder ein sehr schöner Kommi!