Eau Cendrée 1970 Eau de Toilette

Axiomatic
15.12.2023 - 13:01 Uhr
47
Top Rezension
10
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft

Widerspruch und Zistrose

Manchmal geschehen doch so kleine Wunder in der Duftwelt.
Längst Vergangenes wird wieder zugänglich und erfahrbar.
Mit Wehmut blickt man dann auf eine verloren gegangene Duftepoche, welche nur noch vereinzelt großartige Exponate zur Verfügung stellt.

Die Geschichte des Hauses Jacomo ist ungewöhnlich.
Es war Gérard Courtin, ein französischer Musiker, der nach einem Unfall und anschließendem Verlust seines Klavierspiels, in den 1960er in New York auf einer Reise James Kaplan, einen amerikanischen Kunstliebhaber, kennen lernte. Sie freundeten sich an.
Beide entschlossen sich, eine Boutique zu eröffnen, um luxuriöse Lederartikel zu verkaufen.
Ihre Marke sollte fortan Jacomo heißen.
Ja für JAmes, Co für COurtin und Mo für einen melodischen Abschluss.
Ab den 1970ern beauftragten sie Parfümeure aus Grasse mit sehr erfolgreichen Duft-Kreationen, welche dann das Hauptgeschäft der Marke werden sollten.

Heute werden die noch vertriebenen Düfte der Marke in der Normandie hergestellt.

Eau Cendrée, ein aschfahles Wasser also, war der erste Duft von Jacomo.
Trotz seiner gelungen Komposition und hervorragendem Flakondesign - er wurde sogar im Museum of Modern Art in New York ausgestellt - blieb ihm nur ein relativ kurzer Auftritt auf dem Markt gegönnt.
Zu sperrig oder gar missverstanden innovativ?

Zisch!

Die Jahrzehnte haben natürlich ihre Spuren hinterlassen und mein Exemplar ein wenig beeinträchtigt.
Da ich aber mehrfach diese Erfahrung mit zu alten Düften gemacht habe, lernte ich die Komponenten der Kopfnote in ihrem Verfall zu verstehen.
Gerade die Hesperiden entwickeln eine bittere Ester-Note, welche aber hier zum Glück schnell verfliegt und etwas Einblick verschafft.
Nicht gelistet vernehme ich neben der Bergamotte eine sehr helle Lavendelnote, leicht minzig sogar.
Und dieses führt mich zur Einteilung in die große Familie der Fougère-Richtung.

Bevor ich weiter den Duft beschreibe, möchte ich anmerken, dass der Sprühkopf einen nostalgischen Sprühnebel verströmt, welcher an Deospray erinnert. Drückt man einmal drauf, bekommt man feinverdünnt eine ordentliche Portion der Flüssigkeit auf die Haut.
Dafür gibt es natürlich von meiner Seite einen mega Pluspunkt!

So, nun weiter mit dem Duftverlauf.

Waschechte Ambra darf nun für eine mineralische Frische sorgen, hier als Alge deklariert.
Und spätesten jetzt zeigt sich, wie großartig diese Komposition ist.

Denn…

Nur zwei Jahr später, 1972, wird ein Urgestein das Licht der Welt erblicken, welches auf Eau Cendrée aufbaut, nämlich Drakkar Eau de Toilette . Wohlgemerkt der Vater vom Drakkar Noir Eau de Toilette aus dem Jahr 1982, welcher zum Superstar wurde.
Es sollte auch dem meiner Meinung nach besten Duft von Davidoff als Vorlage dienen, Davidoff Eau de Toilette von 1984. Hier stimme ich mit der Einschätzung von Parfumo MarkCross1 überein.

Dieses Eau Cendrée aber behält sich seine widersprüchliche Einzigartigkeit, es wird die Zistrose in all ihren Bestandteilen zum Glühen bringen und löschen.
Doch dafür benötigt es die äußerst schönen Hölzer im Hintergrund, als da wären Zeder und Sandelholz.

Herrlich, wie man die getrockneten Blüten der Zistrose in sengender Hitze erblicken kann!
Das Zusammenspiel mit der Ambra und dem Lavendel (hier dieses heu-ähnliche Cumarin) erzeugt kleine Funken.
Wer die Hitze im Sommer am Mittelmeer erleben durfte, weiß vielleicht, dass plötzlich der Körper eine sengende weiße Kühle verspürt, ein Widerspruch voller Magie.

Gepflegt wird der Duft immer grüner. Eichenmoos ist so gut eingebaut, dass es nie eine zu plumpe Nähe zu Rasierschaum suggeriert. Gepflegt ja, aber in Maßen.
Und hier wird es spannend. Wacholder und Piment vertiefen etwas die Bässe.
Diese fast schwarzen Beeren haben mit ihrer animalisch staubigen Eigenart die Fähigkeit, eine gezielt körperbetonte Anziehungskraft gut justiert zu zaubern.
Unterstützt werden sie von grünem Pfeffer mit einer recht angenehmen Würze, nie zu scharf oder überdeckend.
Alles ist im Lot.

Das nenne ich sexy!

Später werden die Harze der Zistrose, Labdanum also, zusammen mit Patchouli diese so typische Ledernote der 1970er offerieren.
Ein gefälliges Leder, gepflegt, edel gegerbt, nie zu laut.
Und dennoch kraftvoll. Als wäre der nackte Torso nur mit einer Lederjacke gekleidet, die Körperlichkeit nie verhüllend.
Ein kleiner Tanz zweier Häute, menschlich und tierisch zugleich.

Gegen Ende des Duftverlaufs versteht man den Namen.
Man hat die Leidenschaft der hitzigen Sonne eingesogen, es ist an der Zeit, die Feuer zu löschen, um sie für den Abend besänftigt weiterzugeben. Die große Kunst der Erotik!

Das Wasser färbt sich aschfahl nach dem Löschen der Glut und ihr Dampf erfüllt den Raum ein letztes Mal mit der Kraft des Feuers.
Eine lodernde Zeder, Zirstrosenblätter kurz vorm Verbrennen, all dies wird rechtzeitig vom kühlen Nass angehalten und eingefangen.

Plötzlich ist er da, der Zistrosenweg zum Strand.
Doch möchte der Duft nicht im Sommer, sondern in der kühlen Jahreszeit getragen werden und mit den sonnigen Erinnerungen wärmen.

Widersprüche ergänzen sich und ergeben Harmonie.

So wie die Danse Profane von Claude Debussy.
Man mäandert durch Höhen und Tiefen, kühles Wasser und holzige Hitze, um am Ende diese wunderschöne Eintracht abends zu genießen.

Und so löst die Zistrose die Gegensätze auf.

40 Antworten