Patou pour Homme (1980) (Eau de Toilette) von Jean Patou

Patou pour Homme 1980 Eau de Toilette

Version von 1980
DasguteLeben
04.03.2016 - 18:23 Uhr
29
Top Rezension
10Duft 9Haltbarkeit 7Sillage 10Flakon

The One

Ist es nun das größte Herrenparfüm aller Zeiten? Das wäre ein zweischneidiges Kompliment, denn was sind Herrendüfte mehr als die Zweite Liga der Parfümkunst? Die L'Origans, Mitsoukos, Shalimars, Tabac Blondes, Chanels, die Sternstunden der haute parfumérie, waren immer den Frauen gewidmet. Deshalb sage ich lieber, Patou pour Homme ist eines der ganz ganz großen Parfüms und diese Bewertung ist unabhängig von persönlichen Vorlieben. Die mythische Überhöhung dieses Duftes hat ihre Berechtigung, denn Jean Kerléo hat mit Patou pour homme ein handwerkliches und ästhetisches Wunder geschaffen, ein atemberaubend schönes und technisch verblüffendes Astrolabium des Duftes, in dem sich die dei Sphären der Parfümerie, Fougère, Chypre und Oriental, in perfekter Harmonie umeinander winden, in einem Miniaturkosmos mit einer unsichtbaren und unerklärlichen Mechanik. Betrachtet man den Bauplan, die Duftpyramide, und zwar in der umfangreichsten und wie ich glaube zutreffendsten Variante aus dem H&R Duftatlas, so bemerkt man die Fülle an Komponenten: Lavendel - Heu (Coumarin) - Moos bilden die Fougère-Achse; Petitgrain, Patchouli Moos und Leder die des Chypres; Zimt, Jasmin, Sandelholz Olibanum, Castoreum, Ambra, Vanille und Tonka den Orient, und dazu kommen noch Muskatellersalbei, Basilikum, Origanum, Nelke, Geranium, Vetiver und Fichte, Als erstes geht das Fougère am Horizont auf, krautiges Lavendel, sehr herb, fast anstrengend nach heutigen Maßstäben. Doch schon bald erwächst im Hintergrund eine würzige Süße und es entsteht ein dreidimensionaler Duftraum - das Astrolabium entfaltet sich magisch. Patou wird jetzt auch zugänglicher, deutlich vernehmbarer wird über die nächsten zwanzig Minuten der Zimtplanet, begleitet von Jasmin und Nelke - welch ein "olfaktorischer Anblick:" das Fougère steht am Himmel, das Oriental erwächst daneben und sie stören sich nicht, sondern greifen mysteriös ineinander in ihrem kosmischen Duftballet. Aber es bleibt nicht beim pas-de-deux, die mediterranen Kräuter haben schon eine Vorahnung des Chypres vermittelt (das Petitgrain ist anno 2016 vermutlich schwächer, als es im non-vintage-Zustand dieses Flakons war) und dann tritt es auch auf seiner Bahn ins Licht, gestützt von Vetiver und Fichte, als Patchouli-Moos Komplex (und ja, manche Komponente springt hier munter zwischen den Genres her oder verknüpft sie). Und statt in diesem Prozess der zunehmenden Komplexität dichter und dicker zu werden gewinnt das Meisterwerk sogar an Transparenz, es bleibt ein Tanz. Ètonnant! Monsieur Kerléo, wie haben Sie das gemacht? Wenn Patou pour homme immer wieder als Fougère, Chypre oder Oriental klassifiziert wird, so von blinden Weisen die einen Teil des Elefanten ertasten, von Astronomen, die nur ihren Himmel sehen - aber Kerléos Schöpfung ist das kosmische Ganze, eine kaum zu fassende Überführung des Duftbrutalismus der Powerhouse-Jahre mit seiner manchmal ins Absurde gesteigerten "everything but the kitchen sink" Philosophie in vollkommene Harmonie. Das ist in dieser Form nie wieder gelungen und wäre heute schon rohstofftechnisch und regulatorisch auch gar nicht mehr möglich. Ich bezweifle sogar, dass der Großteil heute arbeitender Parfümeure in der Lage wäre ein solches Parfüm zu kreieren, oder auch nur Kerléos Formel nachzubauen. Sein Werk grenzt an Alchemie und man möchte fast glauben, dass er, wie man es auch gerne von Robert Johnson erzählt, für dieses Talent seine Seele verkauft hat. Aber dafür ist Patou pour homme zu sehr das perfekte Abbild eines "ordre divine" der Duftwelt, das wir Parfümadepten mit großem Staunen, mit Ehrfurcht und tief bewegter Freude bewundern - und genießen sollten. Denn auch das ist Teil dieser Kunst: dass dieses unendlich komplexe und fein abgestimmte Gewirk aus der Entfernung der Umstehenden eine fugenlose, makellose Einheit repräsentiert - unkompliziert gut duftet und mit der nötigen Zurückhaltung aufgetragen selbst für eine kontemporäre ungeschulte Nase ein Genuss sein kann.
5 Antworten
MonsieurTestMonsieurTest vor 12 Monaten
Fein analysiert, überzeugend charakterisiert und angemessen bejubelt.
Klasse Rezension!
InseInse vor 7 Jahren
Danke für deinen Kommentar, der ist super.
Das beste Herrenparfum aller Zeiten ist für mich wohl Macassar von Rochas.
Ich kenne keinen besseren Herrenduft, mag aber auch einige Hermes, Lancome und Helmut Lang Düfte.
Aber leider leider wurde die Produktion ebenfalls eingestellt.
YataganYatagan vor 10 Jahren
Gerade heute noch mal seinen missglückten Nachfolger getestet... Ja und nochmals ja!!! Glücklicherweise habe ich auch noch ein paar ml des Originals. Auch der Flakon ist ja übrigens eine Sensation!
CappellusmanCappellusman vor 10 Jahren
Na, das nenne ich mal eine Huldigung, und zwar eine messerscharf analysierte und auch noch zutreffende. Muß gleich mal an meinen OF dieser Perle gehen...
NasenmannNasenmann vor 10 Jahren
Große Worte, wie sie sich ein Duft-Vermarkter nicht schöner ausdenken könnte. Das Tolle is nur, dass sie in diesem Fall durchaus angemessen sind! Mein einziges Problem mit PPH: in meinem Leben gibt es zu wenig Gelegenheiten es passend zu tragen!