John Varvatos 2004

Ormeli
28.04.2016 - 17:44 Uhr
15
Sehr hilfreiche Rezension
7
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
8
Duft

Tschai?

Kürzlich hatte ich mich in einer Nürnberger Einkaufspassage mit meiner Frau verabredet. Da noch etwas Zeit war, nahm ich eine Bank in Beschlag und ließ Gedanken und Blicke schweifen. Ich gebe es offen zu: Gelegentlich beobachte ich gern mal andere Menschen. Während das bunte Treiben auf mich wirkte, bahnte ein eigentümlicher Gedanke sich seinen Weg in mein Bewusstsein.

Was wäre wenn ich mir selbst begegnen würde? Wenn ich z.B. durch eine Diskontinuität im Raum- Zeitgefüge einen kurzen Blick auf mich selbst, sagen wir mal vor 15 oder 20 Jahren werfen könnte? Plötzlich und unvermittelt? Was würde ich meinem jüngeren ich sagen? Lottozahlen? Wichtige Nachrichten? Müsste ich mich nicht vor irgendetwas selbst warnen oder andererseits zu etwas ermutigen, was mir heute vielleicht als verpasste Chance erscheint?

Und umgekehrt? Sollte ich mich nicht bereits an so ein Ereignis erinnern können? Was wenn mein Gespräch, mit mir selbst, ungeahnte negative Folgen gehabt haben könnte? Wäre es dann nicht besser zu schweigen? Da kommt man ganz schön ins grübeln. Glücklicherweise sind derlei Ereignisse höchst unwahrscheinlich. Dagegen ist es viel wahrscheinlicher, das ein Bekannter die Passage betritt und mich in ein Gespräch verwickelt.

Wie hängt das mit John Varvatos zusammen? Nachdem meine Frau eingetroffen war entdeckte ich das in Leder gehüllte Fläschchen bei einem beliebten Restpostenverwerter zu einem attraktiven Preis. Blind gekauft und frisch aufgesprüht startet das Wässerchen fruchtig-würzig-fein und macht zunächst einen zurückhaltenden, aber guten Eindruck. Abgerundet von einer leicht balsamischen Basis.

Bei fruchtigen Düften, speziell wenn es leicht an Apfel erinnert, winke ich schnell ab. Doch mutet es eher wie ein würziger Tschai an. So feigenhaft-dattelig hatte ich John Varvatos, nach meinem Null-Test nicht in Erinnerung.

Aber so bleibt es nicht. Denn nach spätestens zwei Stunden ist der fruchtig-krautige Anteil weitestgehend verschwunden und langsam wird es sandel- süß und weicher, in engem Rahmen auch vanillig. In den folgenden Stunden spult John Varvatos sein lieblich-warmes Programm ab, bis die Duftquelle, an meinem Handgelenk, nach insgesamt rund acht Stunden versiegt. Das versprochene Leder bleibt jedoch auf der Strecke.

Insgesamt startet er nicht so Fruchtig, wie meine Beschreibung vielleicht vermuten lässt. Es handelt sich eher um ein dezentes, krautiges Duftwasser mit einer leicht süßen, fast beschwingten, minimal cremig-balsamigen, ambratischen Basis. Beigaben wie Oud oder Leder bleiben unterhalb der Wahrnehmungsschwelle.

Ein dezent zurückhaltender Duft für kühle, aber nicht kalte Tage, der sich irgendwo in der Übergangszone zwischen Massenmarkt und Nische ansiedelt. Bei seiner Entwicklung zeigen sich eher maskuline Aspekte. Zwar belanglos aber nicht schlecht. Keine explizite Kaufempfehlung, außer - falls ein zurückhaltender Vielzweckduft in der Sammlung ersetzt werden möchte.
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