Nitchevo 1973 Eau de Toilette

Laser
27.05.2017 - 14:06 Uhr
42
Top Rezension

Blütenträume

Mit 17 war ich fädchendünn, ich spielte Violine und hatte Turgenew, Chechov, Tolstoi und einiges von Dostojewski gelesen.
Einen Teil meines Schulwegs legte ich häufig mit einem Mädchen zurück, das sitzengeblieben und neu in meiner Klasse war. Sie hatte prächtiges Haar, eine dunkelblonde Mähne, die sie oft mit Schwung zurückwarf und schüttelte.
In meiner Klasse (ich besuchte eine Klosterschule und wir Mädchen waren unter uns) duftete es damals nach Fidji. Abgesehen davon, dass dieser Duft für mich unerschwinglich war, denn ich hatte 6 Geschwister und meine Eltern hatten so gar keinen Sinn für alles, was sie "Fisematenten"nannten, abgesehen davon wollte ich auch nicht wie alle anderen, und schon gar nicht nach Südsee duften.
Und dann entdeckte ich Nitchevo. Ein kleiner Flakon, der an ein Zwiebeltürmchen erinnerte, ein Duft... ein würziger Auftakt, ein üppiges Blumenbouquet, eine dunkle Basis aus Moos und Hölzern. Der gestirnte Himmel über der Tundra, endlose Wälder, Ballnächte, dunkler Samt auf blasser Haut, geraubte Küsse, heimliche Schwüre, unverbrüchliche Liebe ... und Opulenz, rauschhafter Überfluss. Ja, dieser Duft war es, der meine Einzigartigkeit betonen sollte, meine geheimnisvolle russische Seele, die in einem spillerigen Mädchenkörper wohnte.. Mit dem Entgelt für einen Abend Babysitting konnte ich die 8 ml - Größe auch bezahlen.
Wie gesagt, ich war 17 und auch mich streifte eines Tages Amors Pfeil. Ein junger Mann, ein Student, der in der Nachbarschaft zur Untermiete wohnte, war es, der mein Interesse weckte. Er war dunkelhaarig, bewegte sich geschmeidig wie der schwarze Panther im Zoo. Aber er schien mich nicht wahrzunehmen.
Eines Tages jedoch hörte ich seinen raschen Schritt hinter mir. Er schloss auf, eilte dann aber nicht weiter - er sprach mich an: "Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie einfach so ... Ich würde das sonst nie machen .." Rot wurde er, blass ich, Herzklopfen, was soll ich erzählen, Ihr kennt das alle. Mein russischer Zauber hatte endlich gewirkt!
"Ich wollte fragen, wo ich Ihre Freundin finden kann, Sie wissen schon, die blonde, mit der Sie sonst immer gegangen sind." Mein Herz zersprang in tausend Stücke. (Heute würde ich sagen, eher mein Selbstwertgefühl.)
Meine Mitschülerin drohte zum wiederholten Mal sitzenzubleiben und war auf ein piekfeines Internat geschickt worden. "Naja, dann kann man nichts machen - Tschüss dann!"

Wenige Monate später traf ich den Mann meines Lebens. Er hatte Turgenew, Chechov, Tolstoi und einiges von Dostojewski gelesen.
12 Antworten