Kiton Men 1996 Eau de Toilette

Chimo
11.03.2021 - 13:48 Uhr
13
Top Rezension
9
Preis
6
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
7.5
Duft

Geliebte Langeweile

An einem Tag im Jahr 1897 steht ein Mann an einer Straße und filmt eine Szene. Man kann den kolorierten Clip auf Youtube finden. Es sind überraschend zärtliche Bilder. Wir sehen erwachsene Menschen, die Schneebälle werfen. Sie hüpfen und werfen, greifen wieder und wieder ausgelassen in den Schnee, suchen sich immer neue Mitspieler und bedecken immer neue Rücken und Mantelkrägen mit dem weißem Pulver. Es ist so unschuldig und vermodern, ein so famos und überaus kolossaler Spaß, dass man ganz still wird. Lautlos wie der Film selbst. Sie wissen nicht, dass sie noch den Blutdurst ihres Zeitalters erleben werden, dessen Erde sie verschlingen wird. Sie werfen Schneebälle. Es ist die Zeit der Unschuld.

Kiton Men war für mich immer so wie diese Szene: Heiter und vormodern und ein bisschen außerhalb der laufenden Ereignisse. Der Duft wirkt wie aus einer Welt, in der man noch da und dort eine Blume im Knopfloch finden konnte, in der Männer im Alltag Anzüge trugen (so gut es in ihren sozialen Klassen möglich war) und in einem seltenen Moment des Übermutes plötzlich kolossal heiter werden konnten.

Der Duft startet mit angenehmer Bergamotte, die in eine ungesüßte Ananas eingebettet ist. Vor allem aber ist Kiton Men von einem weichen floralen Aroma umworben, das aus einem Kerl einen Herren machen kann, wohlmeinend und leise. Es wirkt so höflich und zuvorkommend, so überaus klassisch und ohne geckenhafte Attitüde, dass man fast schon in die Jahrhunderte zurückfällt. Der Duft hat so gar nichts Auftrumpfendes und Plakatives. Er ist in keinem Moment berechnend. Und bevor die Blüten möglicherweise ungebührlich durchschlagen, dimmt er die aufkeimende Farbpalette auch schon mit Trockenheit ab. Das ist auf altmodische Weise elegant. Ein angenehmer Gefährte.

Und es ist einfach grundehrliches Handwerk. Auf der Verpackung liest man keinen Chemiebaukasten, sondern nur wenige Zutaten. Der Duft dreht keine waghalsigen Pirouetten, sondern begleitet einen so zuverlässig durch den Alltag wie ein Einstecktuch. Und auch wenn die großen Komplimente ausbleiben, weil schlichtweg die Effekte fehlen, mag das langweilig wirken, wo es doch schön ist.

Und ja, die Langeweile. Sie hat ja einen schlechten Ruf. Dabei schenkt sie uns ihren großen Bogen jenseits sprunghafter Attraktionen. Sie ist so langsam und zeitverloren wie ein ereignisloser Wintertag. Der Duft erzählt ein bisschen davon, von langsamen Gesten und lautlosem Warten. Aber er erzählt auch davon, dass plötzlich was passieren kann. Diese Begegnung in der Strasse, in der Menschen zusammen kommen und Schneebälle werfen. Nichts hat darauf hingearbeitet, nichts lärmt dazwischen. Es ist, wie der Duft ist.

https://www.youtube.com/watch?v=UaYfi-A7xY0
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