Encre Noire 2006 Eau de Toilette

Andreas362
16.02.2023 - 09:58 Uhr
7
Sehr hilfreiche Rezension
10
Preis
9
Flakon
10
Sillage
10
Haltbarkeit
9
Duft

(M)ein düsterer Begleiter

„Encre Noire“ – zu Deutsch: „Schwarze Tinte“. Um ehrlich zu sein, verstehe ich den Namen nur ansatzweise. Schwarz – definitiv, und nicht nur wegen des Flakons. Aber Tinte?
Anders als der Name vermuten lässt, hat der Duft (zumindest für meine Nase) rein gar nichts mit Tinte am Hut, aber dazu später.
Nachdem ich einige Rezensionen zu dem Duft hier auf parfumo gelesen hatte, musste ich ihn einfach haben. Ein Blindkauf, was gibt es bei dem Preis und einer so hohen Bewertung denn zu verlieren? Wie riecht der Duft, über den so eifrig diskutiert wird? Von „Ruhe und Entspannung“ bis hin zu „Tod“ findet man wohl jede Beschreibung hier. Ich kann mich am ehesten denen anschließen die Encre Noire in die Kategorie „Wald“ einordnen.
Vorab kann ich sagen, der Blindkauf hat sich gelohnt, wenn auch die schwarze Tinte nicht zu oft zum Einsatz kommt.

Duft:
Prinzipiell ist der Duft sehr Zypresse-lastig, aber auf eine besondere Art – denn er ist einfach heftig und schert sich nicht darum, was andere über ihn denken. Er ist da und polarisiert – bei den einen auf die positive, bei anderen auf die negative Art.
Ich möchte hier nicht zu sehr auf die einzelnen Duftnoten eingehen, sondern eher beschreiben, was ich vor Augen habe, wenn ich den Duft aufsprühe und meine Augen für einen kurzen Moment schließe.
Er ist sehr holzig, riecht fast nach Sägespänen, die jedoch schon eine Zeit lang auf dem nassen und kalten Waldboden liegen. Viel Holz, durchtränkt von Wasser, fast schon modrig (aber auf keinen Fall negativ, eklig modrig), Moos, Rinde, feuchte Erde. Der Regen setzt sich nur wenige Augenblicke zur Ruhe, es fallen nur noch Tropfen von den Ästen der Nadelbäume. Kein Sonnenstrahl hat die Chance, auch nur durch eine der tiefgrauen Wolken zu dringen. Es wird allmählich finster. Und bevor man sich wieder in seine abgelegene Holzhütte, fernab jeglicher Zivilisation, verkriechen muss, da es in kürze wieder in Strömen regnen wird, entzündet man ein Lagerfeuer, das ein wenig Licht ins Dunkel bringt.
Der wiedereinsetzende Regen lässt das Feuer bald darauf wieder erlöschen - übrig bleibt lediglich ein Haufen nasser, verkohlter Holzstämme. Es wird Zeit, wieder in die Hütte zu gehen, bevor man am nächsten Morgen wieder hinaus in die klirrende Kälte des dunklen Nadelwalds gehen muss, um Holz für das abendliche Feuer zu hacken. Man dreht sich nach wenigen Schritten um, doch der Nebel hat die Hütte bereits verschlungen, nur noch eine Silhouette ist zu erkennen.
Encre Noire ist kein Crowdpleaser, erst recht kein Mainstream und möchte sich auch nicht anpassen, denn er lebt alleine in einer Holzhütte im dunklen, feuchten Nadelwald. Er ist besonders, einzigartig, mysteriös, holzig, rauchig, gleichzeitig aber feucht und „dreckig“. Er riecht tatsächlich sehr authentisch nach nassem Nadelwald, in dem Waldarbeit verrichtet wurde.
9/10.

Haltbarkeit/Sillage:
Zur Haltbarkeit und Sillage kann und möchte ich gar nicht so viele Worte verlieren. Sie ist unfassbar gut, für das Geld, was der Duft kostet, bekommt man vermutlich keine bessere Performance. Auf der Kleidung tagelang wahrnehmbar, auf der Haut ganz locker den ganzen Tag. Ein Sprüher genügt, um den gesamten Raum zu füllen.
Wie bereits angedeutet, ist Encre Noire alles andere als massentauglich. Meiner Meinung nach ist es schwer, diesen Duft zu mögen. Selbst ich, der ich ihn liebe, kann ihn an manchen Tagen nicht ausstehen. Überraschenderweise war das Feedback zu dem Duft aber trotzdem besser als gedacht. Ich denke jedoch, dass er auf andere schnell (zu) überfordernd wirkt.
10/10
10/10

Flakon:
Der Flakon ist würfelförmig und schwarz-glänzend, die Kappe ist passenderweise aus Holz. Der Flakon ist schwer und liegt wertig in der Hand und die Kappe rastet fest ein, man kann den Flakon problemlos an der Kappe hochheben. Gegen den Sprüher gibt es ebenso nichts einzuwenden. In Relation zum Preis mehr als zufriedenstellend.
9/10

Anlass/Jahreszeit:
Meiner Meinung nach passt der Duft perfekt in die kälteren, regnerischen Herbsttage kurz vor dem Winter. Eventuell auch in den Frühling.
Generell ist es schwierig, hierfür den passenden Anlass zu finden. Am besten trägt man ihn, wenn man alleine ist, einen Spaziergang im Wald macht, Zeit für sich braucht, oder eben in seiner abgelegenen Holzhütte sitzt – für viele ein Albtraum, doch ich finde die Vorstellung beruhigend und auf eine unbeschreibliche Weise schön. Mit diesem Duft will ich Zeit verbringen, ich lasse aber besser die Finger davon, wenn ich unter Menschen gehe, und bin lieber alleine mit ihm unterwegs.
Oder ganz im Gegenteil dann, wenn man bemerkt werden will. Denn Encre Noire ist definitiv kein stiller Begleiter, sondern macht ohne Rücksicht auf andere auf sich aufmerksam.
Generell stimme ich dem zu, dass man ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein braucht, um diesen Duft tragen zu können. Wer sich Gedanken darüber macht, wem dieser Duft gefallen – oder nicht gefallen – könnte, ist hier auf jeden Fall falsch.

Insgesamt ein sehr waldiger, modriger, holziger und rauchiger Duft, der nicht jedem gefällt und nicht von jedem tragbar ist. Durch seine mysteriöse, dunkle, melancholische, aber doch einzigartig schöne und edle Ausstrahlung ist Encre Noire jedoch zu meinem persönlichem düsteren Begleiter geworden, an dem ich oft rieche (und mich daran erfreue) und mit dem ich an manchen regnerischen Herbsttagen Zeit verbringe, für mich allein. Man kriegt hier absolute Nischenqualität zu einem fast schon lächerlich geringen Preis. Must Have!
9,5/10
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