Eau Noble 2022

Version von 2022
Profumo
30.08.2022 - 07:08 Uhr
17
Top Rezension
10
Flakon
8
Sillage
7
Haltbarkeit
7
Duft

Noblesse perdue

Fiel das alte „Eau Noble“ von Paul Vacher 1972, zur Zeit seiner Einführung, schon nicht durch Innovationsfreude auf, punktete es doch mit Raffiniertheit und einer duftenden Noblesse, die einer Traditionslinie klassischer Eau de Colognes wie Guerlains „Eau de Cologne Impériale“ und „Eau de Cologne du Coq“, sowie deren Weiterentwicklung zu frischen, leicht aromatisierten Chypres wie Givenchys „Monsieur“, Chanels „Pour Monsieur“, Diors „Eau Fraiche“ und „Eau Sauvage“ verpflichtet blieb.

Dass man damals diesem altgedienten Genre durchaus einen modernen Anstrich zu geben vermochte, zeigen exemplarisch Düfte wie Yves-Saint Laurents „Pour Homme“ ein Jahr zuvor und Loewes „Para Hombre“ zwei Jahre später. „Eau Noble“ hielt sich dagegen vornehm zurück: kein animalisches Gemüffel, keine plakativ herben Aromen, nein, die pure Kultiviertheit. Angesichts der freudigen Experimentierlust dieses Jahrzehnts, des alles in Frage Stellens und stürmischen Vorwärtsdrängens, bot Le Galion mit „Eau Noble“ doch ziemlich verschnarchte, wenn auch sublime Duftkunst.

50 Jahre später spürte man im mittlerweile wiedererstandene Hause Le Galion offenbar das Bedürfnis diese vermeintliche Scharte mangelnder Innovationslust endlich auszuwetzen und präsentiert uns nun eine rundum modernisierte Fassung, für die der renommierte Parfümeur Rodrigo Flores-Roux zeichnet, der das Portfolio des Hauses schon mit so hervorragenden Beiträgen wie „Cologne“, „Cologne Nocturne“, „Bourrasque“, „L’Âme Perdue“ und „Jasmin“ bereicherte.
Folgende Worte finden die heutigen Le Galion-Verantwortlichen dabei für die Arbeit von Paul Vacher:

„Anfang der 70er Jahre verändert sich die Welt, die Gegenkultur wird gefeiert, das Parfüm wird zugänglicher. Ein frischer Wind weht über Frankreich und in die Parfümerie. Die traditionelle Formalität weicht einer jugendlichen Energie, und überholte bürgerliche Vorstellungen werden von jungen, freiheitshungrigen Studenten über Bord geworfen.
Eau Noble verkörpert diese beiden Mentalitäten. Der Name selbst verweist auf ein prestigeträchtiges Erbe, während der Unisex-Duft eine strahlende Zukunft ankündigt. Ein kühnes Erbe.
Ein Parfum, das heute noch so relevant ist wie gestern.“

Ziemlicher Kokolores, finde ich. Wenn es heute noch so relevant ist, wie gestern, wozu dann dieses Update?

Dazu Flores-Roux:

"Bei der Überarbeitung von Eau Noble wollte ich die Energie und den Schwung des Lebens einfangen, die die frühen 70er Jahre auszeichneten. Die Woge intensiver, moderner holziger Noten erinnert an Bewegung und Vorwärtsdrang. Um diese Noten zu akzentuieren, habe ich versucht, einen elektrisierenden und fluoreszierenden 'Technicolor'-Erdbeer-Rhabarberakkord zu kreieren. Patchouli, Zedernholz und Zypresse verleihen dem Duft Tiefe und Eleganz, während Mastixharz, Kiefer und Labdanum die Sinnlichkeit der damaligen Zeit angemessen widerspiegeln.“

Hm, nun ja.
Ehrlich gesagt empfinde ich das Resultat etwas anders, und um es auf einen Nenner zu bringen: mir präsentiert sich der Duft in erster Linie als modernistisches Remake einer wirklich zukunftsweisenden 70er Jahre-Ikone, nämlich „Azzaro pour Homme“.
Nicht, dass die beiden Düfte besonders ähnlich wären, nein, aber irgendwie drängte sich mir Idee auf, als habe man ausgerechnet diesen Klassiker des Fougère-Genres zum Ausgangspunkt für das neue Eau-Noble-Duftkonzept gewählt: man tausche einfach den aromatischen Komplex des Azzaro-Duftes gegen einen modernen sauer-fruchtigen Rhabarber-Akkord aus, akzentuiere die grünen und holzigen Facetten mit einem zeittypischeren Make-Up und dimme die Fougère-Anteile etwas – et voilà, das neue „Eau Noble“ ist gar nicht so weit entfernt!

Was das mit dem alten „Eau Noble“ zu tun hat?
Gar nichts.
Das neue „Eau Noble“ bemüht sich nicht einmal, das alte zu zitieren und erinnert mich aus diesem Grunde auch an eine andere ‚Wiedergeburt’, die von „Patou pour Homme“.
Beide Neu-Erschaffungen gleichen Namens sind per se nicht schlecht, erreichen aber weder die Grandeur des einen, noch die Noblesse des anderen. Im Gegenteil: beim Versuch einer zeitgemäßen Neu-Interpretation ist man, gewollt oder ungewollt, der Gewöhnlichkeit und Seichtheit anheim gefallen, Begriffe, die sich für die Original-Werke schlicht verbieten.

Vielleicht bin ich mittlerweile aber auch zu alt, hänge zu sehr an den alten Schlachtrössern, als dass ich sie abgetakelt und in hippem Fummel ertragen könnte.
Warum gibt man diesen ‚Wiedergeburten’ nicht einfach andere Namen?
Das neue „Eau Noble“ ist nämlich überhaupt nicht ‚nobel’, das alte dagegen schon, und wie! Ebenso die überaus geglückte Parfum-Version „Essence Noble“. Aber das neue „Eau Noble“ – nada. Die Noblesse ist perdu, und zwar restlos.
Meine nicht nur olfaktorisch, sondern auch musikalisch und architektonisch überaus geschätzten 70er Jahre vertritt er obendrein ebensowenig wie Diors „Sauvage“ den Geist und die Raffiniertheit der 60er Jahre-Ikone „Eau Sauvage“ aufzugreifen vermag (noch so ein desaströser Namens-Klau!).

Eines aber muss ich zugeben: auch wenn ich Rhabarber schon überzeugender duftend gerochen habe („Rhubarb my Love“ von The Zoo und „Sept.21.1966“ von Rundholz!) – der Flakon ist schlichtweg genial! Pierre Dinand hat ihn erneut entworfen und dabei eine schöne Interpretation seines vor einem halben Jahrhundert entstandenen Werkes geschaffen – Bravo!!
Vielleicht sollte man besser das alte „Eau Noble“ nebst seiner Parfum-Version in dieses Schmuckstück packen und dem neuen „Eau Noble“ einen Reset unter anderem Namen gönnen, meinetwegen in die zylindrischen Flakons der gesamten Le Galion-Reihe abgefüllt, die sind doch auch ganz nett.
Wär’ das nicht eine Idee, Monsieur Chabot?

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