Jasmin 2020

Version von 2020
Intersport
20.12.2023 - 03:45 Uhr
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Top Rezension

irresponsible restoration at its best!

"…the small woody chypre nucleus that Vacher had originally sneaked in gave me the opportunity of opposing this almost numbing floral heart to an elegant Parisian chypre chicness. The result could have been a bit uptight. It was then, almost by accident, that I added a marine accord, overdosing a floralozone-cetonal duo, that did the trick. The woody iris like qualities of cetonal, allowed it to replace the traditional role that methyl ionones play in elegant chypre floral structures. Its ambergris qualities also hinted at the opportunity of spotlighting more of the animalic character, so a healthy heap of indol and lactoscatone were added. Lastly, in order to maintain the lush, wet freshness on top, a rather bitter “gardenia leaf” note made its presence, with a touch of grapefruit peel tanginess. I’d call Le Galion Jasmin a bit overreaching and hyper present, “irresponsible” restoration at its BEST. For its fans, it’s like catnip to cats!“.“

– Rodrigo Flores-Roux, cited from: Le Galion Jasmin (Rodrigo Flores-Roux) 2020+ Behind the Bottle with Rodrigo Flores-Roux, ÇaFleureBon, 10 March 2021. https://tinyurl.com/4w2aerc8

Dieses zugegeben lange und zum Teil technische Zitat aus einem noch längeren statement von Rodrigo Flores-Roux, ausgehend von dessen ganz persönlicher, quasi teen-age Beziehung/Begegnung mit Le Galion's ursprünglichen Jasmin (1937) ist es was mich letztendlich auf den Duft sehr neugierig gemacht hat - und hier wird von einer Facette gesprochen die seitens des Hauses mittlerweile nicht mehr so in den Vordergrund gehoben wird, doch die ganz klar die Besonderheiten von Jasmin anspricht.

Der Duft könnte schnell als leicht nostalgischer Weißblütler abgetan werden, ein Jasmin, das sich an einem historischen Jasmin orientiert, noch dazu von Paul Vacher, und obendrein von Le Galion, eine Marke die sich eh gerne mal in Glanz und Gloria vergangener Dekaden schwelgt. Und ja, im Ausklang erscheint Jasmin, gerade auf Stoff am Tag darauf, wunderbar antiquiert, vertraut, eingelebt. Auch ich muss hier an Pullis oder Schals von Tanten vor Jahrzehnten denken die eine floral-chypreartige Aura von grossen ‘Signature scents’ vergangener Dekaden umwehte, die damals noch nicht so hiessen, wo ein durchgehender Winter oder Sommer Duft, der sich dann eben auch in der Garderobe festsetzte, vielleicht häufiger vorkam, als beim mono-signaturlosen Pack (wie mir) von heute… genug geschwelgt, denn Jasmin ist eben mehr als eine makellose aber nostalgische Konstruktion: das besondere, ich stimme Flores-Roux voll zu, ist ein salzig, maritimer Faktor der zusammen mit der grandiosen Mischung aus zweier Jasmin Noten UND Narzissen, die ich ähnlich deutlich wie den namensgebenden Jasmin wahrnehme, etwas modernes, ja kühl akribisches hat, was den Duft in den ersten Stunden jegliche Gestrigkeit nimmt.

Gischt nannte Le Galion zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Detail, ein treffendes Bild, dabei atemberaubend erfrischend wie wirksam. Trotz dieser Bezeichnung, ins Aquatische triftet Jasmin natürlich nie, dazu ist die Verblendung einfach zu fein, und diese Note an sich auch zu dezent, vielmehr arbeitet alles dem Jasmin/Narzissen Gespann zu.

Mit Florabellio (2015) hatte Diptyque bereits einen leicht maritimen Weißblütler im Programm, insgesamt weniger detailliert. Als weit engerer verwandter Vorbote hingegen könnte Arquiste’s Boutonnière N° 7 (2012) dienen, ebenfalls von Flores-Roux, das eine ähnliche Kühle und Klarheit ausstrahlt wie Jasmin - wenn auch in kompakteren Dimensionen und dabei betont herber. Beide, Jasmin und Boutonnière N° 7 machen sich gut als festliche Düfte, serious fun, Protokoll, Sitzordnung, kurz Antidot zu allen Spielarten gourmand’scher Kunst, auf den ersten Eindruck wirken sie derart streng, dass sie leicht als altbacken abgetan werden könnten, nur sind da doch wieder so viele Details am Werk die verdeutlichen, da hat sich jemand viel Mühe gemacht eben nicht nur einen anständigen Retroduft zu entwerfen, oder eine dufthistorisch korrekte Restaurantion zu schaffen, sondern tatsächlich ein Quäntchen Neues - wie in diesem Fall 'Gischt' einzuschleichen, irresponsible, wie der Parfumeur sagt. In der Stimmung sollte man aber dann doch sein, Jasmin ist kein Duft für’s Gym - auch wenn er in Abschnitten ganz dezent menschelnd riecht, Jasmin ist auch nichts beim sundowner am Strand oder auf einer alpinen Klettertour - und dachte ich bisher dass ich meinen Jasmin eher grün/ gestrüppig mag, so war Jasmin mich eine der überraschensten Entdeckungen 2023.
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