Royale Ambrée
Royal Ambree
1919

FvSpee
19.05.2021 - 09:10 Uhr
27
Top Rezension
9
Preis
5
Flakon
5
Sillage
3
Haltbarkeit
7
Duft

Colonialwaren XXV - Von Bukarest nach Barcelona. Olfaktorische Grabungen

In meinem Kommentar zu 'Perla' von Miraj, einem Damenduft aus dem kommunistischen Rumänien, hatte ich erwähnt, dass das sozialistische Staatsunternehmen Miraj ursprünglich, im Jahr 1952, unter dem Namen 'Macul Roșu' (Roter Mohn) gegründet wurde und binnen kurzer Zeit ein enormes Portfolio an Düften auf den Markt warf. Unklar blieb, so merkte ich damals an, woher Personal und know-how für diesen fulminanten Start kamen, zumal es in Rumänien vor dem Krieg wohl keine ausgeprägte Parfümindustrie gab, sondern nur eine eher klein dimensionierte Fabrikation von Colognes.

Ohne es zu wissen, hat unser Freund und Kupfertester MonsieurTest das Rätsel gelöst, indem er mir empfahl, den hier rezensierten Duft zu probieren - und mir gleich eine englische Internetquelle zur Firma Legrain, als Basis der von ihm erhofften (und hiermit vorgelegten) historischen Recherche mitlieferte: https://cleopatrasboudoir.blogspot.com/2014/02/legrain-perfumes.html?m=1

Dabei fiel mir auf, dass es sich zwar um eine englische Webseite handelte, offenbar von jemandem gestaltet, der diese Sprache fließend beherrscht, dass das Englisch dieses Artikels sowie einige Eigennamen-Angaben aber fehlerhaft ist. Meine durch berufliche Investigativtätigkeit geschulte Intuition sagte mir, dass es sich um die Übersetzung eines fremdsprachigen Textes mittels einer Übersetzungsmaschine ins Englische handeln muss. Das ließ sich durch weitere Recherchen bestätigen. Der Artikel erschien tatsächlich ursprünglich auf rumänisch in der Boulevardzeitung 'Evenimentul Zilei' (Tagesereignis) im Jahr 2007: https://evz.ro/milionarul-roman-din-barcelona-451486.html

Der englische und der rumänische Text unterscheiden sich leicht: Möglicherweise hat der Betreiber des englischen Blogs redaktionell eingegriffen, möglicherweise ist auch der rumänische Urtext beim elektronischen Archivieren noch verändert worden. Folgender Ablauf schält sich aber als einigermaßen gesichert heraus:

Ursprünglich wurde die Parfümproduktion in Rumänien durch Import gedeckt. Als durch die Balkankriege 1912/1913 die Logistik stockte, lag der Gedanke an eine Produktion im Lande nahe. Der jüdische Bukarester Simion Moscovici, der als Buchhalter einer Drogerie Einblicke ins Duftgeschäft hatte, gründete daher 1915 mit seinem Freund und Geldgeber Isaac, einem Hosenschneider, die Seifen-, Kosmetik- und Cologne-Fabrik 'Legrain'. Der (Fantasie-) Name, der von einer Bukarester Straßenbahnstation inspiriert war, sollte um des besseren Images willen französisch klingen. Das Geschäft war erfolgreich und das Cologne 'Royale Ambree', das nach manchen Quellen schon 1915, nach anderen erst 1940 auf den Markt kam, soll Marktführer in Rumänien gewesen sein.

Obwohl das mit Hitler verbündete Königreich Rumänien (in seinem Kernland, nicht in den angegliederten Gebieten) seine jüdische Bevölkerung vor der Deportation in die Vernichtungslager schützte, wurde die Lage für die diskriminierten und weitgehend rechtlosen Juden immer unhaltbarer, sodass Moscovici die Fabrik an eine deutsche Gruppe verkaufte. Nach den Kriegs- und Nationalisierungswirren wurde eben aus dieser Fabrik 1952 der Volkseigene Betrieb 'Macul Roșu', später Miraj.

Simion Moscovici emigrierte im Januar 1943 mit seinen beiden Söhnen - einer davon war der Juniorchef des Unternehmens, Henry Moscovici. Geplant war die Auswanderung nach Brasilien. Aufgrund einer an den Film Casablanca erinnernden Odysee im Kontext abgelaufener Transitvisa blieb die Familie schließlich, nachdem sie hochriskant Frankreich durchquert hatte, in Spanien hängen. Dort verfügte sie über Beziehungen zur Repräsentanz des Schweizer Duftstoffkonzerns Givaudan, die ihr halfen, das Unternehmen Legrain in Spanien neu aufzubauen. Schon im Juli 1943 brachte Enrique Legrain, wie sich Henry Moscovici inzwischen, nach seiner eigenen Duftmarke, nannte, 'Royale Ambree' in Spanien neu heraus, und auch dort wurde dieses Cologne zum Marktführer und die neu-alte Marke überhaupt ein Erfolg.

Legrain blieb bis 1985 (die Produktion betrug damals 3 Millionen Liter Colognes im Jahr) unabhängig und wurde dann von Enrique Legrain für einen wohl dreistelligen Millionenbetrag an den Mischkonzern AKZO verkauft, heute ist Legrain eine Marke des Unilever-Konzerns. Henry/Enrique lebte jedenfalls noch bis 2007, als er der rumänischen Zeitung Evenimentul Zilei das fragliche Interview gab.

Der von mir in diesem Jahr bei "Supershop" über das Internet bestellte 240-ml-Sprühflakon aus Plastik (eine andere Bezugsquelle ist der spanische Anbieter "perfumesclub") wurde von der spanischen Firma Inquiba S.A. hergestellt, trägt aber auch das Unilever-Signet.

Der Duft war für mich ein wenig enttäuschend. Ein erster Halbblindtest ergab eine fast 90-prozentige Übereinstimmung mit dem klassischen 4711, möglicherweise ganz leicht ins orangig-weiche verschoben. Ein satteres, schmatzenderes und weniger metallisch-harsches 4711 sozusagen. Das passt mit der Duftnotenangabe: Bis auf den Tausch von Neroli zu Petitgrain (das ist bei Kölnischwassern immer eine sympathische Rochade) sind es dieselben markanten Aromen wie beim Klassiker aus Köln. Beim intensiven Nachverkosten meine ich gewisse gleichzeitg muffige und scharfe Dissonanzen im Dreieck aus Zitrone, Lavendel und Orange auszumachen, wie ein unpräzise eingestelltes Bild. Das geht mir bei vielen einfachen Kölnischwässern so, aber nicht bei den besten (wie dem gelben Alvarez Gomez). Auch die Haltbarkeit ist ähnlich ephemer wie beim berühmt-berüchtigten angeblichen "Omawässerchen" (das mir ja durchaus gut gefällt).

Aufhorchen muss ich allerdings deshalb, weil der Duft gute bis exzellente Wertungen und Besprechungen von Mitparfumos bekommen hat, die sich mit spanischen Düften, mit frischen Düften oder (Yatagan) überhaupt mit allen Düften, sehr gut auskennen. Auch Acqua di Parma wird als Referenz oft genannt, und es wird eine spezielle spanische bzw. mediterrane Aura beschworen. Das kann ich alles nur bedingt nachvollziehen, auch wenn der Duft bei einem Neutest strahlender, tiefer und spanischer imponiert. Ob durch die Beeinflussung durch die Vorrezensenten oder durch das goßzügigere Auftragen sei dahingestellt. Nicht ausschließen möchte ich auch, dass der Duft bei verschiedenen Herstellern jeweils in Lizenz produziert wird und ich eine schwächere Variante abbekommen habe.

Mit dieser Rezension endet die Reihe Colonialwaren. In diese den 'braunen Colognes' gewidmete Serie har Royale Ambree es nur wegen seines Namens geschafft, denn ambriert riecht er tatsächlich nicht. MIt etwas gutem Willen mutet er aber orangig-schattig an, und auch diese Bedeutungsnuance hat das Wortfeld Ambra/Amber/Ombre/Ambre ja...
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