Les Infusions de Prada

Infusion d'Homme 2008 Eau de Toilette

Siebter
14.02.2016 - 18:20 Uhr
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Top Rezension

Retrospektive Utopie (nur ein inspirierender Arbeitstitel)

In meiner Parfumentwicklung stellt Infusion d'Homme einen Meilenstein dar, das schon mal vorweg. Aufmerksam wurde ich auf ihn über den YouTuber Kristo, der mich noch weit vor Parfumo entscheidend prägte; Id'H war lange Zeit sein favorisierter (Designer-)Duft. Mich beeindruckte, wie enthusiastisch er ihn beschrieb, dabei aber gleichzeitig den Eindruck vermittelte, ihn am liebsten für sich behalten zu wollen. Noch mehr faszinierte mich die Frage, wie etwas so scheinbar Schlichtes und zudem Klassisches ausgerechnet bei ihm derart punkten konnte, denn Kristos Vorlieben fokussierten sich schon damals vorwiegend auf eher dunkle, kantige und merkwürdige Düfte.

Vor etwa einem Jahr beerdigte Kristo seinen leeren Flakon Id'H augenzwinkernd und dennoch feierlich in einem blauen Plastikmülleimer, einerseits als Zeichen seiner Dankbarkeit, andererseits als Zeichen seiner nasentechnischen Weiterentwicklung. Bei mir spielt Id'H nach wie vor eine große Rolle. Dem ersten vorsichtigen 50ml-Fläschchen folgte bald ein 400ml-Schüttflakon nebst Aftershavebalm, Duschgel, zwei Seifenstücken und einem hübschen Trichter mit Prada-Schriftzug, den Segnungen des Graumarkts sei Dank zu einem Preis, der nur unwesentlich über dem des ersten Flakons lag. Der große Vorrat lud zu verschwenderischem Gebrauch ein. Nicht nur, dass ich diesen Duft so häufig trage wie keinen anderen, benutze ich ihn regelmäßig zum Beduften meiner Bettwäsche oder zum Auffrischen angemuffter Jacken und Schals. Eine Zeitlang hatte ich die Angewohnheit, die Vorhänge meiner Fenster komplett mit Id'H einzusprühen, denn das duftet auf eine abstrakte Art so, als ob das Fenster offen und draußen ein regnerischer Frühlingstag wäre. Die beiden Seifenstückchen bedufteten etwa drei Jahre lang meine T-Shirt-Kommode. Das sie umgebende edle Papier mit der hübschen Prada-Banderole habe ich noch nie geöffnet, ich müsste erst eine standesgemäße Schale besorgen.

Seife ist ein wichtiges Grundthema in diesem Duft, und wenn Du auch nur irgendeine vage Vorstellung von einem klassischem Stück französischer Seife hast, und diese Vorstellung von mir präzisieren lässt, dass es sich um ein ausgesprochen teures Stück Seife handelt, dann bist Du vermutlich schon sehr nahe dran. Hinzu kommt noch der Duft der Haut eines geliebten Menschen kurz nach ausgiebiger Dusche und Abtrocknen, ein frisches Hemd, was man sich gerade angezogen hat sowie ein weißes Bettlagen, welches, noch leicht feucht, dampfend im Sonnenlicht trocknet. Das ist eigentlich schon alles. Id'H hat durchaus einen etwas abgesetzten Auftakt, ein wenig heller und mit gutem Willen meinetwegen auch etwas zitrischer als der Rest, ansonsten oszilliert er für viele Stunden um die genannten Bezugspunkte, je nach Wetter, Tragesituation und Nasentagesform mal die Seife betonend, mal das frische Hemd.

Die Pyramide von Id'H empfand ich lange Zeit als unzugängliches Rätselwerk, zunächst einfach aufgrund mangelnder Erfahrung mit einzelnen Noten. Bis heute jedoch erscheint mir keine Note zu irgendeinem Zeitpunkt zweifelsfrei erfassbar, wenn überhaupt, erkenne ich sie nur sehr mittelbar – dabei gehören seine Zutaten ausnahmslos zu den von mir besonders gern gemochten; Neroli, Weihrauch, Benzoe, Zeder, Iriswurzel, das ist ein fast schon zu naheliegendes Rezept für einen Duft für mich. Interessante Lerneffekte ergaben sich für mich durch die Verwendung der verschiedenen Zusatzprodukte, die bestimmte Aspekte des Dufts stärker betonen. Das Aftershavebalm zeigt auf, welche Rolle Benzoe in Id'H spielt, es ist süßlich, fast schon gourmand. Das Duschgel stellt mit Vetiver, Neroli und Iris vor allem die frischen und crispen Eigenschaften in den Vordergrund. Beim EdT werden diese konkreten Zuordnungen aber nach wie vor vom nahtlosen Ineinanderfließen aller Elemente überstrahlt. Id'H verkörpert für mich den Zustand absoluter Perfektion, dessen Harmonie nur gelegentlich sanft durchbrochen wird, indem ein einzelner Protagonist etwas heller glüht als die anderen.

„Perfektion“ ist ein großes Wort, aber auch nach dem Verbrauch von rund einem halben Liter Id'H hat sich dieser Eindruck nicht abgemildert. Dieser Duft erzählt von einem perfekten Paralleluniversum. Er ist hell und strahlend, aber absolut gelassen, erfüllt von seiner Erhabenheit. Wie ein tiefes Aufatmen mit geschlossenen Augen. Sein grundsätzlicher Ansatz ist jedoch ausgesprochen universell; ein floraler Seifenduft für Herren mag irgendwann mal ein interessantes Konzept innerhalb der Parfümbranche gewesen sein, der Duft selbst überrascht aber zu keinem Zeitpunkt. Er spielt ausschließlich auf Dinge an, die wir kennen, und je nach Erwartungshaltung mag man ihm sogar eine Tendenz zur Beliebigkeit unterstellen. Meine Freundin zum Beispiel würde vermutlich darauf verweisen, dass es sicherlich zumindest eindrucksvollere Düfte in meiner Sammlung gibt.

Für mich ist Id'H ein sehr klassischer Duft, aber er schafft es, dabei nicht traditionell oder gar althergebracht zu wirken; seine unwirkliche und dabei subtile Aura speist sich aus einer empfindlichen Balance von Wärme und Klarheit, gleichzeitig schaffen seine Verweise ein Gefühl von Vertrautheit – überraschende Momente oder schon die Absicht, jemanden beeindrucken zu wollen, würden diese Atmosphäre zerstören.

Id'H nimmt nicht nur in Kauf, nicht als Parfum wahrgenommen zu werden, es entzieht sich dieser Zuordnung geradezu absichtlich. Trotzdem wirkt es auf mich luxuriös, erhaben, geradezu in wohltuender Weise utopisch.
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