Vitriol d'Œillet Serge Lutens 2011
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Sehr hilfreiche Rezension
Die Illusion einer Nelke
„Vitriol d'oeillet“ war sofort Liebe… Schon der ungewöhnliche Name und die helle purpurne Flüssigkeit reizten mich. Die Werbung zu diesem Parfüm wurde sehr wirkungsvoll als schwarz-weißer Stummfilm im Stil des frühen 20. Jahrhunderts gestaltet. Sie zeigt einen Alchemisten in seinem Labor beim Mikroskopieren. Als er dabei einen Schluck einer unbekannten Flüssigkeit aus einem Glasbecher trinkt, windet er sich plötzlich in Krämpfen und verstirbt kurze Zeit später daran. Schaurig! Der Name "Vitriol d'oeillet" lässt bereits Rückschlüsse auf seine Substanzen zu. Vitriol ist ein altertümlicher Name für Sulfate (= Salze oder Ester der Schwefelsäure). Der Name stammt ursprünglich von dem lateinischen Wort „vitrum“ und bedeutet „Glas“, was darauf zurückgeht, dass Kristalle verschiedener Sulfate bunt gefärbten Glasstücken ähneln. (Entgegen der weit verbreiteten Vermutung, dass "Vitriol d'oeillet" die Lösung für die Suche der Alchemisten nach dem Stein der Weisen darstellen soll, wurde dies bereits 2011 im Interview von Lutens verneint.) Das Wort „oeillet“ bedeutet ursprünglich „kleines Auge“ und meint Nelken, Ösen und in anderen Kontexten auch eine bestimmte Körperöffnung …Tatsächlich ist die Nelke hier der Star des Parfüms. Schon die internationale Presse spielte anlässlich der Veröffentlichung von „Vitriol d’oeillet“ 2011 darauf an, dass Nelken nicht nur von englischen Dandies getragen wurden, sondern brachte diese Blumen auch mit Jack the Ripper und Dr. Jekyll & Mr. Hyde in Verbindung, welche die Nelke in ihrem Knopfloch an der Brust getragen haben sollen. Der Duft selbst ist gespenstisch. Gespenstisch aber nicht in dem Sinne, dass das Parfüm gar nicht da wäre, nein, gespenstisch in dem Sinne, dass Lutens den Geist bzw. die Illusion einer Nelke in diesem Parfüm erschafft. Diese Nelke ist reine Interpretation des Künstlers. Er sagte selbst über diesen Duft, dass es ihn interessierte sein Vitriol zu "ent-stellen". Lutens beschreibt seinen Duft folgendermaßen: "Darin ist Pfeffer. Eine gewisse Gewalt, die mich zurückhält. Ich verwechsle sie nicht mit Brutalität, die blind und taub ist, dennoch verspüre ich jeden Moment das Gefühl, ich müsste mich verteidigen, wenn auch mit Tücke (Hüte, Parfüm, etc…)“. Erstaunlicherweise und im Gegensatz zu der Hintergrundgeschichte des Parfüms verhält sich der Duft auf meiner Haut sehr sanft. Von Brutalität spüre ich nichts, höchstens in der Form, dass ich diesen Duft brutal schön finde. Er dreht sich, er verändert sich, Duftnoten verschwinden und tauschen wieder auf. Erst würzig, dann pfefferig, später lieblich und die Metamorphose geht stundenlang so weiter... Nelken haben manchmal etwas Ältliches an sich, aber hier riechen sie nicht verstaubt, sondern sind sehr klar, würzig-schön und messerscharf. Vor allem trampelt diese Nelke nicht einfach über alle anderen Zutaten hinweg, sondern ist leichter, subtiler, lässt Raum für die anderen Komponenten und ist trotzdem stets präsent. Beim Durchlesen der Kommentare hier im Forum, fühlte ich mich ein bisschen wie Gutriechfee. Für mich ist "Vitriol d'oeillet" nicht ätzend oder schaurig, sondern vor allem ein wunderbarer Alltagsbegleiter. Merci, Monsieur Serge Lutens für diesen großartigen Duft.
5 Antworten

Wunderschöner Duft, sehr außergewöhnlich und unverwechselbar. Und der Drydown ist einfach zum Niederknien. Einer meiner Liebsten in meiner Sammlung.

Wunderbarer Kommentar. Ich teste ihn gerade und brutal finde ich ihn auch überhaupt nicht. Du beschreibst das sehr passend.

Informativer Kommentar zu einem außergewöhnlichen Duft (aber das sind die SLdüfte ja eigentlich alle, oder?) .. schade, daß Nelke zur Zeit nicht viel verwendet wird, in den 70/80ern waren Gewürznelken in vielen Herrendüften enthalten. Pokälsche und viel Freude mit dem Duft!

Sehe ich exakt genau so...

Sehr schöner Kommentar!