01.03.2015 - 03:56 Uhr
loewenherz
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loewenherz
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26
Mit Näglein besteckt
Die Gartennelke, hier namengebend unter ihrer französischen Bezeichnung 'Œillet', habe ich entgegen aller Moden schon immer sehr gemocht. Es hat ihr nicht gut getan, dass man sie seit den 50ern zu dritt verkaufte, eingehüllt in Schleierkraut und Cellophanfolie, in schwarzen Eimern vor Supermarkt- und Tankstellentüren - für die schmale Vase aus Muranoglas. Nelken duften wunderbar, und ganz unter sich - nur Nelken! - sehen sie auch herrlich aus, in dichten, kurzgebundenen Sträußen eng gerüscht. Tiffany dekoriert jetzt seine Ladengeschäfte mit Nelken - es besteht also vielleicht Hoffnung für ihre Rehabilitation.
Über den Begriff des Vitriols könnte man Bücher füllen. Verkürzt gesagt ist die Bezeichnung gleichermaßen der Chemie (hier ist es ganz banal ein Salz der Schwefelsäure) entnommen wie auch der Alchemie, und es darf angenommen werden, dass die Herren Sheldrake und Lutens sich eher an Letzterem orientierten. 'Vitriolum' ist dort ein Akronym aus 'visita interiora terrae, rectificando invenies occultum lapidem, veram medicinam', für Nichtlateiner: 'betrachte, was im Inneren der Erde liegt - indem du es läuterst, wirst du einen verborgenen Stein erhalten, das wahre Heilmittel' - 'Vitriol' war in der Alchemie entsprechend ein Code, eine Umschreibung für den Stein der Weisen.
Vitriol d'Œillet, 'Vitriol der Gartennelke', ist also die verborgene, machtvolle Essenz der Nelke, ihr letztes, innerstes Geheimnis, und es ist ihr klares, kraftvolles Aroma, das diesen Duft eröffnet - das allein ist hinreißend! Pfeffer und Levkoje tun wenig mehr als diesem Aroma etwa leicht Süßliches beizustellen, ihm eine Art 'Boost' zu geben, etwas Pointiertes. Und dann - sachte zunächst, doch unaufhaltsam - drängt die Gewürznelke hinzu, der Gartennelke namentlich wie auch im Duftcharakter verwandt, wenngleich einer ganz anderen Pflanze entstammend (es ist die getrocknete Blütenknospe eines Baums aus der Familie der Myrtengewächse) - wie Zucker beim Umrühren einer Tasse Tee nach oben drängt. Ihr ungleich dunkleres und spürbar schärferes Aroma verleiht der blumig kühlen Frische einen federnden Grund, gibt ihr gleichsam ein dunkles, feierliches Echo, und hält diesen schönen Duft in der Balance zwischen Blume und Gewürz.
Das Wort 'Nelke' ist übrigens dem niederdeutschen 'Negelkin' = Nagel entlehnt. Bekannt geworden ist dies im Text von Johannes Brahms' berühmtem Schlaflied, in dem es heißt: '...von Rosen bedacht, mit Näglein besteckt...' - gemeint (und das ist beruhigend) sind hier Nelken, keine Nägel.
Fazit: ein charakterlich wie namentlich nicht einfacher Duft, der bewusst gewählt werden will und soll - wie so viele aus dem Hause Serge Lutens. Wer - wie die Sozialisten, die Karo-Dame und wie ich - der Nelke zugetan ist, sollte ihn versuchen. Es ist viel mehr darin als nur zweierlei Nelke.
Über den Begriff des Vitriols könnte man Bücher füllen. Verkürzt gesagt ist die Bezeichnung gleichermaßen der Chemie (hier ist es ganz banal ein Salz der Schwefelsäure) entnommen wie auch der Alchemie, und es darf angenommen werden, dass die Herren Sheldrake und Lutens sich eher an Letzterem orientierten. 'Vitriolum' ist dort ein Akronym aus 'visita interiora terrae, rectificando invenies occultum lapidem, veram medicinam', für Nichtlateiner: 'betrachte, was im Inneren der Erde liegt - indem du es läuterst, wirst du einen verborgenen Stein erhalten, das wahre Heilmittel' - 'Vitriol' war in der Alchemie entsprechend ein Code, eine Umschreibung für den Stein der Weisen.
Vitriol d'Œillet, 'Vitriol der Gartennelke', ist also die verborgene, machtvolle Essenz der Nelke, ihr letztes, innerstes Geheimnis, und es ist ihr klares, kraftvolles Aroma, das diesen Duft eröffnet - das allein ist hinreißend! Pfeffer und Levkoje tun wenig mehr als diesem Aroma etwa leicht Süßliches beizustellen, ihm eine Art 'Boost' zu geben, etwas Pointiertes. Und dann - sachte zunächst, doch unaufhaltsam - drängt die Gewürznelke hinzu, der Gartennelke namentlich wie auch im Duftcharakter verwandt, wenngleich einer ganz anderen Pflanze entstammend (es ist die getrocknete Blütenknospe eines Baums aus der Familie der Myrtengewächse) - wie Zucker beim Umrühren einer Tasse Tee nach oben drängt. Ihr ungleich dunkleres und spürbar schärferes Aroma verleiht der blumig kühlen Frische einen federnden Grund, gibt ihr gleichsam ein dunkles, feierliches Echo, und hält diesen schönen Duft in der Balance zwischen Blume und Gewürz.
Das Wort 'Nelke' ist übrigens dem niederdeutschen 'Negelkin' = Nagel entlehnt. Bekannt geworden ist dies im Text von Johannes Brahms' berühmtem Schlaflied, in dem es heißt: '...von Rosen bedacht, mit Näglein besteckt...' - gemeint (und das ist beruhigend) sind hier Nelken, keine Nägel.
Fazit: ein charakterlich wie namentlich nicht einfacher Duft, der bewusst gewählt werden will und soll - wie so viele aus dem Hause Serge Lutens. Wer - wie die Sozialisten, die Karo-Dame und wie ich - der Nelke zugetan ist, sollte ihn versuchen. Es ist viel mehr darin als nur zweierlei Nelke.
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