Wir saßen gut, es regnete und stürmte immer noch
und zu trinken hatten wir auch noch.
„Also gut“, sagte ich, „dann erzähl ich auch noch eine.
Ist diesem Typ aus der Zürich-Story passiert und natürlich
ist es ‘ne wahre Geschichte, nur schon paar Jahre her.
Der Typ arbeitete damals in so einer Firma, Bank oder
Versicherung oder so was, egal – jedenfalls saß er in seinem
kleinen Eckbüro im 38. Stock.
Es mag so gegen fünf gewesen sein, da fiel ihm das Geschenk
ein, dass er am Abend zuvor von seiner Ex bekommen hatte.
Er kramte es aus seinem Mantel, den er über einen Sessel
geworfen hatte, und packte es hastig aus.
Oha, ein Parfum. Seltsames Geschenk, dachte er, wo sie doch
nur noch so was wie Freunde waren.
Ambre Sultan hieß es.
Na gut. Er nahm den Flakon in die Hand, zog die Kappe ab,
die wie ein schwarzes Mützchen aussah, und schnupperte
am Sprühkopf. Warme Würze stieg auf.
Ich weiß nicht, ob er dabei nur den Finger an den Drücker
legte oder versehentlich drauf drückte – jedenfalls geschah
etwas völlig Unerwartetes.
Er vernahm ein leises Klingeln im Innern des Fläschchens,
das daraufhin zu zittern und wackeln begann, Rauch erhob sich,
er trat erschrocken zurück, eine Nebelwolke hüllte alles ein,
die Konturen einer Gestalt zeichneten sich ab, wurden
deutlicher – und mit einem Mal stand ein kräftiger, untersetzter
Typ vor ihm. Er trug ein lachsfarbenes, T-Shirt, auf dem
„Who the Fuck is Luca?“ stand, dazu alte, sehr weite 501-Buxen,
die von einem Ledergurt gehalten wurden.
„Zu Diensten – was kann ich für dich tun?“, sagte er mit weicher,
eindrucksvoll tiefer Stimme.
„Ähm, wer… bin ich jetzt plemplem…?“
„Noch nie ‘nen Dschinn gesehen? Dann wird’s aber Zeit…“
Er versuchte angestrengt, irgendwie cool zu bleiben, zumal
sein Gegenüber sehr lässig wirkte.
„O.K., verstehe, Sie sind also echt…“
„Sag‘ ruhig „du“ zu mir, Meister!“
„Du bist also ein…“
„Genau, ein Flaschengeist, von mir aus auch Flakongeist,
wenn’s dir lieber ist.“
„Und ich – ich kann jetzt…?“
„Na was wohl? Du kannst dir jetzt was wünschen.“
„In Echt, richtig ernsthaft?“
„Alles, was du willst. Kein Problem.“
„Auch einen Ferrari?“
„Kleinigkeit für mich!“
„Aber nein, der passt nicht zu mir. Gäbe zu viele Fragen…
Lieber was Klügeres… wäre denn die totale Bewegungsfreiheit
machbar – ich wäre immer gleich da, wo ich hin will, sofort?
„Doch, das ginge durchaus.“
„Aber nein, das würde noch mehr Fragen aufwerfen…
Wie wäre es… mit dem perfekten Gefühl von Freiheit,
einer sehr angenehme, erfrischende, aktiv-lockeren Wohlfühl-
Freiheits-Illusion oder so ähnlich?“
„Auch machbar!“
„O.K. – genau das wünsch‘ ich mir!“
Ein Rauschen erklang, der Dschinn wurde transparent,
schrumpfte zusammen - und verduftete, einen
zarten Nebel hinterlassend, zurück in seine Flasche.
Und dann machte sich der Duft bemerkbar.
Zunächst war alles ein ziemliches Durcheinander, aber bald
begann es sich zu sortieren und zu einem wunderbaren Bild
zu ordnen - einer Art Wimmelbild.
Er nahm getrocknete Kräuter wahr, die noch spürbar die
Wärme der Sonne übertrugen, Oregano, Lorbeer, Koriander,
Myrrhre vielleicht…
Gleichzeitig entstand ein staubiges und doch frisches Aroma,
etwas grün-balsamisches schwang darin mit, dass ihm wirklich
eine Art Freiheitsgefühl gab.
Eine Ahnung von Wald bahnte sich an, mehr wie ein Auftauchen
und wieder Versinken – das Zepter übernahmen immer mehr
die Gewürze.
Und das gefiel ihm – sehr sogar.
Direkt übermütig wurde er, ein neuer Wunsch fiel ihm ein –
warum auch nicht? Wozu hatte man denn einen Dschinn?
Er rieb kurz am Flakonverschluss, ein zartes Klingeln ertönte
und schon erhob sich aus schwellenden Nebeln quellend
wieder der Flaschengeist.
„Was kann ich für dich tun?
„Nun – ich wünsche mir ein Konglomerat aller irdischen
Genüsse, mit Schwerpunkt auf den kulinarischen, aber
ohne Völlegefühl oder so. Und so raffiniert und verfeinert
wie nur möglich…“
„So gut wie erledigt!“
Sprach‘s und verduftete elegant in die Flasche zurück.
Jetzt änderte sich das Duft-Szenario – nicht abrupt, sondern
weich, mehr als ob alles nur anders fokussiert würde.
Getrocknete und frische Gewürze, wie aus einer provencalischen
Küche, tauchten auf, eine Art Bouquet Garni-Kräuter-Note,
raffiniert und nach Sternekoch-Manier ätherisch-duftend -
wobei aus dem offenen Küchenfenster noch frische Pinien
und Zedernnoten hinein wehten.
Er bemerkte ein Changieren zwischen südlichen Bergen und
einer Wüstenoase.
Sehr reizvoll… und mehr als er erwartet hatte.
Wieder löste sich ein Wunsch in ihm – vielleicht aufgrund
der weichen, ambrierten Aura, die jetzt aufkam.
Ein bisschen hippie-mäßig war das, dank etwas Patchouli,
aber auch abenteuerlustig, wie für einen Entdecker,
der offen für fremde Genüsse ist.
Und wieder rief er den Geist - der prompt erschien.
„Ich möchte eine Art virtuelle Luxusliege, eine total relaxte,
entspannte, geistige Hängematte, in die man sich jederzeit fallen
lassen kann, weich und geborgen, gut geschützt vor schnödem
Unbill irdischer Stänkereien, verstanden?“
„Aber ja, Meister! Bitte bedenke nur eins – das ist dein letzter
Wunsch!“
Unser Held erschrak gewaltig.
„O.K. - darf ich dann noch was kleines ergänzen?“
„Bitte!“
„Könnte es so sein, dass mich beim Genießen des dritten
Wunsches der Nachklang der beiden anderen noch weiter
begleitet, wie eine Kuscheldecke, die man sich einfach
überziehen kann?
„Krieg ich auch noch hin. Aber dann war‘s das.“
„Also gut – mein dritter Wunsch!“
„O.k. - mach’s gut!“ rief der Dschinn und verduftete.
Mit einem Mal verstärkte sich die weiche Charakteristik des
Duftes - Harze, die wirkten wie von heißer Wüstensonne
zum Schmelzen gebracht wechselten mit zarten Schleiern,
die Walderinnerungen mit kindlichen Vanillegenüssen
verbanden, aber ohne viel Süße.
Weihrauchige und nadelholzige Elemente spielten mit,
mal lauter, mal leiser.
Ein Balanceakt zwischen herb, warm, würzig und süß,
ohne jede Mühe, spielerisch ineinander gleitend.
Vielgesichtig und doch von sehr individuellem Charakter.
Ein Duft-Füllhorn, so reich, dass man aus ihm immer wieder
schöpfen könnte.
Seltsamerweise konnte er sich den Duft ebenso im Winter
wie im Sommer vorstellen, weil er beides in sich trug -
wärmende Behaglichkeit und nachtfrische Wüstenwürze.
Dann bekam er eine E-Mail.
Es war die Rothaarige aus der Buchhaltung, die ihn mal wieder
zum Kochen einladen wollte.
Sie wäre schon zu Hause und hätte jede Menge eingekauft.
Er fand sie eigentlich ganz nett, aber irgendwie auch anstrengend.
Nur weil er ihr auf einer Firmenparty mal erzählt hatte, wie gern
er neuerdings kochen würde, lud sie ihn jetzt ständig ein.
„Sorry, kann heute leider nicht, vielleicht ein andermal“
schrieb er zurück.
Mit einem Mal bekam er Lust den Duft spazieren zu führen -
und brach einfach auf, es war ja schon fast acht.
Bald darauf schlenderte er ziellos durch’s Westend.
Der kühle Abendwind verband sich anmutig mit dem Parfum.
Keine Ahnung wieso – aber irgendwie stand er plötzlich vor
der Haustür in der Liebigstr., wo die Rothaarige wohnte,
und las ihren Namen auf dem Klingelschild.
Ob er vielleicht doch…? Quatsch, er kannte sie doch kaum.
Seine Hand zuckte in Richtung Klingel, er steckte sie schnell
wieder in die Manteltasche. Sie kam wieder heraus, er trat einen
Schritt zurück… wieder hin… und wieder zurück, Hand rein,
Hand raus…
Klingeling!“
Alle schwiegen.
Mittlerweile hatte es aufgehört zu regnen.
Unsere Runde löste sich dann ziemlich bald auf.
Ob sie mir die Geschichte geglaubt haben, weiß ich nicht.