"A fire fanned by the wind, a desert in flames. As if bursting from the earth, Chergui, a desert wind, creates an effect that involves suction more than blowing, carrying plants, insects and twigs along in an inescapable ascent. Its full, persistent gusts crystallize shrubs, bushes and berries, which proceed to scorch, shrivel up and pay a final ransom in saps, resins and juices. Night falls on a still-smoldering memory, making way for the fragrant, ambery and candied aromas by the alchemist that is Chergui."
Mit diesen Worten wird Chergui seit Jahren beworben - ein Narrativ, das in seiner kompakten Bildhaftigkeit ebenso gut von einer der wortgewandten Stimmen hier stammen könnte.
'Wüste(n)', als abstrahiertes Etwas, ist neben 'Meer' ein weiteres geografisch-kulturelles Gebiete dem immer wieder explizite Parfums gewidmet werden. Erst kürzlich konnte mich Prin Lomros' Sahar (2024) begeistern. Im Jahr davor überraschte Parfums de Nicolaï mit dem wuchtigen Caravansérail (2023), die Zahl an Veröffentlichungen die sich irgendwie der Wüste verschreiben ist seit rund zwei Jahrzehnten zumindest konstant, Tendenz steigend. Eine Art olfaktorische Desertifikation scheint sich langsam aber sicher auszubreiten - das Phänomen, ein angewandter Orientalismus par excellence. Wie bei oben genannten Neuerscheinungen wird hier oft ein Umweg über die z.B. von einer Karawane oder in einer Karawanserei transportierten bzw. umgeschlagenen Waren gewählt. Aber wo und wann fing das alles an? Düfte, die sich wie etwa Shalimar (1925) an das Konstrukt 'Orient' halten sind keine Wüsten-Düfte. Ausgerechnet Shulton - die Marke unter der 'Old Spice' erst so richtig gross wurde, hatte bereits in den 40'er Jahren einen Duft namens 'Desert Rose' im Programm. Frühe Werbefotografie zum Muskat Duft Cacharel pour L'Homme (1981) zeigte durchwegs Szenarien mit einem Wüsten-Hintergrund. Paco Rabanne's Ténéré (1988) wurde geografisch genauer und bediente sich der gleichnamigen ikonographischen 'deep' Wüstenregion zwischen Chad und Niger, blieb aber als Duft zutiefst europäisch. Der erste 'neuere' Duft der sich dem Thema Wüste bzw. dem Duft derselben verschrieb, ja dieses in gewisser Weise für sich beansprucht, war womöglich Chergui.
'Heavily laden with dust, and at times blowing violently, the chergui is one of the unpleasant events of the region.' (Meigs, P., 1966. Geography of coastal deserts.)
Ein Parfum nach einem Windsystem zu benennen ist raffiniert, der Wind als brachiales, absorbierendes System, ein non-human Katalysator, larger than life, für alle potentiellen Bestandteile im Spannungsfeld von direkt & indirekt. Ich kenne diesen Wind, wenn auch in nochmals modifizierter Form, nachdem dieser nach hunderten Seemeilen, jetzt mit dem portugiesischen Namen 'Leste', auf Landmassen trifft - die Wucht ist noch vorhanden, das olfaktorische Profil freilich maritim modifiziert, der Himmel, ockerfarben schattiert.
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Chergui und das Noten-Karussell:
Chergui war seit dessen Veröffentlichung so etwas wie der goldene Schnitt aus Heu/Honig/Tonka/Tabak - frühere Versionen waren obendrein noch detailreich ausgeschmückt mit grünlich-frischeren Noten, ja sogar Lutens' berüchtigter Kampfer blitzelte im Auftakt kurz heraus, was dem Parfum bei allem Volumen eine gewisse Leichtigkeit verlieh oder vielmehr, es nie plumb rüberkommen lies. Vor allem während der letzten 10, 15 Jahre wurde Chergui mehr und mehr verdichtet, wuchtiger aber dabei auch weniger Facetten-reich. Obendrein bestimmte zunehmend eine erhebliche Portion staubiger Iris-Rosen über weite Abschnitte hin Chergui. Mir wurden diese betont pudrigen, ja fast schon klassisch Parfum-haften Facetten irgendwann zu viel.
Beinahe so lange wie oben zitierte Szene mit Chergui Hand in Hand geht, kam der Duft mit einer der kompaktesten Notenangaben überhaupt aus: 'sap', dt. Pflanzensäfte, und 'resins', also Harze, das war Chergui.
Nicht immer. Eine Print Anzeige aus den frühen 2000'er Jahren, im Hintergrund interessanter Weise eine Geröllwüste, und eben nicht das x-te Foto von Dünen in der Dämmerung, war mit 'Chergui, le parfum du désert' überschrieben; also Chergui, das Parfum der Wüste - zu diesem Zeitpunkt lag der Verkaufspreis der ikonischen 75ml Schüttflakons noch bei 85.- EUR - und zeigte folgende Beschreibung:
"
Sensation olfactive née d'un souffle ardent.
Chergui envoûte par son ampleur, ses notes vibrantes et chaudes... un parfum unique.
On dit que les esprits précèdent son passage... Le Chergui est un vent sec, sablonneux, venu du désert d'Orient.
Grisé par son souffle brûlant, Serge Lutens l'a interprété lors d'une nuit singulière, à l'abri dans sa maison de Marrakech, il lance au de braises somnolentes des essences et des cœur végétaux par poignées
... suc de foin, santal de Mysore, cyste labdanum, fleur d'immortelle, encens...
Certaines d'entre elles libèrent des odeurs étonnantes et précieuses...
Chergui! Un nectar aux effluves incroyables, aux notes de sèves et de sucs confits par la chaleur.
Une pincée d'iris, une larme de miel, et le parfum divin s'épanouit sur des accords sensuels et poudrés.
…"
Hier wird auf Heu, Mysore Sandelholz, Labdanum, Immortelle, Weihrauch, etwas Iris und Honig verwiesen. Interessant, zumal ich der Marke Lutens, Immortellen, als weitreichende Schlüsselzutat unterstelle, die in vielen - allesamt von Sheldrake entwickelten - Veröffentlichungen im Spiel ist, dabei aber nur seltenst offiziell genannt wurde - näheres hierzu in meinem Review zum kürzlich eingestellten Le Participe Passe (2019). Jetzt, 2024, vermutlich nach einem away-day der Marketing Abteilung wurde entschieden dass der kryptische three-letter-code 'sap' wohl endgültig nicht mehr dem Zeitgeist der Notenangaben entsprach und Chergui, das Parfum der Wüste mit Heu, Immortelle, russisches Leder umschrieben werden soll.
Ein weiterer Schritt in der zunehmenden Popularisierung der Immortelle? Wenn (ehemals) populäre Düfte wie dieser auf einmal 'offiziell' so eine Note erwähnen, mag das sicher für das ein oder andere neu-geschürtes Immortelle Interesse sorgen - was ja auch gut ist, über Fussnoten von einem zum nächsten zu kommen - in wie weit das bei Chergui, als nunmehr über 20 Jahre alter Duft zutrifft, ist eine andere Sache. Selbst ein Immortelle-affine Haus, wie Parfum d'Empire verzichtete bei deren Macchia Ode Eau de Gloire (2003) über Jahre auf eine explizite Nennung der Zutat, bis diese kürzlich wieder in die offiziellen Angaben aufgenommen wurde. Dass Lutens, ausgerechnet bei seinem ehemaligen Zugpferd Chergui, - das in seinem Stil unzählige Male als Vorlage herhalten musste, ein, zu Recht, sehr einflussreicher Duft - auf eine ausdrückliche Nennung ausgerechnet dieser Note setzt ist kurios und zugleich eine Art Bestandsaufnahme wie variable solche Informationen zunehmend orchestriert werden - alternative facts in the making?
Vielleicht. Zugegeben, da fast allen Veröffentlichungen der Marke wurde ein neues Profil verpasst - in den meisten Fällen eher grobschlächtig, via plakativen Unschärfen wie woody, ambery, spicy - da ist der Dreisatz 'Immortal flower (ein Tippfehler?), Leather of Russia, Hay' schon wieder eine nahezu feinfühlige Ausnahme. Chergui war sicher auch Opfer des eigenen Erfolgs, wie gesagt, oft wurde an dem Duft rumgeschustert, die eigenwillige Sirup-artige Klebrigkeit gedimmt, das im Auftakt frisch-gestrüppige Bouquet mehr und mehr entkrautet, und besagte floral pudrige Noten verstärkt. Aber das muss ich Chergui bzw. der Marke Lutens auch zu Gute halten: Chergui roch zu jedem Zeitpunkt wie Chergui, dazu ist das Profil einfach zu markant und eigen, vielmehr scheint es als ob das Prisma, durch dessen Schliff die einzelnen spektralen Komponenten des Dufts Kontur annehmen, immer wieder etwas verrückt wurde, und je nach Winkel, die ein oder andere Charakteristik betont oder gedimmt wurde.
Wäre ich Chergui Novize, so würde mich das neue Heu / Immortelle / Russisch Leder Profil ja auch ansprechen, dabei ist es nicht minder fragmentarisch wie das bisherige 'sap'. Das prägnante Heu ist weiterhin zentral, für die ehemalige Honig / Tabak Noten müssen nun Immortellen herhalten, was auf Grund der zum Teil überlappenden Duftprofile zumindest theoretisch auch nachvollziehbar ist. Chergui selbst kommt dabei aber nicht Immortellen-lastiger rüber als eh und je. In den hunderten Chergui Rezensionen auf englischsprachigen Foren wurde dabei nur ein einziges Mal - in einem Text von 2010 - explizit auf eine vermeintliche Immortelle verwiesen. Für das Leder darf ich viel Phantasie bzw. noch mehr good will aufwenden. Die ursprüngliche Kampfer-artige Frische scheint, wie auch schon bei Versionen zuvor, beim aktuellen (2024'er) Chergui nur mehr für Sekunden etwas durch. Scheinbar geht es hier einen Tick dunkler und wieder etwas Sirup-artiger zur Sache. Gleich von Beginn: ein Akzent karamellisierten Lavendels ist jetzt Teil des Auftakts; passend meine ich. Die pudrigen Noten die mich für Jahre abgeschreckt haben fallen wieder dezenter aus. Fast wirkt das wie ein Befreiungsschlag, auf einmal kommen andere Details der Heu Note zu Wort, luftiger, trotz Dichte, vielgestaltig, da wäre das undeutlichere Profil via 'sap' und 'resins' zutreffender als das neue. Meine Wahrnehmung von Chergui bleibt die einer gut verwoben Komposition, in der womöglich alle bislang genannten Inhalte und noch viel mehr ein Wörtchen mitzureden haben - trivial war der Duft nie; bleibt abzuwarten wie lange sich die Konstellation von Notenangaben seitens des Herstellers diesmal halten.
Diese Verschiebungen von der kontextuellen Setzung der Notenangaben fällt mir in den letzten Jahren immer wieder auf. Hier wird scheinbar ohne dramatische Änderung im Duftprofils schlichtweg der semantische Raum erweitert oder besser verschoben. Die charmant Sphinx-haften, nie-eindeutigen, ja bestenfalls bruchstückhaften Auslegungen wie sie Lutens über Jahre zelebrierte bieten dabei eine Steilvorlage für jedes marketing brainstorming - hier braucht es kaum Rücksicht auf bisherige Profile, es kann munter experimentiert und fabuliert werden.
Abgesehen von diesen Wankelprofilen, 'mein' Wüstenwind war Chergui nie, das ist eher Tabac Tabou (2015). Aber die aktuelle Version hat (wieder) etwas und erschliesst sich mir am ehesten via micro-dosing, weniger ist hier wiedermal mehr… Obendrein schätze ich Chergui wegen dessen Rolle in Lutens' Portfolio, den nicht abzuerkennenden Einfluss, das einprägsame Gesamtbild samt cleveren Narrativ und Titel.
70. ausführliche Duftbeschreibung zu Chergui