Noir Extreme 2015 Eau de Parfum

VFEwert
26.12.2021 - 11:38 Uhr
7
Hilfreiche Rezension
6
Sillage
7
Haltbarkeit
9
Duft

Zweite Heimat

Robert Musil, der verarmt und im Elend sterben sollte, lässt in seinem Jahrhundertroman "Der Mann ohne Eigenschaften" seine Hauptfigur Ulrich folgenden Gedanken formulieren: "Man hat eine zweite Heimat, in der alles, was man tut, unschuldig ist." Ulrich wird im Verlaufe der Erzählung seine Heimat nicht finden, oder vielleicht doch, aber nur unter Vorbehalt in Isolation und Zurückgezogenheit mit seiner Schwester. Aber wie kann das sein? Ulrich ist ein geborenes Genie, das vor Vitalität und Intelligenz nur strotzt. Ein würdiges Ziel, das den Aufwand rechtfertigt, es zu verfolgen, findet er auf Dauer nicht und unterlässt jede Anstrengung nach seiner Resignation. Dabei ist seine Melancholie nicht äußerlicher Natur. Er weiß es, Bewunderung zu erwecken, wie er auch spielend eine Geliebte für sich gewinnt, die er ebenso spielend wieder verlässt. Lediglich die Reflexion, insbesondere die Selbstreflexion, die philosophische und psychologische Zerstückelung des Selbst und alles (Zwischen-)Menschlichen, treiben ihn an. Er begegnet dem Mysterium mit Präzision, aber kann daraus mehr als innere Leere und Selbstironie erwachsen?

Hätte Ulrich etwas für Düfte übrig, maße ich mir an, dass er zu Tom Fords Noir Extreme (nicht ohne Selbstironie) greifen würde. Denn einerseits ist die Vanille-Amber-Kardamom-Süße ein wunderbares Ebenbild jener äußerlichen Unwiderstehlichkeit und Eleganz, die ihm ganz zueigen ist. Bliebe es jedoch dabei, wäre dieser Duft keiner Beachtung wert. Hinter der Süße versteckt sich jener Sehnsuchts-Akkord, der an eine zweite Heimat, an die Aufhebung innerer Widersprüche, ans Angekommensein denken lässt. Ließe sich bloß das Unaussprechliche meiner Existenz in Worte hüllen, bräuchte ich beim Ausgehen nicht diesen Duft aufzutragen, so verharre ich aber in der Hoffnung, jemand möge all das riechen, was mein Gesicht nicht ausdrücken kann.

Zuletzt sei gesagt, dass dieser Duft eine gewisse körperliche Nähe erfordert, um vernommen zu werden. Zwar hält er eine Weile auf der Haut, aber meiner Erfahrung nach ist die Sillage eher verhalten. So bleibt es bei einer leisen Sehnsucht, die sich nicht jedem offenbart und manchmal eben bloß für mich alleine singt, wie ein im Käfig eingesperrtes Blaukehlchen.
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