VFEwert

VFEwert

Rezensionen
VFEwert vor 1 Jahr 7 4
7
Sillage
5
Haltbarkeit
9
Duft
Für Ambrosia hat es nicht gereicht
Stellen wir uns folgendes Szenario vor:

Sie sind gerade gestorben (wie jammerschade!) und just als Sie wieder zu sich kommen, befinden Sie sich auf einer Kreuzfahrt. Enttäuscht stellen Sie fest, dass sie sich nicht gerade auf einem Luxuskreuzer befinden. Bestenfalls Mittelklasse, ohne VIP-Lounge, und um sie herum nur Senioren. Der Reiseleiter stellt sich als Charon vor, eine ausgesprochen zwielichtige Gestalt, und kündigt eine bezaubernde Reise in die Unterwelt auf dem Fluss Styx an.

Ihnen wird ganz bange und Sie begreifen langsam die Realität Ihrer ausweglosen Situation (mein herzliches Beileid!). Da hatten die alten Griechen doch recht, zumindest grob, auf jeden Fall nicht die Christen, und Ihre Kirchensteuerzahlungen und jährlichen Gottesdientsbesuche waren für die Katz. Aber halt, dafür ist der Lateinunterricht vielleicht doch für etwas gut gewesen. Mit großer Anstrengung erinnern Sie sich an die alten Mythen und Legenden und schöpfen eine wage Hoffnung (o weh! o weh!).

Unwillkürlich dringt zu Ihnen ein Duft durch. Spritzige Johannisbeere! Saftige Zitrusfrüchte! Ein Strauß aus Blumen und Kräutern! Wie lebendig! O, wie atemberaubend schön! Mit Inbrunst drängen Sie zur Reling und vor Ihnen erstreckt sich eine Landschaft voller Schönheit, so wie Sie es sich nur erträumen können. Sie wissen genau: da müssen Sie hin! Sie sind bereit zu springen, aber ein Handgriff hält Sie zurück. Es ist natürlich die Hand des Reiseleiters, die Sie zurückhält. Sein Blick ist teilnahmslos und bestimmt. Da geht es für Sie nicht lang, erklärt er. Das ist das Elysium, ein Ort für Helden, und naja, Sie haben 40 Jahre in Meetings oder im Büro verbracht. Ein ganz und gar gewöhnliches Schicksal, das die Götter nicht beeindruckt.

Der Duft verfliegt gar schnell. Ebenso die Erinnerung. Schon bald löst sich Ihr Ich auf. Und Elysium liegt wieder in weiter Ferne.
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VFEwert vor 2 Jahren 7
7
Flakon
5
Sillage
5
Haltbarkeit
8
Duft
Letzte Runde
Die Band war eine Enttäuschung. Haben gerade mal zwei Songs auf die Reihe gekriegt, ehe der Saxophonist vor lauter Trunkenheit gestolpert ist und im Fall das Schlagzeug mit heruntergerissen hat. Seitdem haben sie eine alte Miles-Davis-Platte aufgelegt, die nun in Dauerschleife mein Trommelfell massiert.

Ich habe gar nicht gemerkt, wie es so spät werden konnte, wie ein Abend überhaupt so spät und so dunkel sein kann. Gleich zu Beginn hat ein Kellner - mir nichts, dir nichts - eine ganze Flasche Rum verschüttet. So, als würden wir hier nicht alle danach lechzen, wenn wir hinunter ins Glas blicken und nur unser eigenes Gesicht sich uns spiegelt. Der Aschenbecher wurde auch nicht geleert. Jetzt sitzen nur noch ein paar Leute hier, ruhig, in sich gekehrt, und die letzte Runde wird ausgerufen. Verständlich. Irgendwann wollen alle ins Bett, und irgendwie ging das alles so schnell, aber ich will noch nicht gehen, ich will hier bleiben und noch einmal diese Miles-Davis-Platte hören.

Was haben denn Männer wie ich noch übrig außer Tabak und Rum und außer des süßen Klangs einer goldenen Trompete? Ich knöpfe einen Ärmel auf und sprühe noch ein mal "Jazz Club" auf mein Handgelenk, um den Abend noch einmal geschehen zu lassen.
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VFEwert vor 2 Jahren 7
6
Sillage
7
Haltbarkeit
9
Duft
Zweite Heimat
Robert Musil, der verarmt und im Elend sterben sollte, lässt in seinem Jahrhundertroman "Der Mann ohne Eigenschaften" seine Hauptfigur Ulrich folgenden Gedanken formulieren: "Man hat eine zweite Heimat, in der alles, was man tut, unschuldig ist." Ulrich wird im Verlaufe der Erzählung seine Heimat nicht finden, oder vielleicht doch, aber nur unter Vorbehalt in Isolation und Zurückgezogenheit mit seiner Schwester. Aber wie kann das sein? Ulrich ist ein geborenes Genie, das vor Vitalität und Intelligenz nur strotzt. Ein würdiges Ziel, das den Aufwand rechtfertigt, es zu verfolgen, findet er auf Dauer nicht und unterlässt jede Anstrengung nach seiner Resignation. Dabei ist seine Melancholie nicht äußerlicher Natur. Er weiß es, Bewunderung zu erwecken, wie er auch spielend eine Geliebte für sich gewinnt, die er ebenso spielend wieder verlässt. Lediglich die Reflexion, insbesondere die Selbstreflexion, die philosophische und psychologische Zerstückelung des Selbst und alles (Zwischen-)Menschlichen, treiben ihn an. Er begegnet dem Mysterium mit Präzision, aber kann daraus mehr als innere Leere und Selbstironie erwachsen?

Hätte Ulrich etwas für Düfte übrig, maße ich mir an, dass er zu Tom Fords Noir Extreme (nicht ohne Selbstironie) greifen würde. Denn einerseits ist die Vanille-Amber-Kardamom-Süße ein wunderbares Ebenbild jener äußerlichen Unwiderstehlichkeit und Eleganz, die ihm ganz zueigen ist. Bliebe es jedoch dabei, wäre dieser Duft keiner Beachtung wert. Hinter der Süße versteckt sich jener Sehnsuchts-Akkord, der an eine zweite Heimat, an die Aufhebung innerer Widersprüche, ans Angekommensein denken lässt. Ließe sich bloß das Unaussprechliche meiner Existenz in Worte hüllen, bräuchte ich beim Ausgehen nicht diesen Duft aufzutragen, so verharre ich aber in der Hoffnung, jemand möge all das riechen, was mein Gesicht nicht ausdrücken kann.

Zuletzt sei gesagt, dass dieser Duft eine gewisse körperliche Nähe erfordert, um vernommen zu werden. Zwar hält er eine Weile auf der Haut, aber meiner Erfahrung nach ist die Sillage eher verhalten. So bleibt es bei einer leisen Sehnsucht, die sich nicht jedem offenbart und manchmal eben bloß für mich alleine singt, wie ein im Käfig eingesperrtes Blaukehlchen.
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VFEwert vor 3 Jahren 8 1
2
Flakon
9
Sillage
9
Haltbarkeit
4
Duft
Napoléon le petit
„Hegel bemerkt irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Thatsachen und Personen sich so zu sagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce.“
- Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte

Ich habe bereits an anderer Stelle vom tragischen Untergang des Aventus geschrieben. Um jedoch ein wenig Kontext zu dem oben angeführten Zitat zu geben: Charles Louis Napoléon Bonaparte, auch Napoléon III genannt, war Neffe des urtümlichen Aventus-Ochsen Bonaparte himself. Er regierte Frankreich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und seine Zeitgenossen waren selten zaghaft bei seiner Verschmähung. Der oben angeführte Text meint ihn mit der "Farce" und Victor Hugo betitelte ihn mit "Napoléon le petit" in Anlehnung an seine geistige Grüße, die dem körperlichen Kleinwuchs Napoléons ebenbürtig sein soll. Gegenstand der Schmach sind vor allem seine militärischen Debakel in den Kolonien und gegen Preußen. Aber auch allgemein galt er als großkotzig und inkompetent.

Warum nun der Vergleich? Auch CDNIM ist eher von der großkotzigen Art. Er ist laut, seine Projektion sprengt Wände und es ist sofort klar, was er versucht zu sein - ein Aventus auf Steroiden. Ihm fehlen dabei tatsächliche Tiefe und Finesse. In der Basis lungert eine stechende Plastikholzsynthetik und die restliche Zitrusrauchbombe entpuppt sich als Brei. Undifferenziert, brachial und irgendwie aufmüpfig.

Das alles ist aber noch nicht unbedingt schlimm. Die eigentliche Farce besteht darin, dass ich nun so oft lesen und hören musste, es hier mit einem Aventus-Killer zutun zu haben. Die Performance mag ja gut sein, aber sie täuscht nur über seine olfaktorische Unvollständigkeit hinweg. Wo sind denn hier bitte die Ananas, die schwarze Johannisbeere oder der grüne Apfel? Ich hätte ja nicht einmal was gegen synthetische Substitution von natürlichen Ölen, aber was nicht da ist, ist schlechtweg nicht da. Aber hey, immerhin ist er günstig...
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VFEwert vor 3 Jahren 11 5
4
Sillage
3
Haltbarkeit
7.5
Duft
Ende auf St. Helena
Ich erinnere mich noch daran, wie ich auflachte, als ich zum ersten Mal das Bildnis Napoleons auf dem Flakon erblickte. Deine Erschaffer waren mir sofort zuwider. Der Anblick strotzte nur so vor Kitsch und Größenwahn. Wer einen derart ahistorischen Umgang mit historischen Figuren pflegt und Kriegstreiber, die für tausende von Toten verantwortlich sind, auf Produkte platziert, der verspeist auch kleine Kinder - da bin ich mir ziemlich sicher. Aber nun gut, ich werde mich dir stellen, habe ich mir gedacht. Ich werde dich nicht unterschätzen, wie der junge Napoleon seinerzeit auf der Militärakademie oder später auf dem Schlachtfeld unterschätzt wurde. Nein, ich werde dir gegenüber ein würdiger Rezensent sein.

Zu Beginn möchte ich dich würdigen, Aventus, für deine Errungenschaften. Du hast den Thron erklommen, ohne Frage, wie es auch der von Hegel so schön betitelte "Weltgeist zu Pferde" geschafft hatte. Niemand hätte am Anfang damit gerechnet, wie auch bei Napoleon nicht, und du hast die Menschen bewegt. Scharenweise hast du sie dir gefügig gemacht. Du hast ihnen Komplimente beschert. Unermesslich ist die Zahl der Pantys, die deinetwegen degroppt wurden, wie auch die Anzahl deiner unehelichen Kinder. Ganze Klonarmeen hast du auf die Welt losgelassen und ohne dich hätten einige Dufthäuser wohl nicht mehr existieren können. Dafür gebühren dir Ruhm und Ehre, und auch ein Eintrag in die Geschichtsbücher.

Aber Komplimente bescheren und Pantys droppen - das reicht weder dir, noch uns. Wir wollen Kunst, Tiefe, Unergründlchkeit! Wir wollen dich in unserem Knochenmark spüren, verdammt! Ein Duft soll uns überraschen, erschüttern, zum Orgasmus kommen lassen! Er soll einem Heroinsüchtigen das Gefühl geben, an einer Einstiegsdroge hängengeblieben zu sein! Und du, mein lieber Aventus, du willst der Kaiser der Nischendüfte sein! Der beste von allen. Wer einmal in seinem Leben Schuld und Sühne gelesen hat, erinnert sich vielleicht an den Gedanken, dass ein Mensch entweder eine Made ist, die vom Laufe der Geschichte zertreten wird, oder eben jemand, der von außerhalb der Geschichte kommt, jemand, für den keine Gesetze gelten und der zu Großem berufen ist - ein Napoleon eben. Doch obgleich wir deine Tagträume von Größe kennen, Aventus, denen du dich hingibst, wissen wir nicht wer du wirklich bist. Wie wir auch bei Napoleon unsicher sind, ob er nun die Ideale der Französischen Revolution verraten oder vollendet hat, wissen wir auch von dir nicht, ob du nun eher rauchig, eher fruchtig oder gar vanillig bist, geschweige denn wie lange du auf unserer Haut haften bleibst.

Und was soll ich sagen? Vielleicht hast du diese Größe einmal gehabt. Aber das trifft nicht mehr zu. Ja - ich rieche durchaus noch etwas von deiner einstigen DNA, das gestehe ich dir zu, aber es ist kaum noch der Rede wert. Da ist noch etwas von diesem aphrodisierenden Kitzeln in der Nase, das zu mir durchdringt, aber es bleibt nicht haften. Zu schnell verliegst du, zu wenig bietest du mir. Banal, kurzlebig, fast schon beliebig. Schon bald werden dich deine Kinder verschmähen und die einstigen Sammler werden ihre Sammlungen aufgeben und einen neuen Kaiser krönen. Noch liegst du auf St. Helena in deinem Sterbebett, von dem du nicht weißt, dass es dein Sterbebett ist, und du träumst von deiner Rückker und einem erneuten Feldzug. Gewiss wird es auch in Zukunft noch Aventus-Träger geben, wie es auch nach Napoleons Tod bekennende Bonappartisten gab, aber insgeheim wissen wir: DIese Geschichte ist zu Ende.

PS: Liebe Parfum-Mitverschwörer, bitte habt Nachsicht mit meiner Überheblichkeit. Sie ist nur zum Teil ironisch gemeint. Stattdessen feiert mit mir zusammen meine erste Rezension. Wir alle wissen es - es musste Aventus sein, alles andere ist grober Unsinn.
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