Une Nuit à Montauk

Nothing but Sea and Sky 2020

Tonimria
13.02.2024 - 04:26 Uhr
24

Akute weibliche Hysterie

Man schreibe die späten 50er. Ich sitze auf der Veranda, in eine Wolldecke gehüllt. Ein kleines Haus an einem Strand, mit aufgewühlter, unruhiger See direkt vor mir. Der Himmel ist wolkenbedeckt und grau, Möwen ziehen über mir ihre Runden.

Weswegen ich dort bin? Ein Arzt attestierte mir aufgrund meines störrischen, weiblichen Gemütes die Hysterie und schlug vor, mich an die See zu schicken, da dies sich wohl positiv auf die bei Frauen mittlerweile übliche, durch fanatische Ideen von Feministinnen ausgelöste Furore ausüben könne.
Meine Familie stimmte dem zu, man hatte zum Glück ein einsames Häuschen am Meer und es wurde Zeit, dass ich mich normte, um vielleicht noch einen vernünftigen Mann zu finden.
Was der Arzt natürlich nicht wissen konnte, ist dass ich meine Pflichtlektüre von Simone de Beauvoir "Das andere Geschlecht" dabeihabe, welche mich in meiner Renitenz nur weiter bestärken wird.

Um dem Geist ein bisschen Klarheit zu geben, entschließe ich mich, einen Spaziergang zu machen. Ich grabe mit meinen Zehen im kalten Sand, lasse die Gischt meine Beine umspülen und spüre die Sonnenstrahlen, die durch die dichte Wolkendecke brechen, auf meiner salzigen Haut kitzeln.
Ein einsames, trockenes Stück Treibholz liegt auf dem weißen Sand. Kurz überlege ich ob ich es zurück ins Meer werfe, aber ich halte inne und beschließe, es mit in meine Hütte zu nehmen. Ich schaue den Möwen zu, die schwerelos durch die Luft gleiten und wünschte, ich könnte mit ihnen fliegen, um das raue Meer von oben zu betrachten. Komischerweise stört mich meine Einsamkeit am Meer kein bisschen.

Fast Forward 70 Jahre. Mittlerweile kann kein Arzt einem mehr weibliche Hysterie attestieren, feministische Ideen sind kein Fanatismus mehr, sondern bei einer breiten Bevölkerung angekommen und ein einsames Haus am Meer besitzt meine Familie auch nicht. Störrisch und unverheiratet bin ich aber trotzdem.

Wenn ich "Une Nuit à Montauk - Nothing but Sea and Sky | Une Nuit Nomade" aufsprühe, kommt in mir trotzdem diese Melancholie hoch, diese Sehnsucht nach dem Meer und das unbestimmte Gefühl, weit weg von Zuhause zu sein. Dieser Weltschmerz, den der Duft für mich transportiert, ist wunderschön und zutiefst berührend.

Für mich absolut kein Tropenduft, Urlaubsduft oder Kokosnussfeeling, stattdessen salziges, raues Meer, beobachtet aus der wohligen Umarmung einer Wolldecke. Irgendwie tröstend, diese sanfte Brise aus trockenem Holz und frischer Meeresluft. Im Auftakt ist er kratzig, salzig und wird dann im Verlauf cremiger und der Haut sehr nah. Trotzdem behält er seinen eigenen Geruch bei, der sich doch deutlich vom Hautgeruch unterscheiden lässt.

Kein Sillagemonster, kein Ausgehduft, sondern etwas ganz Unbeschreibliches, dem wohl jeder für sich selber eine Bedeutung geben muss.
3 Antworten