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Hilfreiche Rezension
Großmutter's Magie
Als ich ein kleiner Junge war, gab es in unserem Garten Erdbeeren, Rhabarber, Himbeeren, Blaubeeren, Stachelbeeren, einen Apfelbaum, einen Kirschbaum, einen Pflaumenbaum und… eine Quitte. So war das damals vor – na, sagen wir mal – gut 50 Jahren. Die Häuser waren nach dem zweiten Weltkrieg mit öffentlichen Mitteln errichtet worden, und der Staat schrieb vor, dass die Bewohner dieser Häuser, zumindest in Teilen, Selbstversorger sein mussten, was dazu führte, dass die Leute damals alle Gemüsebeete anlegten und/oder Obstbäume und -sträucher anpflanzten.
Wie in dieser Zeit üblich, lebten in den meisten dieser kleinen Nachkriegshäuser – und so auch in Unserem – drei Generationen unter einem Dach. Ich wohnte mit meinen drei Geschwistern und meinen Eltern im Obergeschoss, in der Parterrewohnung mit dem angrenzenden Garten wohnten meine Großeltern.
Wie auch immer, wir Kinder labten uns an den Köstlichkeiten, die der Garten hergab. Für uns war all das völlig selbstverständlich. Die einzige Frucht, die wir alle gemeinsam mieden, war die Quitte.
Die Quitte war grün, selbst das Fruchtfleisch schimmerte hellgrün. Darüber hinaus war es knochenhart und damit für Milchzähne eine echte Herausforderung und schlussendlich auch sehr bitter.
Der Quittenbaum war nicht hoch, eher gedrungen, irgendwie unheimlich und zeichnete sich durch einen schier nicht enden wollenden Ertrag aus, heißt, es gab bei uns Unmengen von dieser ungenießbaren Frucht.
Meine Großmutter erntete sie jedes Jahr und verzauberte die ungeliebten Früchte in süße Marmelade und köstliches Quittenkompott. Weiß der Teufel, wie sie das anstellte. Die Schalen waren ihrem Zauber offensichtlich zum Opfer gefallen und verschwunden. Das Fruchtfleisch war nun nicht mehr grün, sondern fast weiß, mit einem ganz zarten kaum wahrnehmbaren Gelbstich. Auch die Bitterkeit war vollständig verschwunden und machte einer schweren Süße Platz, und wir Kinder rissen uns plötzlich um die bisher verschmähte Quitte.
Der Dolce Amalfi nimmt mich an die Hand und gemeinsam durchwandern wir die Zeit mehrere Jahrzehnte zurück, bis wir schließlich in unserem alten Garten mit den vielen Obstbäumen und -sträuchern ankommen. Ganz leise schleichen wir auf Zehenspitzen durch die geöffnete Terrassentür, durch das Wohnzimmer und die kleine Diele, bis wir schließlich vor der Küche stehen. Die Tür ist nur angelehnt. Kaum hörbar, vernehmen wir aus ihr ein sachtes Flüstern. Der Dolce Amalfi und ich sehen uns in die Augen. Wir verstehen uns ohne Worte. Sollen wir es wagen die Tür zu öffnen? Was wird meine Großmutter denken, wenn ihr Enkel, inzwischen um 50 Jahre gealtert, plötzlich hinter ihr steht? Während ich hadere, nimmt der Dolce Amalfi mir die Entscheidung ab. Seine Hand wendet sich der angelehnten Tür zu.
„Nein“, zische ich flüsternd, doch es ist zu spät. Die Tür schwingt lautlos und langsam auf. Da steht sie, meine Großmutter. Sie ist kaum älter als ich heute. Ihr Haar ist noch nicht grau. Sie trägt den alten grünen Kochkittel, den sie eigentlich immer trug. Alle Omas trugen Ende der 60er Jahre solche seltsamen Kleidungsstücke. Vor ihr auf dem alten Gasherd steht ein riesiger Kochtopf, in dem sie unentwegt vor sich her murmelnd einen kolossalen Kochlöffel eintaucht, um dessen süßen Inhalt zu verrühren. Sie bemerkt uns nicht. Es duftet köstlich und wir können der Versuchung nicht widerstehen. Ganz vorsichtig nähern wir uns von hinten und teilen uns dann auf, so dass ich rechts von meiner Großmutter stehe und der Dolce links. Nun kann ich ihr ins Gesicht sehen. Sie lächelt vor sich hin brabbelnd und wird nicht müde das dampfende Quittenkompott zu verrühren. Ich begreife, dass sie mich nicht sieht und bin versucht mit meinem Zeigefinger in den Topf zu langen, um von der Süße seines Inhalts zu kosten. Der Dolce nickt mir aufmunternd zu.
„Soll ich wirklich?“, frage ich lautlos und er nickt erneut. Vorsichtig und ganz langsam bewege ich meinen Zeigefinger in Richtung der dampfenden Masse. Ein letztes Zögern, denn ich befürchte, dass ich mich an dem heißen Sud verbrennen könnte, aber dann tauche ich meinen Finger ein und stelle erleichtert fest, dass es nicht weh tut. Der Sud rund um das Kompott ist zäh und dickflüssig, so dass eine erquickliche Menge an meinem Finger haften bleibt.
Ich führe ihn zum Mund und koste zögerlich. Dann erlebe ich eine süße Geschmacksexplosion und schließe verzückt die Augen. Es ist einfach nur zum Dahinschmelzen. So verbleibe ich einige Sekunden völlig bewegungslos. Als ich die Augen wieder öffne, ist meine Großmutter verschwunden, und ich bin nicht mehr in der alten Küche, sondern hier zuhause. Ich blicke auf die Tastatur meines Laptops, an dem ich gerade diese Rezension schreibe. Nach einigen Sekunden des Sammelns glaube ich den Geruch des Quittenkompotts wahrzunehmen. Ist das möglich? „Natürlich“ flüstert der Dolce Amalfi mir ins Ohr und lächelt.
Wie in dieser Zeit üblich, lebten in den meisten dieser kleinen Nachkriegshäuser – und so auch in Unserem – drei Generationen unter einem Dach. Ich wohnte mit meinen drei Geschwistern und meinen Eltern im Obergeschoss, in der Parterrewohnung mit dem angrenzenden Garten wohnten meine Großeltern.
Wie auch immer, wir Kinder labten uns an den Köstlichkeiten, die der Garten hergab. Für uns war all das völlig selbstverständlich. Die einzige Frucht, die wir alle gemeinsam mieden, war die Quitte.
Die Quitte war grün, selbst das Fruchtfleisch schimmerte hellgrün. Darüber hinaus war es knochenhart und damit für Milchzähne eine echte Herausforderung und schlussendlich auch sehr bitter.
Der Quittenbaum war nicht hoch, eher gedrungen, irgendwie unheimlich und zeichnete sich durch einen schier nicht enden wollenden Ertrag aus, heißt, es gab bei uns Unmengen von dieser ungenießbaren Frucht.
Meine Großmutter erntete sie jedes Jahr und verzauberte die ungeliebten Früchte in süße Marmelade und köstliches Quittenkompott. Weiß der Teufel, wie sie das anstellte. Die Schalen waren ihrem Zauber offensichtlich zum Opfer gefallen und verschwunden. Das Fruchtfleisch war nun nicht mehr grün, sondern fast weiß, mit einem ganz zarten kaum wahrnehmbaren Gelbstich. Auch die Bitterkeit war vollständig verschwunden und machte einer schweren Süße Platz, und wir Kinder rissen uns plötzlich um die bisher verschmähte Quitte.
Der Dolce Amalfi nimmt mich an die Hand und gemeinsam durchwandern wir die Zeit mehrere Jahrzehnte zurück, bis wir schließlich in unserem alten Garten mit den vielen Obstbäumen und -sträuchern ankommen. Ganz leise schleichen wir auf Zehenspitzen durch die geöffnete Terrassentür, durch das Wohnzimmer und die kleine Diele, bis wir schließlich vor der Küche stehen. Die Tür ist nur angelehnt. Kaum hörbar, vernehmen wir aus ihr ein sachtes Flüstern. Der Dolce Amalfi und ich sehen uns in die Augen. Wir verstehen uns ohne Worte. Sollen wir es wagen die Tür zu öffnen? Was wird meine Großmutter denken, wenn ihr Enkel, inzwischen um 50 Jahre gealtert, plötzlich hinter ihr steht? Während ich hadere, nimmt der Dolce Amalfi mir die Entscheidung ab. Seine Hand wendet sich der angelehnten Tür zu.
„Nein“, zische ich flüsternd, doch es ist zu spät. Die Tür schwingt lautlos und langsam auf. Da steht sie, meine Großmutter. Sie ist kaum älter als ich heute. Ihr Haar ist noch nicht grau. Sie trägt den alten grünen Kochkittel, den sie eigentlich immer trug. Alle Omas trugen Ende der 60er Jahre solche seltsamen Kleidungsstücke. Vor ihr auf dem alten Gasherd steht ein riesiger Kochtopf, in dem sie unentwegt vor sich her murmelnd einen kolossalen Kochlöffel eintaucht, um dessen süßen Inhalt zu verrühren. Sie bemerkt uns nicht. Es duftet köstlich und wir können der Versuchung nicht widerstehen. Ganz vorsichtig nähern wir uns von hinten und teilen uns dann auf, so dass ich rechts von meiner Großmutter stehe und der Dolce links. Nun kann ich ihr ins Gesicht sehen. Sie lächelt vor sich hin brabbelnd und wird nicht müde das dampfende Quittenkompott zu verrühren. Ich begreife, dass sie mich nicht sieht und bin versucht mit meinem Zeigefinger in den Topf zu langen, um von der Süße seines Inhalts zu kosten. Der Dolce nickt mir aufmunternd zu.
„Soll ich wirklich?“, frage ich lautlos und er nickt erneut. Vorsichtig und ganz langsam bewege ich meinen Zeigefinger in Richtung der dampfenden Masse. Ein letztes Zögern, denn ich befürchte, dass ich mich an dem heißen Sud verbrennen könnte, aber dann tauche ich meinen Finger ein und stelle erleichtert fest, dass es nicht weh tut. Der Sud rund um das Kompott ist zäh und dickflüssig, so dass eine erquickliche Menge an meinem Finger haften bleibt.
Ich führe ihn zum Mund und koste zögerlich. Dann erlebe ich eine süße Geschmacksexplosion und schließe verzückt die Augen. Es ist einfach nur zum Dahinschmelzen. So verbleibe ich einige Sekunden völlig bewegungslos. Als ich die Augen wieder öffne, ist meine Großmutter verschwunden, und ich bin nicht mehr in der alten Küche, sondern hier zuhause. Ich blicke auf die Tastatur meines Laptops, an dem ich gerade diese Rezension schreibe. Nach einigen Sekunden des Sammelns glaube ich den Geruch des Quittenkompotts wahrzunehmen. Ist das möglich? „Natürlich“ flüstert der Dolce Amalfi mir ins Ohr und lächelt.
10 Antworten


Im Garten von unserem Landhaus befindet sich auch ein Quittenbaum. Die Nachbarinnen sind ganz scharf drauf.
Schöne Geschichte.
Pure Freude = Dolce Amalfi!