Jazz 1988 Eau de Toilette

Version von 1988
Montgomery
04.01.2011 - 04:45 Uhr
14
Top Rezension
7.5
Haltbarkeit
8
Duft

„Ein vibrierender und lebendiger Duft. Eine spontane Note voller Rhythmus.

Die Welt voller Jazzmusik mit ihren Jazz-Kellern, wo bis zum Morgengrauen getanzt und gefeiert wird. Diese Facette von Paris steht besonders für Freiheit und Joie de vivre.“
Soweit die Beschreibung auf der Produktseite von Yves Saint Laurent. Utopisch?

Jazz ist wahrhaftig ein Parfum der guten alten Schule. Ein holzig-aromatisches Fougère, kreiert zu einer Zeit, als Zucker noch in die Küche gehörte und ausschweifende Vanille-Auren den Damen vorbehalten waren. Von einigen Ausnahmen mal abgesehen. Heutzutage sind Duftschwaden aus der Schokoladenfabrik oder von der jährlichen Kirmes keine Außergewöhnlichkeit unter den Herrenparfums. Die heutigen Träger solcher Zuckerbomben sind tendenziell jüngere Leute. Dagegen kann man sich Jazz nur schwer an einem jungen Herren unserer Zeit vorstellen. Es wäre aber gewiss eine willkommene Abwechslung zu Alltags-Stänkern wie Le Mâle und seinen Komplizen, die wie Straßenmusiker allgegenwärtig in der Stadt existent sind. Jazz kann man ruhigen Gewissens in die Ecke der 80er-Jahre-Macho-Düfte stellen, ist aber gleichzeitig einer der letzten seiner Art. Es ist ultra-maskulin und steht dem weitaus bekannteren Azzaro in nichts nach. Zu meinem Bedauern wird Jazz heute von den meisten Mitmenschen nicht mehr als zeitgenössisch empfunden, den Sprung zum gefeierten Klassiker schaffte Jazz nicht. Es wäre demnach nicht verwunderlich, würde YSL die Produktion einstellen. Doch dies wäre ein großer Verlust für die Riege der Herrendüfte. Die Verramschung beim dunkelblauen Drogerie-Laden lässt zumindest nichts Gutes erahnen. Ich hoffe dennoch, dass dieser Duft weiterhin produziert wird.

Der Auftakt von Jazz beginnt sehr frisch und krautig, wie ein schriller Trompetenlaut. Leichte Zitrusnoten untermalen diese Melodie, halten sich aber dezent im Hintergrund. Schon nach wenigen Minuten sind diese verklungen und machen Platz für den Pianisten am schwarzen Flügel: namentlich ein würzig-krautiges Fougère. Koriander und Lavendel, sowie florale Noten, durch Geranie und Jasmin, sind zu erkennen. Auf den ersten Blick wirkt Jazz sehr sauber und klar. Doch in der Herznote spielen einige grelle Töne, zeigt sich der Duft doch phasenweise scharf und etwas dreckig. Man hat mehrmals den Eindruck, für einen Augenblick eine dissonante, urinartige Note zu erhaschen, die sich bei genauerem Riechen rasch wieder verflüchtigt. Ob dies nun Kunst ist, oder nicht, sei dahingestellt, jedenfalls gehört es zum Konzept und es passt wunderbar hinein. Wer bei Jazz nun aber große Überraschungen erwartet, wird vermutlich etwas enttäuscht sein. Überraschungen wären bei diesem Duft etwa so angebracht, als erwarte man ein Deep-Purple-Gitarrensolo bei Oscar Peterson’s Night Train. Jazz ist geradlinig und hält keine Experimente bereit – Old School eben. Im weiteren Duftverlauf werden die würzigen und krautigen Noten etwas schwächer und machen Platz für eine sanfte Sandelholz-Basis. Eichenmoos und Tonkabohne, bzw. das in ihr enthaltene Coumarin, komplettieren den Fougère-Akkord. Der Duft klingt mit dieser Basisnote aus, die nach und nach schwächer, aber auch weicher und runder wird. Das große Finale endet leise und man möchte den Duft noch mal von vorn riechen. Trotz den dissonanten Tönen, trotz des schrillen Trompetenlautes, trotz der vorhersehbaren Melodie. Dies alles gehört eben unverändert zu Jazz und nicht anders mag ich diesen Duft riechen. Möge er uns noch lange erhalten bleiben. Mögen wir uns noch lange an Jazz erfreuen. Denn auch morgen noch soll aus den Kellern von Paris Jazz ertönen und ein Hauch des Duftes jeden frühen morgen über die Straßen der großen Stadt wehen.
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