Ich muss gestehen, dass mir der Friseurbesuch bisher immer schwer fiel.
Vielleicht liegt es an einer langen und traurigen Entwicklung meiner Kopfbedeckung. Hier eine kleine Wegstrecke.
Was waren die 1970er schön!
Da war ich als Kind so glücklich mit meinen Haaren. Volles Haar, keine zu große Sorgen um Windstöße oder Regengüsse, die Frisur paßte irgendwie immer.
Es war die Zeit der Shaun Cassidy Pracht. Ein paar Handgriffe und schon saß die Frisur nach dem Toben wieder, ganz ohne Chemie.
Das Übel begann in den 1980ern, als plötzlich alles kürzer, poppiger und vor allem chemischer wurde.
Studio Line von L’Oréal verdarb mir die unschuldige Lust des Haartragens.
Schaum, Gel, Lack, alles mußte nun wie übertrieben geleckt aussehen.
Die öden 1990er waren eher so spannend wie lauwarmes Wasser im grauen Nebel. Linear sang- und klanglos.
Ab den 2000ern dann der schleichende Griff zum Haartrimmer…
Und Dank ASMR-Fragances darf ich wieder um einen Termin bei Timotheus betteln, den besten Friseur wohl bis zum Ende der Galaxie.
Typisch, kaum steht die Verbindung, schalt mir auch schon der Anrufbeantworter mit der künstlichen Stimme einer Haarexplosion entgegen!
Call me, call me, baby, baby call me now!
Timotheus, die olle Zicke und Spagna-Versteher läßt wie immer bitten. Nach ein paar entschiedenen Forderungen meinerseits endlich das Abheben.
T: „Ach, meldet sich unsere treulose Tomate mal wieder?
Ewigkeiten, lieber Axio, Ewigkeiten!
Du wirst mir doch nicht untreu werden?“
A: „Liebster Timotheus, auch wenn es nicht danach ausschauen möchte, meine Kopfhaut samt Flaum brauchen das Wunder Deines Handwerks.“
T: „Mausebär, Du weißt, dass der liebe Timotheus sehr beschäftigt ist, nicht wahr?“
Ich ahne es schon, die unausweichliche Bimbes-Forderung mal wieder.
A: „Ach weißt Du, ich halte meine Vorhaben dieses Jahr. Und bevor so eine gute Pralinenschachtel vom Kunder (Wiesbadener Konditoreihimmel) in einer tristen Ecke Staub fängt…“
T: „Mausebär, Du schienst heute Deinen Glückstag zu haben, gerade eben hat jemand abgesagt. Sei in fünf Minuten hier!“
Ich rase wie der Blitz und betrete den Salon völlig außer Atem.
Und schon empfängt mich der Geruch eines neuartigen Haarsprays.
Kein Galbanum an Aldehyden, nein, hier geht es merkwürdig fruchtig klebrig zu.
Ich darf dann Platz auf dem Drehstuhl nehmen und bekomme zackig diesen Umhang um den Hals gebunden. Timotheus verstaut derweil die Pralinen im Safe.
Wir schauen uns im Spiegel an.
T: „Ich sehe, die Wüste werde ich schon zum Blühen bringen, keine Sorge, mein Lieber.“
Und dann ein ausgiebiges Shampoonieren. Nur, dass dieses Shampoo so rein gar nichts mit meinen schönen Kindheitserinnerungen an Schauma von Schwarzkopf hat.
Wieder so einer dieser charakterlosen Kopfreiniger, etwas fruchtig, etwas mandelhaft.
Vor Langeweile wird mir schummerig und ich mache ein kleines Nickerchen.
Irgendwie bekomme ich im Halbschlaf das Depilieren meiner Sitznachbarin mit. Ihr Gesichtsausdruck gleicht dem einer Johanna von Orléans.
Diese Enthaarungscreme riecht wie eine hungrige Iris, welche langsam die begleitenden Weißblüher verschlingt. Schmatzend wird sie immer cremiger, lauter. Dann macht sie sich an die Haare dran, das Schmatzen hört man nun im ganzen Laden.
Zusammen mit dem Heliotrop färbt sich die Masse lila und dank Moschus wird sie gleitfähig.
Mir gefällt das Ganze nicht, aber es scheint hier niemand im Salon zu stören.
Und dann… Zack!
Der lila Klumpen fällt zu Boden!
Meine Mitstreiterin ist nun haarlos wie eine Barbie-Puppe, glatt und makellos.
Doch der Klumpen bewegt sich plötzlich und blubbert etwas daher.
„HAARE, ich brauche HAARE!“
Der Klumpen wabbelt bedrohlich in meine Richtung und gleitet langsam den Drehstuhl hoch.
Ich kann nur wie gelähmt zusehen, wie diese cremige Masse an meinem Arm wie eine Schnecke zu meinem Haupt kriecht.
„Los Alter, fange schon mal an, den Lolli zu lutschen, gleicht verpassen wir Dir den Kojak-Look!“
Ich möchte vor lauter Angst schreien, da wache ich, dem Himmel sei Dank, wieder auf!
Was für eine Erleichterung!
T: „Axio, leidest Du etwa an Schlafmangel? Du hast die ganze Frisierstunde verpennt!
Macht aber nichts, wir sind auch schon fertig.
Na, was sagst Du zum Mochi-Look in Mauve?
Ich kann mich im Spiegel nicht wieder erkennen!
Mein Haarflaum ist noch kürzer und violett gefärbt. Gepudert bin ich auch, ganz weißlich und nach Reis riechend!
Ja, ich habe den Look einer japanischen Süßigkeit auf meinem Haupt.
T: „Damit wirst Du nicht nur auf der Wilhelmstraße reüssieren, mein Lieber!“
Nun, jetzt könnt Ihr sicherlich verstehen, warum ich nicht gerne zum Friseur gehe.