In the Woods 2014

Puderperle
03.01.2024 - 11:45 Uhr
13
Sehr hilfreiche Rezension
6
Preis
6
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
9
Duft

Die Saunapolizei

Mit einem lauten Rrrums ließ Harry seine Badetasche fallen. Er war heute in Eile geraten und etwas aus der Puste.
Heute ist Samstag und als passionierter Saunagänger weiß man, dass die Saunen am Wochenende höher frequentiert werden, als an einem gewöhnlichen Dienstag Morgen oder Donnerstag Mittag.
Da sein Hund Lotte unerwartet Schnupfen bekam und beim Tierarzt vorstellig werden musste, hatte dies auch Einfluss auf seine zwei Tages Routine. Also Sauna Samstag. Was solls.

Bestens vorbereitet mit einem Hammam Tuch aus dünnem Leinenstoff mit grünen Karos, Filzhütchen auf dem Kopf. Los gings. Er war gerade im Begriff seine Badelatschen unter dem Brillenständer abzustellen, als er einen jungen Mann mit trainiertem Oberkörper neben sich bemerkte, der seine Adiletten wie Fallobst neben die Glastür pfefferte. Harry räusperte sich und machte darauf aufmerksam, dass das Schuhwerk weiträumig neben der Tür abgestellt werden müsse. Der Ausgang solle schließlich für Notfälle freigehalten werden.
Der junge Mann stöhnte aber Harry gab sich erst zufrieden, als sie akkurat seiner Anweisung gemäß platziert wurden.

Voller Erwartungsfreude trat er ein. Seine Freude erfuhr allerdings eine Sekunde später einen Dämpfer, als sein Blick auf die fast schon voll besetzten Bänke der finnischen Elchensauna fiel. Sein Stammplatz war besetzt.

Er lief zwei Runden um den Ofen, bis er sich für eine breitere Lücke der mittleren Bankreihe entschied. Das feierliche Auseinanderbreiten des Handtuchs hatte schon fast etwas zeremonielles. Jede Franse strich er glatt. Er setzte sich und atmete zufrieden aus. In 10 Minuten sollte es losgehen. Doch 10 Minuten können lang sein.

Aus der Ecke ihm gegenüber wieherte eine der Damengruppe lauthals los, sie schien wohl etwas furchtbar lustiges gehört zu haben. Die anderen beiden stimmten ein und klatschten sich glucksend auf die Schenkel.

Harry warf ihnen einen strengen Blick zu. Das gedimmte Licht schien sein Signal verschluckt zu haben, die Frau stieß weitere undefinierbare Laute beim geräuschvollen Einatmen aus. Harry schnalzte mit der Zunge. Das Wiehern übertönte ihn jedoch, sodass er sich gezwungen sah aufzustehen und wild herumzufuchteln. In der Sauna gelte absolutes Redeverbot.

Gott sei Dank konnte er nicht sehen, wie die Zurechtgewiesenen ihre Augen verdrehten.
Hinter ihm kicherte der große hagere Mann, bis er sich schließlich verschluckte und Harry in den Nacken hustete. Ui da traf er keinen guten Nerv. Eine Schimpftirade später klang auch der Husten wieder ab. Er musste Harry außerdem versichern, nicht an Corona erkrankt zu sein.

„… und was bedeutet das Tatoo?“ Ein Mann mittleren Alters mit einem kugelrunden Bauch beugte sich vor und signalisierte Interesse an der Körperkunst der Rothaarigen vor ihm.

„Des isch mei Pferdle, die Peggy. Des isch aber scho verstorbe. Vor drei Jahre…“

„HeeeeEEEEHMMMM“ räusperte sich Harry extralaut.

„Hey sage mal was isch denn dei Problemle?“ fragte die Rothaarige, die sich unterbrochen fühlte.

Harry wies mit erhobenem Zeigefinger auf die allgemeinen Benutzungsregeln deutscher Badeanstalten mit Saunanutzung hin.
Noch während er redete, bemerkte er, dass der Oberschenkel des Mädchens vor ihm nur zur Hälfte auf dem Handtuch lag. Er konnte dem Drang nicht widerstehen, sie aufzufordern, das Holz mit ihrem Handtuch zu bedecken.
Ihr Freund mit Hühnerbrust baute sich in einer Drohgebärde vor Harry auf und unterstellte ihm, sie angeglotzt zu haben. Das war natürlich nicht der Fall, Harry hatte nur Angst um die Sitzbank.
Beschwichtigende Stimmen redeten aus allen Ecken auf sie ein, sie mögen sich doch vertragen. Ein Witzbold wollte die Atmosphäre mit einem Gassenhauer auflockern, aber Harry war nicht zum Scherzen aufgelegt. Ruckartig wie ein Zinnsoldat riss er sein Handtuch von der Bank und wechselte grummelnd auf die gegenüberliegende Bank, letzte Lücke, unterste Reihe. Der Klügere gibt schließlich nach. Hier hat wohl keiner mehr Respekt vor dem Alter. Steif setzte er sich mit kerzengeradem Rücken.

Seine neue Sitznachbarin war stark geschminkt und kaute ihren Kaugummi mit offenem Mund, sodass die Schmatzgeräusche nicht zu überhören waren. Sie kratze mit ihren extrem langen Acrylnägeln eine Art von Paste aus einem Glastöpfchen und strich sich diese auf ihre Schienbeine.
„Was ist das?“ grunzte Harry unfreundlicher als beabsichtigt.

Mit russischem Akzent antwortete sie: „Chonig, weil das ist..“

„Hh hhh hhhooonig?!“ Harry bekam Schnappatmung.

„…Gecheimnis vom schöne Chaut..“ schmatzte sie.

Das brachte Harrys Saunafass zum Überlaufen. „Geheimnis?… Ich helfe Ihnen gleich! Deshalb sind die Holzbänke immer so verklebt!“ schrie er cholerisch.
Die goldene Panzergliederkette vibrierte auf seinem grauen Brusthaar. Sein roter Kopf drohte jeden Moment zu explodieren.

Der Kugelbauchmann fragte zu allem Überfluss, ob er wohl Penny das Pferd auch mit Honig bestreichen solle und die Rothaarige war entzückt von der Idee.

Jetzt eskalierte Harry regelrecht. Er stieß wüste Beleidigungen an die Saunateilnehmer aus, die man Gott sei Dank nicht verstand, weil er sich verhaspelte und dabei fast Fontänen spuckte. Er verließ mit einem Poltern die Sauna und war auf und davon. Den Nachruf, ob er wohl die Saunapolizei wäre, hatte er glücklicherweise nicht mehr gehört.

Der Genickhuster war sich sicher, dass eine Verwandtschaft zu Louis de Funès bestehen muss.

Die Stimmung in der Sauna wirkte angespannt als der freundliche Aufgussmeister Stefan eintrat. Er hatte von außen dumpfen Applaus und Gestampfe aus dem Saunainneren gehört, als der Stammsaunierer Harry wie von der Tarantel gestochen abdampfte.

Er begrüßte die Saunagäste und ohne Reden zu schwingen, wedelte er sanft mit dem großen Fächer frische Luft herein. Seine sanften Bewegungen strahlten Ruhe aus. Die Gäste schlossen die Augen. Das Holz knackte und knisterte unter der warmen Luft. Das Gefühl von Gemütlichkeit breitete sich aus.

Stefan lud ein, die Aufgüsse auf sich wirken zu lassen, vielleicht könne der ein oder andere erraten, um welchen Duft es sich handelt. Verraten wollte er es nicht.

Er goss die erste Holzkelle über den heißen Steinen aus. Zischhhh… Dampf und ätherische Harze stiegen auf. Der Duft verwandelte die Sauna in einen dunklen Nadelwald. Die Atemwege wurden erfüllt mit klaren, reinigenden Dämpfen, die auch bei der Bekämpfung von Erkältung Anwendung finden.
Pfeffrige Tannennadeln und Wacholder konnten in der ersten Runde der Kopfnote erraten werden.
Die beiden weiteren Aufgüsse waren so wunderbar verblendet, dass Harze, Hölzer und Nadelbäume nicht einzeln herausgedeutet werden konnten. Für eine leichte Frische im Hintergrund sorgte das Minzblatt.
Ein Wohlgefühl und tiefste Entspannung erfüllte alle Anwesenden. Die Atmung war frei, die Haut -ob mit oder ohne Honig- rosig strahlend und die Muskulatur gelockert.
An die Verwandtschaft von Louis de Funès dachte keiner mehr und wenn man auf klebendes Holz gelangt hatte, wurde dies mit einem Schmunzeln zur Kenntnis genommen.
Der Aufguss war bereits geleert und Stefan hatte sich verabschiedet, jedoch wollte keiner der Gäste aufstehen. Die Stimmung war einfach zu schön. Ob sie sich wohl hier Zuhause fühlten?

In the Woods ist die Abwesenheit der Saunapolizei oder sagen wir die Abwesenheit von Stress und Trubel. Ein Entschleuniger auf Knopfdruck. Der Duft hat durch seine balsamisch, ätherischen Dämpfe
eine erdende Wirkung. Er erinnerte mich sofort an gedimmtes Licht in einer angenehm warmen Sauna. Die Minze bringt eine leicht kühlende Wirkung mit. Ich fühle mich umarmt von freundlichen Nadelbäumen, die mich in ihr wunderbares Naturschauspiel entführen, um den Trubel der Welt für einen Moment vergessen zu lassen. Wie schön kann ein Duft sein… die Augen fallen zu, die Seele atmet, der Geist kommt zur Ruhe. Ich möchte bitte hier bleiben im Schutz des Waldes, unter den Armen der Tannen und auf dem Boden der warmen Hölzer.
Lasst mich schlafen so lange ich will, ich habe keine Eile.
20 Antworten