18.02.2025 - 08:59 Uhr

ElAttarine
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ElAttarine
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32
Aprikosen und die Schönheit des Vergänglichen
Über einen Zentner Aprikosen, den sie aus der letzten Ernte im Garten ihrer alternden Mutter bekam, als diese nicht mehr allein leben konnte, schreibt Rebecca Solnit in ihrem Buch „The Faraway Nearby (Aus der nahen Ferne)“:
„Einmal fiel mir ein Zentner Aprikosen zu. Es war ein beeindruckender Anblick, ein Berg von Aprikosen in allen Reifestadien, von hart und grün bis weich und bräunlich, obwohl die meisten von ihnen jene Schattierungen aufwiesen, die wir apricot nennen: blasses Orange mit rosenfarbenen Rötungen und gelbgoldenen Zonen, gepolstert mit einem feinen Samtbezug, nicht so flaumig wie Pfirsiche, nicht so glatt wie Pflaumen. Die reifen Früchte hatten den typischen leicht süßen Duft.
Ich hatte erwartet, dass sie wie die Fülle selbst aussehen würden, aber sie sahen eher wie Angst aus, denn jedes Mal, wenn ich zurückkam, gab es eine weitere faule Frucht oder zwei oder drei oder ein Dutzend, die ich aussortieren musste, und so verfiel ich jedes Mal, wenn ich vorbeikam, in eine Inspektion des Haufens, anstatt ihn zu bewundern.“
Es ist ein sehr berührendes Buch, übers Altwerden, über die Geschichten, die wir von anderen und von uns erzählen, über Vergänglichkeit und darüber, was es bedeutet, sich umeinander zu kümmern. Der Berg Aprikosen erweist sich hier als ein klassisches Stillleben, wie es Gemälde aus dem 17. Jahrhundert häufig darstellen: Früchte oder Gegenstände, die auf die Vergänglichkeit unseres Lebens und der Zeit hindeuten.
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Der japanische Begriff „Wabi-Sabi“ ist zusammengesetzt aus den beiden Teilen „wabi“ (zurückhaltende, schlichte Schönheit) und „sabi“ (Wirkung der Zeit, Spuren der Alterung, Patina). Zusammengenommen bedeutet es die ästhetische Wertschätzung des Alterns, der Vergänglichkeit und der Schönheit der Auswirkungen von Zeit, Mängeln und Unvollkommenheiten. Ursprünglich bedeutet wabi, sich einsam und verloren zu fühlen, was sich aber wandelte zur Freude an der Herbheit des Einsam-Stillen. In der Verbindung mit sabi entstand Wabi-Sabi als wichtigstes Schönheitsideal der japanischen Kunst. Nicht strahlende Schönheit ist hier das Höchste, sondern die gebrochene, die sich in ganz unscheinbaren Gegenständen wie einer rostigen Teekanne oder einem bemoosten Stein zeigt.
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„Wabi-Sabi“ von Flore Botanical Alchemy ist ein Duft, in dem ich verweilen möchte, obwohl er genau diese Schönheit des Vergänglichen, Alternden thematisiert. Er beginnt mit zypressenzitrischer Shisoschärfe, die leicht ätherisch während des ganzen weiteren Verlaufs über dem Duft schwebt und sehr schön die einsame Stille eines Zypressenwäldchens aufruft. Wobei „Schärfe“ schon fast zu deutlich ist für diese feine Klarheit, die hier entsteht. Sehr schnell kommt herb-fruchtige ziemlich unsüße Aprikose mit Osmanthus hinzu, was sich wunderbar ergänzt. Die Fragilität dieses Aprikosenduftes empfinde ich als sehr fein. Und daher - kurz bevor ich sagen möchte, nee, das ist mir doch zu fruchtig, wird der Dufteindruck wieder leichter und gibt Raum für Zartblumiges. Die genannten Blüten kann ich nicht einzeln auseinanderhalten, schon gar nicht deutlichen Jasmin ausmachen, vor allem sind es Blütenerinnerungen an Vergängliches. Und doch gibt es untendrunter eine weich-herbe Basis, gemacht aus Holzigem, Erdigem, Harzigem, das aber eher heuig-leichtes Erdgrün bleibt. Oud gibt es allenfalls in Spuren, und es ist überhaupt nicht animalisch (hätte auch nicht gepasst).
Transparent und moderat haltbar, fruchtig und ätherisch, eine wunderbare Komposition.
Dankeschön an Gandix !
Rebecca Solnit: The Faraway Nearby, 2013 (meine Übersetzung)
https://plato.stanford.edu/entries/japanese-aesthetics/
„Einmal fiel mir ein Zentner Aprikosen zu. Es war ein beeindruckender Anblick, ein Berg von Aprikosen in allen Reifestadien, von hart und grün bis weich und bräunlich, obwohl die meisten von ihnen jene Schattierungen aufwiesen, die wir apricot nennen: blasses Orange mit rosenfarbenen Rötungen und gelbgoldenen Zonen, gepolstert mit einem feinen Samtbezug, nicht so flaumig wie Pfirsiche, nicht so glatt wie Pflaumen. Die reifen Früchte hatten den typischen leicht süßen Duft.
Ich hatte erwartet, dass sie wie die Fülle selbst aussehen würden, aber sie sahen eher wie Angst aus, denn jedes Mal, wenn ich zurückkam, gab es eine weitere faule Frucht oder zwei oder drei oder ein Dutzend, die ich aussortieren musste, und so verfiel ich jedes Mal, wenn ich vorbeikam, in eine Inspektion des Haufens, anstatt ihn zu bewundern.“
Es ist ein sehr berührendes Buch, übers Altwerden, über die Geschichten, die wir von anderen und von uns erzählen, über Vergänglichkeit und darüber, was es bedeutet, sich umeinander zu kümmern. Der Berg Aprikosen erweist sich hier als ein klassisches Stillleben, wie es Gemälde aus dem 17. Jahrhundert häufig darstellen: Früchte oder Gegenstände, die auf die Vergänglichkeit unseres Lebens und der Zeit hindeuten.
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Der japanische Begriff „Wabi-Sabi“ ist zusammengesetzt aus den beiden Teilen „wabi“ (zurückhaltende, schlichte Schönheit) und „sabi“ (Wirkung der Zeit, Spuren der Alterung, Patina). Zusammengenommen bedeutet es die ästhetische Wertschätzung des Alterns, der Vergänglichkeit und der Schönheit der Auswirkungen von Zeit, Mängeln und Unvollkommenheiten. Ursprünglich bedeutet wabi, sich einsam und verloren zu fühlen, was sich aber wandelte zur Freude an der Herbheit des Einsam-Stillen. In der Verbindung mit sabi entstand Wabi-Sabi als wichtigstes Schönheitsideal der japanischen Kunst. Nicht strahlende Schönheit ist hier das Höchste, sondern die gebrochene, die sich in ganz unscheinbaren Gegenständen wie einer rostigen Teekanne oder einem bemoosten Stein zeigt.
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„Wabi-Sabi“ von Flore Botanical Alchemy ist ein Duft, in dem ich verweilen möchte, obwohl er genau diese Schönheit des Vergänglichen, Alternden thematisiert. Er beginnt mit zypressenzitrischer Shisoschärfe, die leicht ätherisch während des ganzen weiteren Verlaufs über dem Duft schwebt und sehr schön die einsame Stille eines Zypressenwäldchens aufruft. Wobei „Schärfe“ schon fast zu deutlich ist für diese feine Klarheit, die hier entsteht. Sehr schnell kommt herb-fruchtige ziemlich unsüße Aprikose mit Osmanthus hinzu, was sich wunderbar ergänzt. Die Fragilität dieses Aprikosenduftes empfinde ich als sehr fein. Und daher - kurz bevor ich sagen möchte, nee, das ist mir doch zu fruchtig, wird der Dufteindruck wieder leichter und gibt Raum für Zartblumiges. Die genannten Blüten kann ich nicht einzeln auseinanderhalten, schon gar nicht deutlichen Jasmin ausmachen, vor allem sind es Blütenerinnerungen an Vergängliches. Und doch gibt es untendrunter eine weich-herbe Basis, gemacht aus Holzigem, Erdigem, Harzigem, das aber eher heuig-leichtes Erdgrün bleibt. Oud gibt es allenfalls in Spuren, und es ist überhaupt nicht animalisch (hätte auch nicht gepasst).
Transparent und moderat haltbar, fruchtig und ätherisch, eine wunderbare Komposition.
Dankeschön an Gandix !
Rebecca Solnit: The Faraway Nearby, 2013 (meine Übersetzung)
https://plato.stanford.edu/entries/japanese-aesthetics/
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