25.02.2025 - 05:29 Uhr

ElAttarine
85 Rezensionen

ElAttarine
Top Rezension
33
Melusines Geheimnis
Der Zeitpunkt ist gekommen. Der starke Rauch ihrer Holzfeuer ist selbst hier, tief unter Wasser zu riechen. Das Licht des Vollmonds scheint bis in die Tiefe und lässt das Grün des Wassers leuchten. Wieder wirst du dein Unterwasserreich verlassen. Auch wenn der Zauber dich Kraft kostet. Für ein paar Stunden nimmst du menschliche Gestalt an und gehst an Land. Am Anfang sind da immer die Schmerzen, wenn aus deinem Nixenschwanz Menschenbeine werden, aber du weißt, das ist nur von kurzer Dauer. Und doch… Schon bei deinem ersten noch unsicheren Schritt weißt du, dass es falsch ist. … Sie werden dich auslachen. Es wird dich verletzen. Aber du musst es tun. Du willst es tun. Wieder.
Was treibt dich an? Als einst dieses Handelsschiff in einem Sturm fast sank und dabei seine Ladung in dein Unterwasserreich verlor, hast du ihn an der Reling gesehen, sein wunderschönes mutiges Gesicht, gezeichnet von Anstrengung und Sorge, das seitdem deine Gedanken und Gefühle beherrscht. Er hat dich damals tief angesehen, in einem kurzen Moment intensivster Nähe. Die Erinnerung an diese Begegnung ist untrennbar verknüpft mit den Düften von Weihrauch, Kardamom, angstschwitzigem Kreuzkümmel, Pfeffer und Tannenharz aus der Ladung des Schiffs, wie sie sich mit dem Geruch des Wassers mischten. Lebt er noch? Würde er dich lieben können, auch wenn er dich in deiner wahren Gestalt sehen und erkennen würde? Wieder bist du bereit, dich der Gefahr und der Lächerlichkeit preiszugeben – für deine Liebe, die stärker ist als die Angst, davor, gesehen und erkannt zu werden. Ausgelacht und abgelehnt zu werden. Für die winzige Chance, ihn doch noch unter den Menschen auf dem Land zu finden.
Love, my dears,
Is insensitive to wisdom.
And for one shared moment,
Forgets the ridiculous.
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Liebe Leute, kommt jetzt nicht mit dem taubtrüben Dunst am Musenhain aus Loriots Gedichtsatire! Hier ist das Wasser zwar trüb, aber sonst ist alles klar und ausdrucksstark: ein wilder, starker Duft von Carbonnel. Blind hätte ich ihn in Richtung eines älteren Beaufort mit dunklem Artisan-Kokelrauch verortet. Gleich am Start tiefes gründunkles Meerwasser mit allem Trüben, das da so drin rumschwimmt, und intensiver Holzrauch, dessen Geruch bis unter Wasser dringt. Immer wieder schwappt der Meeresgeruch hoch. Die Dominanz des Rauchs wird gaaanz langsam schwächer, so dass die anderen Noten zur Geltung kommen. Zunehmend ist grünlicher Weihrauch dabei. Hin und wieder kann ich salzige Ambra wahrnehmen. Jetzt wird es frischer, als ob frischerer Wind aufkommt, und den grünen Duft von Tannennadeln und ozonige Frische über die Küste weht und die Frische auch zum Teil ins Wasser bringt. Immer mehr sehe ich während dieser Phase weniger eine Verwandtschaft zum Sea Angel als zu Beauforts Fathom V, einen Hauch weniger Blumen und dafür würziger. Komplex ergänzt durch leicht schwitzigen Kreuzkümmel, harzig-Krautiges (Salbei) und Gewürze, erdig-Ledriges, bittere Myrrhe und süßliches Benzoe.
Nur der Anfang mit dem starken Rauch ist konzeptduftmäßig leicht anstrengend, danach gibt es eine lange und tolle Reise, die ich genießen kann und die mir richtig gut gefällt. Die Farbe ist für mich ein dumpfes, trübes Grün mit hellen, frischen Einsprengseln hier und da. Die Verbindung von Leben im Meer und Leben an Land ist hier toll gelungen.
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Die Figur der Melusine wird in Mythen und Legenden seit dem Mittelalter so dargestellt, dass ihr Unterleib der einer Schlange oder Nixe oder ein Drachenschwanz ist. Meist geht es darum, dass Melusine einen Ritter unter den Bedingungen eines speziellen Betrachtungstabus liebt und er sie nicht in ihrer wahren Gestalt der Wasserfee sehen darf. Bilddarstellungen zeigen Melusine oft in einem Bottich hinter einer Tür, so dass ihr Unterleib verdeckt ist. Meist geht es schlecht aus, wenn der Ritter das Tabu bricht. Varianten des Stoffes gibt es schon seit der Antike, z.B. im Mythos von Amor und Psyche, und (geschlechtermäßig umgekehrt) in Elsas Drang, alles über Lohengrin wissen zu wollen. Aber alles wissen zu wollen, ist ein Wahn. Bestimmte Dinge können vielleicht nicht geteilt werden. Geheimnisse schützen manchmal beide Seiten, Gebende und Empfangende. Wer dann das Geheimnis des anderen um jeden Preis durchsichtig machen will, zerstört das, was Vertrauen und Liebe möglich machten. Nach dem Verlust des Geheimnisses helfen auch keine Umarmungen mehr, und eine triviale, entzauberte Welt bleibt übrig. Und wenn wir die Perspektive drehen und einmal aus Melusines eigener Perspektive schauen, geht es hier um die Angst davor, gesehen und erkannt zu werden.
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Auf der Homepage von Le Frag schreibt Agnieszka Lewandowska, wie sie in ihrer Kindheit in Polen das Lied der Meluzyna aus dem kultigen Filmmusical „Die Akademie des Meisters Kleks“ (1985) geliebt hat. In Meluzynas Lied geht es um eine unglückliche, verschmähte Liebe: „Meluzyna hat jemanden so sehr geliebt, dass sie keine Angst vor dem Tod oder der Ablehnung hat. Er ist derjenige, den sie auf ihren heimlichen Reisen zum Festland zu finden versucht. Deshalb sind die Aromen von Meer und Land in diesem Duft vereint.“
Das ist hier toll umgesetzt: ein Duft von Meer und Land. Er erzählt eine Geschichte, in der es immer versöhnlicher wird, zuletzt versöhnlich mit den eigenen Gefühlen - gegen die Angst, sie zu äußern.
Dankeschön an BeJot für die Probe! Du hast gewusst, dass ich mit dem etwas anfangen kann.
Meluzynas Lied aus dem Film „Podróże Pana Kleksa“ von 1985, gesungen von Małgorzata Ostrowska:
https://www.youtube.com/watch?
v=CXeVgusVc40
Vom Sound her verbesserte Version von 2012
https://www.youtube.com/watch?
v=Tfodk95O_rQ
Zur interessanten Buchvorlage des Films:
https://de.wikipedia.org/wiki/
Die_Akademie_des_Meisters_Klex
https://3seaseurope.com/mr-blots-
academy-dark-subtext/
Was treibt dich an? Als einst dieses Handelsschiff in einem Sturm fast sank und dabei seine Ladung in dein Unterwasserreich verlor, hast du ihn an der Reling gesehen, sein wunderschönes mutiges Gesicht, gezeichnet von Anstrengung und Sorge, das seitdem deine Gedanken und Gefühle beherrscht. Er hat dich damals tief angesehen, in einem kurzen Moment intensivster Nähe. Die Erinnerung an diese Begegnung ist untrennbar verknüpft mit den Düften von Weihrauch, Kardamom, angstschwitzigem Kreuzkümmel, Pfeffer und Tannenharz aus der Ladung des Schiffs, wie sie sich mit dem Geruch des Wassers mischten. Lebt er noch? Würde er dich lieben können, auch wenn er dich in deiner wahren Gestalt sehen und erkennen würde? Wieder bist du bereit, dich der Gefahr und der Lächerlichkeit preiszugeben – für deine Liebe, die stärker ist als die Angst, davor, gesehen und erkannt zu werden. Ausgelacht und abgelehnt zu werden. Für die winzige Chance, ihn doch noch unter den Menschen auf dem Land zu finden.
Love, my dears,
Is insensitive to wisdom.
And for one shared moment,
Forgets the ridiculous.
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Liebe Leute, kommt jetzt nicht mit dem taubtrüben Dunst am Musenhain aus Loriots Gedichtsatire! Hier ist das Wasser zwar trüb, aber sonst ist alles klar und ausdrucksstark: ein wilder, starker Duft von Carbonnel. Blind hätte ich ihn in Richtung eines älteren Beaufort mit dunklem Artisan-Kokelrauch verortet. Gleich am Start tiefes gründunkles Meerwasser mit allem Trüben, das da so drin rumschwimmt, und intensiver Holzrauch, dessen Geruch bis unter Wasser dringt. Immer wieder schwappt der Meeresgeruch hoch. Die Dominanz des Rauchs wird gaaanz langsam schwächer, so dass die anderen Noten zur Geltung kommen. Zunehmend ist grünlicher Weihrauch dabei. Hin und wieder kann ich salzige Ambra wahrnehmen. Jetzt wird es frischer, als ob frischerer Wind aufkommt, und den grünen Duft von Tannennadeln und ozonige Frische über die Küste weht und die Frische auch zum Teil ins Wasser bringt. Immer mehr sehe ich während dieser Phase weniger eine Verwandtschaft zum Sea Angel als zu Beauforts Fathom V, einen Hauch weniger Blumen und dafür würziger. Komplex ergänzt durch leicht schwitzigen Kreuzkümmel, harzig-Krautiges (Salbei) und Gewürze, erdig-Ledriges, bittere Myrrhe und süßliches Benzoe.
Nur der Anfang mit dem starken Rauch ist konzeptduftmäßig leicht anstrengend, danach gibt es eine lange und tolle Reise, die ich genießen kann und die mir richtig gut gefällt. Die Farbe ist für mich ein dumpfes, trübes Grün mit hellen, frischen Einsprengseln hier und da. Die Verbindung von Leben im Meer und Leben an Land ist hier toll gelungen.
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Die Figur der Melusine wird in Mythen und Legenden seit dem Mittelalter so dargestellt, dass ihr Unterleib der einer Schlange oder Nixe oder ein Drachenschwanz ist. Meist geht es darum, dass Melusine einen Ritter unter den Bedingungen eines speziellen Betrachtungstabus liebt und er sie nicht in ihrer wahren Gestalt der Wasserfee sehen darf. Bilddarstellungen zeigen Melusine oft in einem Bottich hinter einer Tür, so dass ihr Unterleib verdeckt ist. Meist geht es schlecht aus, wenn der Ritter das Tabu bricht. Varianten des Stoffes gibt es schon seit der Antike, z.B. im Mythos von Amor und Psyche, und (geschlechtermäßig umgekehrt) in Elsas Drang, alles über Lohengrin wissen zu wollen. Aber alles wissen zu wollen, ist ein Wahn. Bestimmte Dinge können vielleicht nicht geteilt werden. Geheimnisse schützen manchmal beide Seiten, Gebende und Empfangende. Wer dann das Geheimnis des anderen um jeden Preis durchsichtig machen will, zerstört das, was Vertrauen und Liebe möglich machten. Nach dem Verlust des Geheimnisses helfen auch keine Umarmungen mehr, und eine triviale, entzauberte Welt bleibt übrig. Und wenn wir die Perspektive drehen und einmal aus Melusines eigener Perspektive schauen, geht es hier um die Angst davor, gesehen und erkannt zu werden.
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Auf der Homepage von Le Frag schreibt Agnieszka Lewandowska, wie sie in ihrer Kindheit in Polen das Lied der Meluzyna aus dem kultigen Filmmusical „Die Akademie des Meisters Kleks“ (1985) geliebt hat. In Meluzynas Lied geht es um eine unglückliche, verschmähte Liebe: „Meluzyna hat jemanden so sehr geliebt, dass sie keine Angst vor dem Tod oder der Ablehnung hat. Er ist derjenige, den sie auf ihren heimlichen Reisen zum Festland zu finden versucht. Deshalb sind die Aromen von Meer und Land in diesem Duft vereint.“
Das ist hier toll umgesetzt: ein Duft von Meer und Land. Er erzählt eine Geschichte, in der es immer versöhnlicher wird, zuletzt versöhnlich mit den eigenen Gefühlen - gegen die Angst, sie zu äußern.
Dankeschön an BeJot für die Probe! Du hast gewusst, dass ich mit dem etwas anfangen kann.
Meluzynas Lied aus dem Film „Podróże Pana Kleksa“ von 1985, gesungen von Małgorzata Ostrowska:
https://www.youtube.com/watch?
v=CXeVgusVc40
Vom Sound her verbesserte Version von 2012
https://www.youtube.com/watch?
v=Tfodk95O_rQ
Zur interessanten Buchvorlage des Films:
https://de.wikipedia.org/wiki/
Die_Akademie_des_Meisters_Klex
https://3seaseurope.com/mr-blots-
academy-dark-subtext/
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