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vor 7 Jahren - 10.01.2017
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Was ist eigentlich Duft und was Gestank?

Wo liegt die Grenze und kann das eine ins andere (und umgekehrt) überführt werden, hab ich mich schon heute Morgen – wie so oft unter Halstuch und Pulli schnüffelnd – und auch gerade eben auf der Rückfahrt – mit nur noch ganz feinen, verwehenden Duftfahnen aus den Tiefen der Oberbekleidung heraus gefragt. Darauf gekommen bin ich, weil ich gestern auf dem Nachhauseweg noch schnell auf Empfehlung einer netten Duft-Expertin weiter unten auf meiner Pinwand zu Lush, einem ein wenig ungewöhnlichen Parfümeur und Kosmetikladen direkt gegenüber vom Bahnhof Friedrichstraße eingekehrt bin und mich umgerochen (umgesehen wäre in einer Parfümerie nett aber unergiebig) habe. Ganz gezielt nach dem Duft „Breath of God“, der wirklich der absolute Hammer ist. Trotz Halstuchwechsels heute ist er in dünner Konzentration selbst jetzt, einen ganzen Tag später immer noch vorhanden. Gestern Abend hatte mich die ungewöhnliche Konstruktion und Komplexizität des Duftes beinahe in ein „Halbkoma“ versetzt.

Ich assoziiere bei dem Geruch ganz unkonventionelle Bilder.

Eine Rückblende, ich war vielleicht elf Jahre alt, da hatte meine Mutter für meine Schwester, die damals so etwa ein halbes Jahr alt war, in der Küche jener Wohnung meiner Kindertage Baby-Schnuller und Nuckel von Fläschchen ausgekocht und hatte den Topf auf der heissen Herdplatte vergessen, als sie einkaufen ging. Dieser Gestank nach halbverbranntem, flüssigem Gummi war unglaublich scheußlich, das weiß ich noch. Er war tagelang in der Wohnung zu erschnüffeln.

Indes – irgendwie ist dieser Gummi-Schmor-Geruch in extrem feiner Verdünnung – nach meiner Geruchsassoziation – in dem „Breath of God“ enthalten. Und er riecht da gar nicht übel. Irgendwie richtig edel.

Und noch so einer. Etwa um das Jahr 1994/95 herum hab ich mal ein Jahr in Kanada gelebt und gearbeitet. Ich hatte da in einer Kleinstadt irgendwo im weiten Nichts von British Columbia ein halbes Häuschen mit Terrasse, viel Platz und Ideen und viele Flausen im Kopf – aber das gehört nicht hierher. Irgendwann hatte der Hund eines Nachbarn, mehrere Häuserblocks entfernt die ausgesprochen dumme Idee, sich mit einem Stinktier anzulegen. Das war ungeschickt und nachhaltig dumm für den Hund – und bestimmt in noch höherem Maße für den Hundebesitzer, der das bestialisch stinkende Tier wohl irgendwie wieder sauber kriegen musste.

Habt Ihr mal ein verärgertes Stinktier gerochen? Noch gibt es sie bei uns ja nicht freilaufend, aber vielleicht bringen uns Klimawandel und Invasionsbiologie mittelfristig auch diese durchaus possierlichen – sofern nicht gerade übel gelaunten – Kerlchen nach Deutschland. Also – so ein Stinktier riecht man einige Hundert Meter weit und wer in diesem Fall nicht mit einem Hechtsprung die Balkon- oder Terrassentür zu verschließen vermag, hat einen unschönen Tag in seiner Bude.

Tatsächlich vermeine ich allerdings, in dem Breath of God in extrem feinster Verdünnung eben genau auch jenen Stinktierduft zu vernehmen und siehe da – in dieser äußerst verdünnten – beinahe homöopathischen Ausprägung wird er auf einmal sehr interessant.

Es scheint mir ein Stück so, als könne man so manchen „üblen Geruch“ unter Umständen in einen Wohlgeruch verwandeln, sofern man nur genügend Verdünnung dafür herstellt. Oder im Umkehrschluss bedeutet dies, dass auch beste Wohlgerüche in hoher Konzentration zu infernalischem Gestank zu werden vermögen.

Wo ist da die Grenze? Gibt es dazu Forschung?

Gedankenverloren sinniere ich nun gerade über andere unschöne Gerüche nach und finde meine Annahme in Teilen bestätigt. Schweiß etwa – wenn in hoher Konzentration und mit abbauenden Milchsäurebakterien versetzt – kann auf Mitmenschen (etwa in einer überfüllten, sommerlich heißen S-Bahn) eine vernichtende Wirkung haben. Andererseits meine ich annehmen zu dürfen, dass der gleiche Schweiß in extrem starker Verdünnung unsere Nasen durchaus positiv zu justieren vermag – ja, an bestimmten Körperregionen sogar eine aphrodisierende Wirkung entfalten kann. Und noch ein Beispiel geht mir durch den Sinn. Im letzten Sommer waren wir in unserer Nachbar- und Alpenrepublik Österreich „zu Urlaub und zu Gast“ und auf irgendeiner Gipfeltour hatte ich mir in der dortigen Berghütte „Kasnocken nach Art des Hauses“ bestellt. Angerichtet mit viererlei Käsesorten und stark erhitzt im Berghüttenofen kam da ein Gericht auf den Tisch, das die Fliegen von den nahegelegenen Holzstößen fallen-, die Nachbarn mit Tisch und Stuhl fortrücken- und die Murmeltiere stöhnend in ihren Höhlen verschwinden ließ. Ein wenig übertrieben formuliert. Würde man diesen derben Käsegeruch allerdings sehr, sehr stark ausdünnen – so stark, dass unsere Nasen die eigentlichen Noten aus eventuell dazu gemischten anderen Düften nicht trennscharf herausfiltern können – so könnte ich mir vorstellen, würde dieser hochverdünnte Käseduft manch einen von uns zu einem Kauf jenes hier skizzierten Odors verleiten.

Welch andere Gerüche kommen mir da in den Sinn? Auspuffgase, faule Eier, stinkender Fisch? Wohl eher nicht. Das sind Gerüche, zu denen in unseren Köpfen „Warnmeldungen“ programmiert sind. Macht ja auch Sinn. Schwefelwasserstoff ist giftig, also wurde uns mit dem Geruch eine Warnung hardcodiert in den Kopf gemeißelt. Selbst in großer Verdünnung.

Damit wende ich mich mal an Euch, liebe Blogbesucher. Was fallen Euch für Gerüche ein, die man landläufig als negativ bewerten würde. Und könnten diese – in entsprechender Verdünnung und durch Vermischung mit anderen Gerüchen vielleicht in Wohlgerüche gewandelt werden? Recht nachdenklich mache ich mich heute auf den Weg ins Bett…

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