Aorta

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Aorta vor 12 Jahren 19 6
9
Duft
Geschichten aus dem Sägewerk, oder auch: Reibung erzeugt Wärme
Wonderwood empfinde ich nicht als einen übermäßig gefälligen Duft. Nichtsdestotrotz, nein, gerade deswegen verfügt er über eine hohe Anziehungskraft, ist spannend wie eine gut aufgebaute Erzählung.

Mit einem Wald hat Wonderwood nicht viel zu tun, denn dazu fehlen mir Blattgrün, Erde und Moos. Vielmehr geht es hier um Holz. Ja, ich würde den Namen dahingehend interpretieren, dass der Duft zwar auf einem Naturmaterial aufbaut, in der Summe der Eindrücke aber doch tendenziell Kunst (nicht: künstlich) ist. Das Wunderholz ist nicht abstrakt, aber durchaus abstrahiert.

Den Auftakt hat Apicius schon sehr gut beschrieben, auch bei mir taucht anstelle des Zitruselements eine Frische auf, welche mich an getrocknete Minzblätter erinnert. Dazu gesellt sich Vetiver, eine ordentliche Portion Pfeffer und ein winziger Hauch Muskatnuss. Hintergründig kündigen sich jedoch bereits hier auch die Hölzer an.

Das Herz erinnert mich dann an den Geruch in einem dunklen Sägewerk, die kürzlich geschnittenen Holzscheite, die Späne, der Holzstaub, ein wenig Harz oder Teer. Sandelholz gibt den Ton an, gefolgt von Zeder und einer dezenten Weihrauchnote. Mit einem Wort: Herrlich! Aber hier gilt ebenso: Die Komposition ist nicht konkret, sondern eher eine Art Rekapitulation des Tatsächlichen. Es ist sinnvoll, auf diesen Gedanken noch etwas näher einzugehen und einen weit hergeholten Vergleich heranzuziehen:

In der Erzähltheorie gibt es die Trias aus Erlebnis - Erinnerung - Erzählung. Während ersteres noch ganz konkret ist, geht es beim Erinnern eher um Bedeutung und Kontext, welche dem Erlebten beigemessen werden, um Bewusstseinssedimente. Die Erzählung wiederum ist die Brücke zwischen „damals“ und „heute“, dabei immer an die aktuelle Erzählsituation (ergo auch den oder die Zuhörer) rückgekoppelt.

Letzten Endes liegt genau darin nun eine der Stärken von Wonderwood: Aufgrund seines Facettenreichtums und Abstraktionsgrades erlaubt er es dem Träger, seine jeweils ureigene Version der Geschichte aus dem Sägewerk zu konstruieren.

Und seine weiteren Vorzüge?

Ein Überraschungsmoment, irgendwo zwischen Herz und Basis taucht immer mal wieder ein Akkord auf, der wie eine Mischung aus geschmortem Gummi und frischem Schweiß riecht. Ich schreibe das dem Duo Oud und Kümmel zu. Es hört sich nun nicht unbedingt appetitlich an, macht Wonderwood aber gerade reizvoll, weil etwas widerspenstig, woraus sich dann auch die Verknüpfung zu o.g. physikalischen Prinzip ergibt. CdGs Kreation irritiert und fasziniert durch dieses ihr innewohnende Wechselspiel, man möchte den dargebotenen Kosmos unbedingt genauer erforschen.

Die Haltbarkeit würde ich mit etwa sechs bis sieben Stunden beziffern. Obwohl der Duft nah an der Frau (oder am Mann) bleibt, rate ich davon ab, direkt an der Haut zu schnuppern, dann bekommt Wonderwood leicht eine unangenehm stechende Note. Mit ein wenig Distanz zwischen Aorta und Duft komme ich allerdings zum Schluß: Sehr empfehlenswert.
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Aorta vor 12 Jahren 14 2
7
Duft
Eierlegende Wollmilchsau, nahezu.
Beim Begriff „Büroduft“ zucke ich innerlich stets ein wenig zusammen und will mich instinktiv abwenden. Denn damit verbinde ich quasi automatisch gepflegte Langeweile in olfaktorischer Form. Balmains „Ambre Gris“ hat mich jedoch eines Besseren belehrt, denn obgleich er sich bestens für die Bezeichnung „Büroduft“ eignet, finde ich ihn ganz wunderbar.

Ambre Gris ist ein parfümiges Parfum, damit meine ich, dass man sich wirklich konzentrieren muss, um die einzelnen Bestandteile herauszufiltern, denn sie sind fein miteinander verwoben. Nichts an dieser Komposition ist laut oder aufdringlich, alle Komponenten sind sorgfältig aufeinander abgestimmt. Die Einordnung fällt mir deshalb nicht so leicht, aber „fruchtiger Florientale“ trifft es vielleicht ganz gut. Dabei fühle ich mich an Calvin Kleins „Contradiction“ erinnert, auch Freunden von Rosines „La Coupe d'Or“ würde ich ein Probeschnuppern empfehlen – die Duftnoten dieser Kandidaten sind zwar gänzlich verschieden, erzeugen aber zusammengenommen einen doch recht ähnlichen Gesamteindruck wie im vorliegenden Fall.

Die Kopfnote startet fruchtig, aber ohne Zitrusnote – die Bergamotte kann ich nicht finden, stattdessen fühle ich mich eher an Dessertwein erinnert, beispielsweise einen edelsüßen Riesling oder Muskateller. Gelbe Früchte (Pfirsich und Aprikose), zarte Gewürze (Zimt voran, eine Spur Muskatnuss), ein wenig goldener Honig – so kann man sich den Auftakt ungefähr vorstellen. Sehr warm, feminin und gefällig insgesamt, dabei aber nicht anbiedernd und auch nicht in die von mir gerne geschmähte Gourmand-Ecke abgleitend.

Der Übergang zum Duftherz vollzieht sich sukzessive, was wohl in erster Linie an der Tuberose liegt, deren blumige Süße sehr schön die Richtung, die der Auftakt vorgegeben hat, fortsetzt. Ergänzt wird sie durch Davana, ein Kraut, das exotisch-fruchtig, aber auch leicht würzig (an Zimt erinnernd) riecht. Auch Myrrhe und Strohblume tragen zur warmen, hellen und freundlichen Stimmung mit ihrer lieblichen Würze bei. In diesem Stadium wirkt das Gesamtwerk ebenfalls sehr rund, es gibt keinen Showstealer, Teamwork ist angesagt.

Der Weg zur Basis ist nicht lang, die Süße tritt etwas in den Hintergrund, der Fond wirkt pudriger, weniger verspielt. Die Duftsedimente sind zart, aber langanhaltend. Benzoe, Moschus und Ambra zeigen sich als gleichberechtigte Partner, die die Trägerin sanft umhüllen.

Ambre Gris tanzt aus der Reihe meiner üblichen Verdächtigen, aber ich empfinde ihn als einen ausgesprochen angenehmen Duft. Ecken und Kanten wird man hier eher vergeblich suchen, aber: Sei's drum! Ein Mauerblümchen ist das Werk aus dem Hause Balmain deshalb noch längst nicht. Je nach emotionaler Verfassung ist diese Kreation als Hautschmeichler und Seelentröster ebenso geeignet wie als unaufdringliche Aufforderung, doch etwas näher zu kommen. Moment, schrieb ich nicht oben „Büroduft“?! Na, nicht wenige Paare lernen sich schließlich am Arbeitsplatz kennen.

Summa summarum: Ein gediegener, jedoch keineswegs langweiliger Fast-Alleskönner. Auch preislich eine recht erfreuliche Alternative zu Nischendüften der zivilisierteren Sorte. Sofern man nicht gerade nach einer schrägen oder provokanten Komposition sucht, sondern „nur“ wohlriechend durch den Alltag wandeln möchte, kann man Ambre Gris also durchaus als geeigneten Begleiter in Erwägung ziehen.
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Aorta vor 12 Jahren 19 6
10
Duft
Into Heartbeats
Es ist nicht leicht, die richtige Sprache für „Bosque“ zu finden. Der Duft aus dem Hause Humiecki & Graef ist originell, anmutig, hell, zart und fein. Kurzum: Etwas ganz Besonderes. Man kann ihn zwar umschreiben, hat dabei aber das Gefühl, dass dies der Komposition nicht wirklich gerecht wird. Das mag (auch) daran liegen, dass Bosque eine erstaunlich große Suggestivkraft innewohnt.

Die Kopfnote ist schlichtweg traumhaft schön. Ich kenne keinen Duft, der auch nur einen annäherend ähnlichen Auftakt hat. Ganz kurz nehme ich Grapefruit (frisch, aber nicht bitter) wahr, danach kommt recht flott eine Mischung, welche floral, cremig und grün ist, zusammen mit einer Note, die auch mich an Marzipan erinnert, jedoch nicht übermäßig süß ist. Wikipedia belehrt mich, dass Büffelgras nach Waldmeister duften soll – selbigen kann ich eigentlich nicht ausstehen, entdecke ihn hier aber auch nicht. Der grüne Akkord liegt für mich eher irgendwo zwischen sanftem Vetiver und ganz zartem Blattgrün, vielleicht auch ein klein wenig Pflanzensaft. Er wirkt aber in keiner Weise giftig oder stechend. Narzisse und Primel bilden ein freundliches, weiches Duo, das mir so gut gefällt, dass ich mich frage, warum nicht schon viel früher jemand auf die Idee gekommen ist, diese beiden so zu kombinieren. Der Duftverlauf ist fließend und beinhaltet keine großen Veränderungen, Richtung Herz und Fond wird Bosque etwas süßer und pudriger, weißer Moschus und Vetiver bilden die Basis.

Wie bereits erwähnt, wirkt der Duft recht anregend in puncto Kopfkino. Welche Assoziationen löst er also in mir aus?

Zuweilen stehe ich morgens sehr früh auf, um einen Streifzug durch ein nahegelegenes Naturschutzgebiet zu machen. Selbiges liegt an einem sonnigen Hang und besteht in erster Linie aus ausgedehnten, alten Streuobstwiesen. Besonders schön ist es dort im Frühjahr, wenn die ersten Bäume blühen, die Wiesen aus ihrem Winterschlaf erwachen und allerlei Insekten anlocken. Wenn dann frühmorgens der Tau in der Sonne glitzert und außer mir keine Menschenseele unterwegs ist, gibt es kaum einen schöneren Ort. Klingt schlimm kitschig, ist aber so.

Eine andere Assoziation ist musikalischer Natur, nämlich die sogenannte „Wall of Sound“. In erster Linie wird diese Produktionstechnik eingesetzt, um Musik raumfüllend und episch (neudeutsch: fett) klingen zu lassen. Kein Wunder also, dass sie vor allem recht häufig bei Rockmusik zum Einsatz kommt. Diesen Aspekt meine ich hier aber nicht. Manchmal bringt sie nämlich auch andere Qualitäten eines Musikstücks hervor, erzeugt einen Klangteppich, der förmlich zu schweben scheint, verträumt und ätherisch wirkt. Hierin besteht die Verbindung zu Bosque.

Schließlich Botticelli und seine Frauengestalten, genauer gesagt, die „Geburt der Venus“. Vollkommen nackt ist seine Venus, doch eben nicht anstößig. Man möge sich mal ihre Körperhaltung ansehen, wie sie graziös in der Bildmitte schwebt. Und dieser entrückte Blick!

Fazit: Wer sich jetzt noch immer nicht dazu motiviert fühlt, Bosque selbst zu testen, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen.
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Aorta vor 12 Jahren 14 12
10
Duft
East meets West / Wird das Heidenkind bekehrt?
„Yugen kann man mit der Seele erfassen, aber nicht mit Worten ausdrücken“ (Shotetsu, 1381-1459)

Beschäftigt man sich mit den verschiedenen Konzepten japanischer Ästhetik, stößt man irgendwann zwangsläufig auf den Ausdruck „Yugen“. So recht übersetzen lässt sich das Wort nicht, man kann sich seiner Bedeutung allenfalls annähern. Yugen bezeichnet ein stilistisches Ideal, aber auch eine Stimmung. Es hat mit Subtilität zu tun, damit, dass die Dinge um uns herum über mehrere Ebenen verfügen und eher die Andeutung auf Verborgenes reizvoll ist, als das, was sich ohne Umschweife dem Betrachter präsentiert. Gleichzeitig lässt sich Yugen mit Begriffen wie mysteriös, tief oder dunkel umschreiben.

„Incense Rosé“ verkörpert diesen Aspekt in vollendeter Form. Es ist sehr sinnlich, ohne dabei platt zu wirken – eine perfekt ausgelotete Projektionsfläche und Resonanzkörper für die eigene Stimmung. Es heißt ja immer so schön, dass das größte Sexualorgan des Menschen sein Gehirn sei.

Der Leser wird sich nun denken: „Komm' endlich zum Punkt, Aorta! Wie riecht es denn nun?“.

Incense Rosé duftet nach katholischer Kirche, den heiligen drei Königen (ohne Stall) und dunkler Rose. Es ist zunächst kühl und wird im Duftverlauf wärmer, erdiger. Für Männlein und Weiblein gleichermaßen geeignet, jedoch von modernen Unisex-Düften meilenweit entfernt. Wer Weihrauch nicht mag, kann hier getrost vorüberziehen.

Müsste ich das nun in einem Bild festhalten, dann sähe es ungefähr folgendermaßen aus: Andächtige Stille in einer großen, sehr alten Kirche. Gedankenversunken sitze ich nahe beim Altar, der mit frischen Blumen geschmückt ist. Das Licht scheint nur spärlich durch die Buntglasfenster, es ist ziemlich dunkel hier drin. Beten ist nichts für mich, aber nichtsdestotrotz flößt mir die Atmosphäre Respekt ein. Ich fühle mich ganz klein. Was würde mir dieses Gebäude wohl erzählen, könnte es nur sprechen! Geschichten aus längst vergessenen Zeiten, Lektionen über Demut, Verzweiflung, Tod, aber auch über unerschütterlichen Glauben, Liebe und stets wiederkehrende Hoffnung. Die Zeit scheint still zu stehen, der Raum ist relativ: „Hier ist dort und jetzt ist immer“. Während ich so vor mich hin phantasiere, kommt in mir dieses sehr bestimmte, doch gleichzeitig nur schwer fassbare Gefühl auf, dass ich Teil des großen Ganzen bin.

Ist das schon Transzendenz?

Vielleicht.

Hohe Parfumeurskunst aber ganz sicher und Tauer ist der Weihepriester.
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