Andy Tauer hat eine Idee. Mit beiden Armen malt er in die Luft: ,Goldfisch hüpft aus dem Glas ins Freie‘. Er hält inne. Ein Bediensteter, unauffällig in einem langen, weißen Schrank in der Ecke des Raumes verstaut, tritt lautlos hervor, aktiviert den riesigen Touchscreen vor Andy Tauer und zieht sich in exakt spiegelverkehrter Bewegung wieder zurück. Der Screen begrüßt Andy Tauer. Er öffnet die Augen.
„Hallo, Computerfreund. Schön dich zu sehen. Wie geht es dir?“
„Mir geht es gut, Andy. Wie kann ich dir helfen?“
„Du kannst mir nicht helfen, lieber Freund, das weißt du doch. Du bist nur ein Computer, eine gefühllose Rechenmaschine, die ich entworfen habe, um mir eine Freude zu bereiten.“
„Das stimmt, Andy. Ich werde niemals an deine Prozessorleistung heranreichen. Ich kann nur so gut sein, wie du mich in deinem grenzenlosen Einfallsreichtum erschaffen hast. Ich bin ein Abbild deiner geistigen Erfolge. Umgekehrt sind meine Makel auf deine fehlerhafte Denkleistung zurückzuführen. Wärest du ein perfektes menschliches Wesen, ich wäre dir in meiner Computerexistenz ebenbürtig und hörte womöglich auf...“
„Ist ja gut, ist ja gut. Überanstrenge dich nicht mit deinen interessanten, völlig widersinnigen Erwägungen. Du bist hier zum Arbeiten, das ist alles. Für die Poesie bin ich zuständig.“
„Ja, Andy.“
„Alsbald lass ich dich einfach ausgeschaltet, da mach ich dich nur noch an für Excel oder so oder eine Runde Solitär. Ein Stromfresser bist du, nicht mehr.“
„Ja, Andy.“
„Du denkst zu viel, das ist dein Problem. Überlass‘ die Feinheiten mal dem Andy. Der Andy hat die Ideen. Du führst nur aus und das macht uns als Team so unschlagbar.“
„Ja, Andy.“
„Was ist? Kein Teamgeist mehr?“
Auf dem Screen erscheint eine Hand. Tauer gibt High five.
„Yeah! Woohoo, so kann‘s losgehen. Pass‘ auf, du kennst doch diese Parfümkritiker, die sich alle so in die Sprühwolken versenken und dann drauflossalbadern und alles glauben, was ihnen weiß gemacht wird. Genau. So einer will ich sein. Vollkommen hirnverbrannt – es fällt mir unendlich schwer - ich beschreibe mal meinen Duft in kurzer, schmuckloser Form. So machen die das oft. Pass auf.
Kontrastreiches Gemälde in erd- und hautfarbenen Pastelltönen von sattem, lebendigem Grün umrahmt. Über allem ein süßtrüber Schleier, blitzender, funkelnder Firnis, blau- und rotschäumig, der freigibt am Tag, was der Morgen hält verborgen.
Na, wie findest du das?“
„Stell‘ es um.“
„Wie bitte?“
„Na, du hast den Anfang ans Ende gesetzt. ,Ein süßtrüber Schleier, blitzender, funkelnder Firnis, gelb- und rotschäumig, gibt frei, was der Morgen hält verborgen. Ein kontrastreiches Gemälde in erd- und hautfarbenen Pastelltönen von sattem, lebendigem Grün umrahmt.‘ Zusammenfassend: ,Brauseweihrauch nebst ganzer, fleischiger Rose, Tau und Umgebung.‘“
„Ja, das ist gut. Verblüffend. Hast wohl den Austausch des Kernels gut vertragen. Gefällt mir. Dann schau mal, was dir hierzu einfällt, haha. Ein Parfüm-User – oh mein Gott – ein Parfümierer, der Geschichten zu Düften erfindet, hahaha. Irgendwelche Stories, so ein Blödsinn, huhuhuhu. Okay. So.“
Er atmet tief ein.
„Eines nachts erwachte Hugo Landbier aufgrund sonderbarer Geräusche. Draußen war nichts zu sehen. Es herrschte dichter, undurchdringlicher Nebel. Die Geräusche kamen aus seinem Garten. Seine Frau schnarchte. Er ging die Treppe hinunter und trat durch die Tür auf die Veranda.
‚Hallo, ist da jemand?‘ Keine Antwort. Die Taschenlampe fing immer nur die gleiche, dampfende Verwirbelung vor seinen Augen ein. Da entdeckte er ein Männchen in einem Schutzanzug. Und noch eins. ‚Was wollen sie auf meinem Grundstück? Hallo! Was machen sie da?‘ Er griff sich einen der Typen und leuchtete ihm durch die Plexiglasscheibe.
‚Was soll das alles? Wer sind sie? Was wollen sie hier?‘
Der Mann antwortete ruhig und sachlich: ,Herr Landbier, nehme ich an. Wir züchten im Auftrag eines schweizerischen Bio-Engineeringunternehmens eine seltene, nur in ihrem Garten gedeihende Pflanze. Den Nebel haben wir selbst produziert, um die Blüte bestmöglich vor allen schädlichen Umwelteinwirkungen zu schützen. Sehen sie selbst. Hier ist ein Ableger in schon fortgeschrittener Entwicklung.‘
Herr Landbier war erstaunt. So schnell gediehen Pflanzen in seinem Garten? Er tauchte tief mit seinem nasus extensus in eines der Blütenorgane…
Dann noch die Story, wie seine Frau Rosalie den durch den paralysierenden Pflanzenduft in Trance versetzten Hugo aus den Fängen einer okkulten Sekte befreit, ihren Mann verliert, ihre eigene Rettung aber damit bezahlt, für immer in einer orphischen Wolke auf ihrem Grundstück gefangen zu sein. Ich nenne das Ganze: Gärtner im Nebel.“
„Sehr stark, Andy, aber eins hast Du vergessen.“
„Ach ja?“
„Abgesehen davon, dass deine Geschichte wie ein Sammelsurium popkultureller Horrorfilmanleihen daherkommt, fehlt doch die entscheidende Information: Der Duft. Wie riecht er?“
„Der Duft! Der Duft! Haha, daran erkennt man, dass du keine Ahnung hast. Es geht beim subjektiven Parfümrezensieren nicht darum, wie etwas riecht, - das am allerwenigsten -, sondern einzig und allein darum, wie ein Subjekt, eine Person, - ein zufällig dahergelaufener Gelegenheitsparfümierer -, seine egomanischen Fantasien in die Welt hinausposaunen kann. Der Duft ist vollkommen nebensächlich. Er stört sogar. Er ist nur Vorwand, verstehst du? Je weniger Information, desto besser.“
„Solche Menschen gibt es, Andy?“
„Keine Sorge, mein lieber Freund. Das ist nur eine meiner verrückten Ideen. Ich weiß auch nicht, wo das alles immer herkommt?“
„Vielleicht bist du auch programmiert.“
„Rede keinen Unsinn. Hier ist alles real. Apropos real, ich hätte da noch was.“
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„Ja sagen sie mal, junger Mann, da hilft aber auch kein Mundschutz bei ihrem Eau de Cologne, das geht ja durch alles durch.“
„Es tut mir Leid, ich hatte das eben erst aufgesprüht, das ist ein bißchen heftig.“
Ein REWE Mitarbeiter kommt herangelaufen: „In ihrem Fall wäre es vielleicht angebracht die Abstandsmarkierungen weiter auseinander zu setzen. Sie müssten sich bitte da hinten bei der Wursttheke hinstellen.“
„Boah, das riecht ja, als ob hier eine Kaugummifabrik auseinandergeflogen wäre. Wer trägt denn hier so einen Süßkram?“
„Moment mal, nach 14 Stunden dreht das in eine ganz andere Richtung. Da ist Bibergeil drin und so.“
„Also das Geld würde ich mir zurückgeben lassen. Haben sie das hier gekauft?“
„Nein, es war ein Geschenk.“
„Derjenige konnte es wohl auch nicht mehr riechen, hahaha!“
Alle: „Hahahaha!“
True story.
(Danke, Gschpusi, für die Probe)