Axiomatic

Axiomatic

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Axiomatic vor 2 Jahren 49 75
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Flakon
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Sillage
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Haltbarkeit
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Duft
Unerhört solide leben
Das kokett naive Jahrzehnt des Wiederaufbaus und Wirtschaftswunders neigt sich dem Ende zu. Und als Dank für den Fleiß beschert Mäurer & Wirtz die schaffende Republik mit einem duftenden Verkaufsschlager.
Arturo Jordi-Pey, Parfümeur bei Firmenich und der Genfer Niederlassung von Myrurgia, schaffte eine schöne ambrierte Lavendelkomposition, welche zum Klassiker avancierte. Er bildete übrigens Ramón Monegal in den 1970ern aus. Hier sieht man, auf welches Können Mäurer & Wirtz 1959 setzte.
Je nach Konzentration ändern sich die begleitenden Noten bei Tabac Original, das Herz und die Basis sind jedoch charakteristisch gleich in allen drei Varianten.
Hier nun das Eau de Cologne.

Die weiße Amphore mit dem braunen Deckel wurde in all den Jahrzehnten kaum verändert. Lediglich der braune und rote Schriftzug wurde mal hier, mal da ein wenig versetzt. Neu hinzugekommen ist das Erscheinungsjahr, um die Tradition hochzuhalten. Bei Gegenlicht kann man durch das weiße Glas den Füllstand feststellen, wichtig beim zuneige Gehen und um Panikattacken zu vermeiden - die Tauschwirtschaft ist zum jetzigen Zeitpunkt in weite Ferne gerückt.
Der Sprühkopf ist in altehrwürdigem Messing-Gold gehalten, sein Sprühstoß lässt nichts zu wünschen übrig.

Und nun meine Damen und Herren hören Sie „Tea for Two“ von Della Reese. Der Kommod Gemütliche Rundfunk wünscht gute Unterhaltung. Aber das Einsprühen nicht vergessen!

Zisch!

Hilfe, was passiert hier?! Woher kommt plötzlich meine Verwandte her?
Und der schön gedeckte Tisch mit Hutschenreuther Service!
Was sind das für steife, kratzende Hosen mit Bügelfalte? Und diese glänzenden Lederschuhe, wäre fast auf die Schnauze gefallen!
Himmel, habe ich Cocktail-Kirschen auf den Augen? Ich sehe nur noch zu nahrhafte Büfetts mit Aspik, Toast Hawaii und Mayo-Kreationen vor mir.
Ja, ab hier gehe ich mit der Konjunktur, ich gehe mit auf diese Tour!
Dazu passende Krinolinen, Pomade in Öltanker-Mengen, Nierentische und adrette, gut manierliche Familienalben in Sepia!

„Wie meinen? Nein danke, Tante Nelly, ich kann jetzt unmöglich die Hälfte der Schwarzwälder verputzen. Ach, lieb von Dir, aber ab diesem Zeitpunkt wachse ich nicht mehr in die Höhe, sondern in die Breite.
Mein Mädchen? Och, wie soll ich das erklären. Das wird sich sicherlich eines Tages nach der nächsten Eiszeit ergeben, da bin ich guter Dinge.
Horst Buchholz? Ja, den kenne und bedaure ich.
Tantchen, schnappe Dir doch Deinen Klosterfrau Melissengeist aus Deiner eleganten Handtasche von Goldpfeil, das hebt die kippende Stimmung. Außerdem sollte ich mich um wichtigere Dinge kümmern wie etwa die Duftbeschreibung.“

So, weiter geht’s.

Aldehyde, Leute, Aldehyde werden Euch den Verstand zunächst vernebeln. Puuuhhh…

Diese hinterlistige Keule donnert wie geschmiert mit den Hesperiden der Kopfnote in die Nase, dazu noch eine Pfeffernote. Irgendwie ist es eine Art Schnupftabak-Ritual aus dem Bayuwarischen, als würde man mit den Lungen Fingerhakeln spielen. Danach ist man hellwach, fast schon zu wach!

Gut, ich will ja nicht meckern, so ein Auftakt hat was Spannendes. Als würde man gerne wissen, wer alles in Frankfurt mit der Nitribitt so Sachen gemacht hat.
Oder ob die Waschräume im Bates Motel was hergeben.

Nun, diese Ausweitung der Lungen dauert ein paar Minuten, um dann von einer äußerst charmanten Herznote abgelöst zu werden.
Kleine Pause, ich bin gleich wieder da.

„Tantchen, ich weiß, wo die Bleikristall-Gläser stehen. Ja, im linken Fach der Eichen-Schrankwand.
Aber bitte keine Schnittchen für mich!
Konfekt???
Neulich platzte mir der Kragen, weil mir Konfekt nunmal nicht schmeckt!
Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen…!
Wieso soll ich bloß nicht weiter singen? Ich schwinge aber gerne zu Trude Herr!
Tantchen, Herzallerliebst, nicht schluchzen, Du bist ja ganz blaß! Hier, Dein Eierlikör dürfte die Trübung aufhellen.
Und ja, ich lebe unerhört solide, keine Sorge!
Aber Ruhe jetzt bitte!“

Wo war ich? Ja richtig, die Herznote!

Der quirlige Lavendel wird hier blumig begleitet. Die Rosengeranie dreht ins Rosige. Als Kontrapunkt schaffen beruhigende Kamille und die holzige Eiche den perfekten Ausgleich. DAS ist ein Akkord!
Wie ein sich geschmeidig fügendes Tanzpaar, keine Drehung oder diffizile Schrittfolge bringt es aus der Fassung. Es gleitet elegant und doch unaufdringlich über die Tanzfläche. Und der Akkord ist angenehm sanft, keine Macho-Allüren zu spüren.

Verführerisches Sandelholz begleitet später die Eiche, dazu noch eine pudrige Gartennelke. Ja, diese Pflanze sollte Jahre später einem roten Jacket zu Weltruhm verhelfen.
Und dann diese ambrierte Note. Sie wird den Lavendel so schön einrahmen und unverwechselbar warm und kuschelig färben. Beim näheren Riechen zaubert etwas Moschus zusammen mit dem Amber eine herrliche Honignote.
Irgendwie fühle ich mich in einem Bernstein eingefangen. Wäre ich nur Alberich und könnte den Schatz hüten! Träum…
Moment bitte, beim Tantchen hilft auch keine Tarnkappe mehr!

„Herrje Tantchen, jetzt hast Du Dir aber ein Gläschen zu viel überm Durst gegönnt!
Was soll ich? Gut, hier die gute Connie Stevens für Dich.
„16 Reasons“ ist aber nicht ganz jugendfrei, ich warne Dich.
Wie bitte? Eine Ode an Onkel Oskar?
The way you understand… Your secret size…
So, das reicht jetzt, ein wenig Anstand bitte!
Frechheit!
Ich lasse mir nicht diese ernsthafte Duftbeschreibung besudeln!“

So. liebes Forum, ich beeile mich, sonst wird hier noch ein Unglück geschehen.

Der Abschluss, ja der Abschluss ist recht sanft. Hier kann man Vetiver ausmachen, sehr diskret. Das Honighafte überdeckt es ein wenig, aber beim Gesamteindruck ist es zu verzeihen. Schließlich soll hier das Ambrierte im Mittelpunkt stehen.
Die Haltbarkeit ist mit guten fünf Stunden im angenehmen Bereich zu verorten. Allerdings nimmt die Sillage nach zwei Stunden ab und der Duft bleibt auf Körpernähe. Aber Nachsprühen ist kinderleicht und nicht zu kostspielig.
Nur eines sollte man beachten: beim Verwenden bloß alle Erinnerungsfotos der Verwandtschaft außer Sichtweite lassen. Irgendwie schient der Zaubertrunk eine Pforte zur Vergangenheit zu öffnen.

Nun aber genug des Rezensierens und Tantchen-Betüttelns.
Ich gehe jetzt mit Tabac Original in eine Taverne voller dunkler Gestalten in rotem Licht.

Und wir tanzen einen Tango,
Axiom Brown und Tabac Miller
und ich sag ihm leise: „Baby,
wenn ich austrink’, machst du dicht!“
Dann bestelle ich zwei Manhattan
und dann kommt ein Herr mit Kneifer.
Ich trink aus und Tabac zittert.
Doch dann löscht sich schnell das Licht!

Übrigens, ich kam schon irgendwann zu Hause an, nur wie ist mir noch schleierhaft.
Leider stand meine bessere Hälfte am Eingang und hielt mir eine gehörige Gardinenpredigt. Hier ein paar Auszüge.

„So, läßt sich der werte Herr wieder blicken?
Schön, die halbe Nachbarschaft konnte zu den Cha Cha Klängen mittanzen.
Ja, besorgte Eltern haben mich auf das Kriminaltango Tik Tok ihrer Kinder aufmerksam gemacht.
Darüber reden wir noch.
Aber jetzt schnurstracks unter die Dusche!
Und ab morgen gibt es eine mächtige Ambroxan Ausnüchterung.
Alte Düfte sind jetzt erstmal konfisziert, die setzen Dir nur Flausen in den Kopf!“

Ach, irgendwie kann ich ihm nie böse sein.
Der Gute hat vergessen, dass wir eine große Duschgel-Flasche von Tabac Original im Bad haben.
So schön schaumig, so schön ambriert.

Denn dieser Tango
Geht nie vorbei
Geht nie vorbei
Geht nie vorbei

75 Antworten
Axiomatic vor 2 Jahren 27 19
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Duft
Katzengejammer am Rhein
Hmm, hier kann ich meinem Schnurrbart eine neckische Inspiration rausstreicheln. Das wird eine Gaudi!
Also, an alle Cat-Content-Lovers, schnappt Euch genügend Leckerli-Naschwerk, denn gleich schnurren wir alle um die Wette!

Vor mir liegt ein Kunst-Orientale der Sonderklasse. Himmel, der verdient eine eigenständige Kategorie.
Aber ich möchte hier zunächst den Löwen schlafen lassen, liebe Tokens aus den 1960ern. Wer mag, kann sich das Stück zur Duftpyramide antun, helfen wird es allemal.

So, zisch und los!

Die Kopfnote verschwindet nach ein paar Minuten, das scheue Kätzchen.
Bittere Bergamotte, so ziemlich das Dezenteste am Duft, hält für ein paar Augenblicke die Luftröhre frei. Und es ist auch gut so, denn jetzt werde ich jede Menge kostbaren Lungenvolumens brauchen, um die Kaugummi-Blase zum Bersten zu bringen.
Etwas Ylang-Ylang, Lavendel und löffelweise Vanille wollen gut gekaut werden. Garfield plant wieder Übles.

Ja, so ein Kratzbäumchen für das Eingravieren aller Liebschaften unseres Streuners steht auch schon in der Herznote bereit, um markiert zu werden.
Aus Kostengründen und des Klimawandels wegen wählte man hier die Laborvariante des Sandelholzes. Erstens ist es widerstandsfähiger und zweitens ausdauernder. Nur mit den schroffen Splittern haben die weißen Kittel mit Schutzbrille noch Schwierigkeiten, aber die Forschung geht weiter. Bis dahin schmirgelt man hier mit viel Vanille, den verdichteten Feuerlöscher für Unstimmiges.
Jasmin, fast schon am Ersticken unter der cremigen Löschdecke, schwitzt ganz leise vor sich hin.
Um Hautrötungen oder Sonnenbrände zu vermeiden, wird zusätzlich eine dieser seltenen, leicht nach Moschus riechenden Sonnencremes gereicht, warum auch immer. Ich dachte nachts, ja nachts, wären alle Katzen grau. Aber wer weiß, Mondstrahlen sollen in gewissen Kreisen Mondbrände verursachen.
Doch der Abwehrzauber gelingt hier mit kuscheligem Ambroxan in plüschigem Fell.

Der Duft wird auch brav so verbleiben, Sandelholz mit Vanille und getarntem Jasmin; der Moschus puscht noch mit etwas Süße auf.
Nach ein paar Mondzyklen kommt endlich das betörende und süßlich gehaltene Patchouli. Ja, so schnell schießen die Preußen nicht, oder die Aquitanierinnen in diesem Fall. Moschus und Patchouli, très féline hier.

Generisch? Mag sein, aber unfreiwillig ironisch und witzig. Und ich denke, dass der Duft genügend Potential für die kommende Paarungszeit in den kälteren Monaten hat.
Doch das sollte die Zielgruppe selbst erschnuppern.
Irgendwo in den Tiefen meiner Hirnwindungen melden sich die passenden Sätze eines elektrischen Mädchens zum Dufteinsatz:

Was’ n das für ’n wundervoller Hintern,
der da nebenan am Tresen steht.
Und der Typ, der da am Hintern noch mit dran ist,
hat sich grade zu mir umgedreht.
Und ich lache ihm zu, oh prima!
Den nehm ich nach Hause mit!
Und da lehne ich mich zurück
und lass‘ dem Mann den ersten Schritt.

Ich für meine Wenigkeit habe dank dieser Schöpfung eine herrliche Erinnerung an die größtenteils rechtsrheinische Landeshauptstadt und Kölns Lieblingsrivalin.

Mein Gen-Mitstreiter & Gattin gönnten sich zu jener Zeit ein wohlverdientes langes Wochenende weit weg von Düsseldorf. Glücklicherweise erlaubte mir mein Kalender, ein paar Tage den House-Sitter zu spielen. Doch im Kleingedruckten - Leute, lest Euch IMMER das Kleingedruckte durch! - willigte ich arglos ein, mich um deren Katzen zu kümmern.

Die erste Nacht war der Prolog zu Dantes Inferno.
So gegen 03:00 konnte ich meine Beine im Bett nicht mehr rühren. Und etwas Schweres brummte mahnend, die Nachtruhe nicht zu stören.
Am nächsten Morgen richtete ich den beiden Incubi rasch alles nach Plan: Futter, Wasser, Streu. Nach dem Frühstück düste ich in Richtung Innenstadt.

Schlendernd an den expressionistischen Bauten der Heinrich-Heine-Allee wurde mir etwas mulmig. Ach liebes Heinichen, denke ich an die Katzen in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht!
Ob ich sie mit Fisch und Karotte am Freitagabend gütig stimmen könnte?

Wie auch immer, plötzlich saßen ich und eine ungünstige Sternkonstellation mitten auf der Königsallee an einem Außentisch dieser schicken Cafés.
Ein angenehm teures, halb offenes Gefährt schwäbischer Provenienz parkte frech vor mir im Halteverbot und heraus stieg - ich nenne sie wegen der passenden Anfangsbuchstaben so - Caroline Charlène samt weißem Plüschkätzchen. Mit eiserner Zielstrebigkeit steuerte sie die Doppel-C Kleiderhalle an und verströmte einen heftigen Sandelholz Signalduft einer LVMH Marke.
Ihr genervter Wonnegatte sicherte sich währenddessen einen Platz am Nachbartisch.
Vor meinem geistigen Auge sah ich die beiden als Nachfahren von Ernst Blofeld, dem Erzfeind von James Bond mit weißer Katze.
Zurück mit den üblichen Einkaufstüten dieser diskreten Marke und mir den Rücken zugewandt, wurde meine Friedfertigkeit von einer Sandelholz-Backpfeife wie folgt geprüft: „Dat schöne Jold-Gettschen mußte sein“. Dabei zeigte sie auf Katzis neues Halsband.
Völlig naiv zeigte ich dem Wonnegatten den zustimmenden Daumen und formte meine Lippen zu einem ironischen Vorkuss. Adressat verstand meinen Humor auf Anhieb und wiederholte lustig meine Gesten, welche leider für die wohl süßeste Verwirrung auf der Kö sorgten. Caroline Charlène drehte sich um und verstand die Welt nicht mehr. Vorsichtshalber legte ich meinen Geldbetrag auf den Tisch und verduftete ganz verstohlen. Das Letzte, was ich hörte, war eine Aufforderung zur Beichte seiner Manneskraft und dem Beschwören seiner Liebe zu ihr. Ja, so ein rheinisch-katholischer Beichtstuhl aus Sandelholz hat was unmißverständlich Überzeugendes.

Die Kö wurde mir zu brenzlich und ich machte mich quer durch Ladenpassagen in Richtung Immermannstraße auf. Irgendwie war alles voller Katzentiere: Frauen in Leopard, Tiger, Löwenmähne. Sogar an den japanischen Läden der Immermannstraße grinsten mich vergnügte Hello Kitty Gargoyles an.

Und dann kam die Vollmondnacht. Wie bestellt jaulten, miauten und kreischten mich die beiden Hauskatzen in den Schlaf. Purlimunter übten sie sich in schrägsten Tonlagen, denn ein streunender Kater hatte draußen die Nachbarschaft schon unsicher gemacht.

Um Jahre gealtert, ließ ich mir das lange Wochenende in Sandelholz auszahlen, nämlich dessen egoistischer Variante mit dem doppelten C.

Und auf der Rückfahrt verfolgte mich dieses eine Lied. Um Himmelswillen, den Text kann ich sogar im Schlaf singen!
„Le chat“ von Pow woW. Französisch war noch nie so einprägsam. Leider.

Tja, und heute beschert mir Douce Féline ein Wiedersehen mit diesem rheinischen Abenteuer. Das Sandelholz ist sicherlich nicht so exklusiv wie jenes in den oben genannten Düften, aber für das bisschen Geld reicht es allemal, um ein saloppes Streunen hinzulegen.

Also Vollmondnacht, auf zum Jaulen!


19 Antworten
Axiomatic vor 2 Jahren 44 28
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Haltbarkeit
5.5
Duft
Jenseits des Violetts
Es geht um Vergangenes und dennoch Beständiges.
Violett ist es und polarisierend wie am ersten Tag.
Michel Almairac hat etwas in die Welt gesetzt, das ihn wahrscheinlich überleben wird. Magie? Okkultes Wissen?
Es wurde mit Erfolg gekrönt. Doch worauf basiert dieser?
Ich habe mich dem Fair Play verpflichtet und werde diese Auseinandersetzung, so weit es geht, ausgewogen zu halten versuchen. Dabei werde ich systematisch vorgehen und zunächst auf das Technische eingehen, das Erlebte wird dann anschließend folgen. Hoffentlich hat die Zeit die Wunden verheilen lassen.

1989. Das letzte Jahr der alten BRD. Bonn immer noch Hauptstadt. München und Hamburg kämpfen um die Vorherrschaft im weltgewandten Diskurs und haben einfaches Spiel gegen Westberlin. Eine leidenschaftliche Sehnsucht nach modischer Geltung auf internationaler Ebene kocht über und alle warten ungeduldig seit mindestens zwei Jahren auf das eine Signal.
Die Männer-Vogue erscheint, und da ist die seitengroße Werbung mit dem einzigen Wort und Ausrufezeichen.
„Endlich!“
Darunter ein schlichter Flakon in violett mit perfektem Sprühkopf von Peter Schmidt, dem bisherigen Jil Sander Flakon-Ausstatter, und Lutz Herrmann, Flakon-Designer und Jahre später tragende Säule bei Schwarzlose.
Es folgt ein hysterisches Aufsuchen der Parfümerien mit Vertriebslizenz. Vor dem Tester steht man in der Schlange.

Der erste Sprüher.

Ich war gerade volljährig und nachsichtig.

Sollten sich etwa die klassischen Hesperiden hier entfalten, wie seit jeher? Nein, mein Schatz, vergiss Althergebrachtes. Süß und geltungssüchtig wird er eröffnen, der Homme.
Die Zitrik wird sogleich von Heliotrop und Mengen an Jasmin begleitet, keine Zeit für ein zeitraubendes Vorspiel.
Den Übergang zur Herznote hat man sich gespart.
Blumig und süß posaunt der Hauptakt in der Nase.
Überhaupt hat man es eilig hier, Vanille und Zimt gesellen sich schnell dazu und schaffen eine, mit Verlaub, Boudoir-Stimmung.
Auf Pflaume und Tuberose hat man wegen der Urheberrechte verzichtet, sonst hätte man eine Version von "Poison (Eau de Toilette) | Dior" an den Mann gebracht.
Das Farnesol überdreht den Maiglöckchen-Eindruck aufs Äußerste und beschert dem Duft das charakteristische metallisch Helle im gesamten Verlauf.
Was sich in der mittleren Phase einem bietet, ist das hedonistische Zusammenspiel brachialer Konzentrationen.
Das Narkotisierende des Heliotrops überdeckt geschickt das Animalische des Jasmins, welches aber beständig dagegen pocht.

Und ja, es gibt auch so etwas wie eine Basis hier. Beim näheren Schnuppern erdet Patchouli wie eh und je, Sandelholz und Tonka gleiten cremig darüber. Aber keine Sorge, der Duft läßt das Fundament schön versteckt bis zum Verabschieden.
Eine gegliederte Duftentwicklung sucht man hier vergebens. Nach den ersten paar Minuten schaltet die Komposition auf Dauerschleife ohne Erwartungshorizont.
Ihr wolltet ein Signal? Hier ist es in reinster Form!
Ihr werdet stundenlang mit dem Hauptakkord beglückt!

Bezüglich Haltbarkeit gibt es keine Überraschungen. Eine Bahnfahrt im Regionalexpress von Hamburg nach München wird mit Bravour bestanden.
Die Sillage hätte beide Städte verbinden können, von München aus schafft man es aber leider nur bis Hannover, so ausgetüftelt war die Technik noch nicht.

Dieser neo / synthi / proto / steroid Orientale wird, so lange er auf Erden verweilen darf, kein annähernd ähnliches Pendant haben. Das Alleinstellungsmerkmal wird ihm so schnell keiner streitig machen. Das Schicksal eines Dorian Gray.

Und nun zur empirischen Feldforschung.

Zwei Abende, zwei soziale Aggregate.

In der erfolgversprechenden Gleichung lerne ich y über x kennen. Die Kurvenmaximierung wird durch den Standesfaktor erreicht, eine Präposition ist seinem Namen vorangestellt.
Einschränkende Bedingung: sollten Fragen an mich gestellt, werden diese für mich beantwortet. Ich habe meinen Mund zu halten.
Dunkelblauer Blazer, weißes Hemd, schrittbetonte Jeans. Alles trägt ein Ausrufezeichen. Lediglich die Lederschuhe in Bordeaux sind von Antica Cuoieria.

Während der Fahrt darf ich nicht das Fenster öffnen, Homme soll meine Lungen betäuben. Geduldig wärmen sich die anderen zu „Love is“ von Alannah Myles auf.
Der Parkplatz gleicht einem Stuttgarter Sportwagen-Händler.
Diskreter Einlass, prächtige Ausstattung mit Blick auf den Park.
Die Tanzfläche wird von etlichen Bildschirmen flankiert. Alles sehr elegant dunkel gehalten.
Violett eingenebelt üben sich die oberen Etagen der Deutschland AG in verhaltene Laufsteg-Bewegungen. „Deep in Vogue“ von Malcom McLaren and the Bootzilla Orchestra erfüllt medial den Raum, von den Lautsprechern wie auch als Video auf den Bildschirmen.
Kurze Verschnaufpause. Obwohl Jean Paul Gaultier erst viele Jahre später eine Make Up Linie für Männer auf den Markt bringen wird, scheinen an diesem Abend mutige Vorreiter Stil zu wahren. Nach etwas Nachbessern und auffrischendem Pudern der Wangen und besonders der Nasenpartie, kehren sie aufgeheitert rechtzeitig auf die Tanzfläche zurück.
Die heutige Hymne läuft bereits in extra long Version. „French Kiss“ von Lil Louis läßt Trennendes schmelzen. Im perfekt arrangierten Nebel fassen Hände, gleiten Körper, entrücken Blicke.
Heliotrop an Vanille schafft dank des Hedions die Botenstoffe gnädig zu stimmen.
Aber nicht bei mir.

Zweiter Abend.

Ehemalige Lagerhalle. Karge Wände, nette Waschräume, sympathische Bar.
Peer Group beschließt Gegenmaßnahme. Second Hand mit Ausrufezeichen. Jeder hält eine violette Pulle in der Hand. Unser Laufsteg wird flackernd mit Blitzgewitter inszeniert.
Clock DVA „Sound Mirror“.

Here the mirror of dreams and beauty
Here the looking glass of pride and ruined vanity

Dieses Mal schafft das ironische Maiglöckchen den Trick, wir lachen alle.
Anschließend tanzen wir uns den Frust aus der Seele.
Zu „Good Life“ von Inner City gibt es kein Halten mehr.
Detroit-Techno Klänge lassen Homme leuchten und menschliche Züge annehmen.

Am Ende verabschieden wir in ausgelassener Tanzstimmung die alte Republik und das narzisstische Jahrzehnt mit „The Only Way Is Up“ von Yazz.
Die typische Geste, das Strecken des Victory-Zeichens hoch in die Lüfte zum Refrain, werden wir uns als Erkennungszeichen bei Revivals erhalten.
Wir haben die violette Grenze überschritten.

Wolfgang!

Danke!

!

28 Antworten
Axiomatic vor 2 Jahren 70 50
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Haltbarkeit
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Duft
Toller Tag für einen Exorzismus
Hier ist sie, die vermeintlich animalische Wunderwaffe der frühen 1970er. Etliche Generationen hat sie geprägt und begleitet. Bezahlbar im Preis, gekonnt einfach in der Komposition. Provokativ in den Anfangsjahren, erstaunlich herausragend im heutigen Angebot.

Zunächst ein paar zeitgeschichtliche Hintergründe.
Ende der 1960er betrachtete ein gewisser Barry Shipp, ein Angestellter bei Revlon, eine lange Warteschlange vor einem Head Shop im New Yorker Stadtteil Greenwich Village. Er fragte nach dem Grund der zeitaufwendigen Kauflaune und erfuhr, dass die Käufer verrückt nach Moschus-Öl waren, ein sagenumwobener Anziehungsgarant in der menschlichen Balz.
Shipp erkannte das enorme Potential einer künstlich erzeugten Variante des Moschus und tat sich mit dem Chicagoer Unternehmer Bernard Mitchell zusammen. Gemeinsam gründeten sie Jovan Inc. im Jahr 1968. Mit an Bord war auch der Lebensmittelchemiker Murray Moscona, ein Spezialist in künstlichen Geschmacksstoffen.
Letzterer schuf auch den hier beschriebenen Duft nach einer einfachen, altbewährten Formel, welche sehr schnell zur Sache kommt und wie folgt verläuft.

Doch zunächst lasse ich mich mit dem ersten Discohit von 1973, „The Love’s Theme“ von The Love Unlimited Orchestra des Sängers Barry White, zeitlich einstimmen.
Ein wenig mit den Hüften wackelnd öffne ich die billige Plastikkappe des recht soliden aber einfachen Flakons und betätige den an Kargheit nicht zu überbietenden Sprühkopfs aus Metall und Kunststoff ohne Verblendung.
Zisch!

Die orangefarbene Zauberformel eröffnet kurzlebig zitrisch und nicht im klassischen Sinn. Etwas Dumpfes bestimmt den Duftverlauf von Anfang an und zensiert die Akkorde. Als würde man einen Film durch Milchglas sehen.
Den Pfeffer bemerke ich extrem feindosiert, nicht zerrieben sondern als ganze Körner. Aber wie gesagt, sehr schwach. Er verleiht dem grobseifigen Eindruck eine leicht scharfe Färbung.
Das gesamte Präludium dauert nur ein paar Minuten, ehe die Gartennelke zur Herznote überleitet. Und hier kommen sehr starke Assoziationen zur Herznote von "Tabac Original (Eau de Cologne) | Mäurer & Wirtz" auf.
Lavendel und Amber schaffen den Trick zusammen mit den nicht näher deklarierten Holznoten.
Wenn ich beide Kompositionen vergleiche, fällt es mir nicht schwer zu erkennen, dass man hier Tabac Original zitiert, es gibt sehr viele Überschneidungen der Ingredienzien, einzig die Kamille im deutschen Duft schafft die klare Unterscheidung.

Doch dann legt sich auch gleich eine schwere Moschus-Decke über den mittleren Akkord und übertüncht alle Nuancen.

Peng! That’s what it’s all about, isn’t it?

Bei näherem Riechen erkenne ich aber immer noch ein um Hilfe schreiendes Tabac Original. Wo bleibt der Rettungsring?
Doch hier dröhnen die Bässe des Moschus und ersticken jeden Laut. Barry White läßt die DLRG noch ein Weilchen nichtsahnend tanzen.

Diesen künstlichen Lockstoff hat man im Labor so konzipiert, dass er nicht ganz animalisch erschlägt, eher süßlich und relativ sauber.
Und ja, auch ich erkenne spätestens hier die Blaupause für "Lagerfeld Classic / Lagerfeld (1978) (Eau de Toilette) | Karl Lagerfeld" als Grundgerüst.
Der Fairness halber muss ich aber hier anmerken, dass Ron Winnegrade als gelernter Parfümeur eine weitaus komplexere und hochwertigere Version des Themas nur fünf Jahre später kreiert hat. Bei Lagerfeld Classic sticht vor allem die Iriswurzel mit der Rosengeranie bzw. Rose hervor und erzeugt diese wunderbare pudrige Note. Ganz zu schweigen von der tabakhaltigen Basis, die beim Jovan-Duft fehlt.

Doch zurück zum balzenden Moschus. Der wird ab der Mitte des Duftverlaufs von einer sehr subtilen Minznote leicht gehoben. So, als würde ein nervöser Verführer noch rasch ein Tic-Tac-Dragée lutschen, bevor er zum ersten Anbaggern voranschreitet und sein Mundgeruch ihn dabei nicht in Stich lassen soll.

Die Hölzer geben dem Ganzen eine gewisse Stabilität, sonst würde der süßliche Pudding hier auslaufen.
Im Grunde hat man sich gedacht, einen einzigen Wirkstoff mit etwas Eau de Toilette bzw. Cologne zu drapieren.
Bis zum Ende des Duftverlaufs wird die süßliche Moschusnote tonangebend sein.

Noch etwas, sobald man sich ein wenig körperlich anstrengt, erwacht der Moschus auf der Haut wieder von Neuem.
Schon ein wenig unheimlich, aber zum Glück bei einer durchschnittlichen Haltbarkeit zu ertragen.

Und nun zum Verkaufserfolg, welchen ich mir wie folgt zu erklären versuche.
Wie bei vielen verblüffend einfach gestrickten US-Verkaufsschlagern bediente man sich hier eines sehr lauten Marketings.
Warum nicht gleich die Werbetafel auf die Packung kleben? Spart Geld und jeder hat sie irgendwann in der Hand.
Ein wenig soziologische Sachkenntnis, einfache Feldstudien des Zeitgeistes und fertig ist die Vorgabe für die Marketingabteilung:
Bringen Sie die sexuelle Grundstimmung in ein paar Zeilen zum Glühen!
Prompt liest man an der Verpackung Stimuli in Jahrmarktgehabe:
Ein provozierender Duft, welcher instinktiv Ihre animalischen Grundbedürfnisse beruhigt und dennoch steigert.
Er ist kraftvoll, stimulierend, unglaublich und dennoch legal.
Er ist unmissverständlich männlich.
Mit langanhaltenden Kräften, die mit Ihnen mithalten.
Er wird nicht mehr Frauen in Ihr Leben bringen, aber mehr Leben in Ihren Frauen.
Er ist ein Signalduft.
(Hier übersetze ich frei die Sprüche auf der ursprünglichen Verpackung.)
In der aktuellen Verpackung liest sich der deutsche Text wie folgt:
Sobald Jovan Musk Ihre Haut berührt, entfaltet sich der aufregende Duft. Männlich. Kraftvoll. Auffallend. Die pure Anziehungskraft.

Boy, oh boy, Jovan hatte damals tatsächlich den Nerv der Zeit getroffen.
Heute ist er sicher einer unter vielen seiner Sparte. Dennoch hat er das gewisse Etwas, so wie ein markant Netter, nicht allzu hübsch aber…
Keine weiteren Details!

Und, schon gewundert, warum ich so eine Überschrift gewählt habe?
Nun, 1973 kam der passende Film, der Exorzist, zum Duft raus.
Hier wurden in schockierender Weise die Forderungen der 68er Bewegung in die Seele eines unschuldigen, pubertierenden Mädchens mithilfe eines Hexenbretts eingeflößt.
Was an üblen Verbalinjurien, unkontrollierten Körperhandlungen und gar teuflischen Gelüsten von diesem zarten Wesen aus sich polternd Gehör verschaffte, war nichts anderes, als die krudeste Antwort auf die sexuelle Unterdrückung einer verklemmten Gesellschaft, Teufel hin oder her.
Zwar machte eine universitäre Elite längst schon ihr Ding. Jetzt galt es aber, diese Umwälzung groß und breit für Ottonormalverbraucher in die Hirne zu stanzen. Und wie kann man es besser hinbekommen, als mit den Mitteln des fiktiven Monsters, das alles Ungesagte rausbrüllen darf.

Übrigens, im Roman zum Film geht man eingehender auf die sexuellen Umbrüche der Zeit ein.
Und auch unser religiöser Retter in der Not, Pater Karras, ist nicht ganz frei von fleischlicher Lust. Doch im Film hat man es nur sehr dezent angedeutet.
Bei seinem kargen Einkommen hätte es dennoch für eine Pulle Musk for Men gereicht, sportlich genug war er ohnehin.

Film und Duft haben Millionen eingefahren. Am Ende heißt es doch: sex sells dummy!

50 Antworten
Axiomatic vor 2 Jahren 32 18
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Flakon
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Duft
Fang mich doch!
Ein gefährliches Spiel soll dieser Duft vermitteln. Soll ich va banque gehen?

Hier meine Erfahrung.

Die Eröffnung verheißt nichts Einfaches. Sehr herbe Agrumen gepaart mit Kardamom und etwas verfliegendem Lavendel geben eine ernste Richtung vor.
Nein, werter Herr, das ist kein Brettspiel für die ganze Familie, hier sollten Sie äußerst überlegt Ihren Einsatz abwägen.
Nicht gelistet vernehme ich ein markantes Kraut in geringer Konzentration. Zur Bestätigung meiner Vermutung habe ich frische Immortelle zwischen den Fingern zerrieben. Voilà, mein erster Einsatz ist ein Treffer!
Doch das Spiel will sich in dieser Phase erst langsam erschließen. Eines ist sicher, hier trifft man sich nicht in einem gediegenen Kasino mit Roulette-Tischen und Croupiers.

Bergamotte, Kardamom und etwas Immortelle setzen die geographischen Grenzen fest, wir befinden uns im Süden Frankreichs. Schroffe Gebirgsketten in den östlichen Pyrenäen oder gar schon die Küste? Gut möglich. Man spürt die Trockenheit und die gespeicherte Hitze der Sonne. Eine Gegend voller Katharerburgen, jener geheimnisumwitterten Gegenbewegung aus dem 11. Jahrhundert, die für reichliche Legenden sorgte.
Gespielt wird also in freier Natur unter gleißender Sonne. Die Gegend ist schroff und karg, hier hat es länger nicht mehr geregnet, die Flora ist dementsprechend gelblich. Das Cumarin schafft hier Eindrücke von vertrockneten Gräsern.
Und aus der Ferne erklingt von Carl Orff „De temporum fine comoedia“. Mir läuft der Schweiß den Rücken runter, das Spiel vom Ende der Zeiten!

Weiter im Duftverlauf folgen Hölzer. Eine trockene Zeder sticht hervor, sie wird mit einem Hauch Honig und Vanille ganz leicht biegsam gemacht. Achtung, hier wird die Süße nur angedeutet, sie dient lediglich als Abfederung. Denn zusammen mit dem Kardamom und der Immortelle ergeben die Hölzer ein Spannungsverhältnis, so wie ein Bogen oder eine Armbrust.

Himmel, wird hier am Ende die Wilhelm Tell Herausforderung anstehen?
Soll ein Geheimnis der Katharerburgen gelüftet werden, etwa wie Hölzer biegsam werden inmitten dieser kargen Gegend?

Ich riskiere meinen nächsten Zug und erkunde den Duftverlauf genauer.
Cashmeran dürfte das Holz besänftigen, weicher erscheinen lassen. Ein Hauch Vanille wird hinzugefügt.
Dennoch überwiegt ein trocken herber Dufteindruck, wie die kargen Felder um die Burgen im Sommer.
Der Kardamom hebt leicht zitrisch die Komposition bis zum Ende, als wolle er die Spieler ermuntern, nicht aufzugeben.
Man könnte jetzt einen sehr bekannten und beliebten Duftakkord von Kardamom, Lavendel und Zedernholz ausmachen, doch der anfängliche Lavendel ist schon längst verflogen und wurde durch die herbe Immortelle ersetzt.
"La Nuit de L'Homme (Eau de Toilette) | Yves Saint Laurent" dagegen geht einen anderen Weg, einen raffinierteren mit Vetiver und Tonka.
Unser Spiel hier ist anders, er braucht den vollen Körpereinsatz und bloß keine Abendgarderobe.

Die Spielregeln erklären sich jetzt von selbst. Weg mit Wilhelm Tell und seinem Herausforderer Hermann Gessler, hier fehlt jedwede Frucht auf dem Kopf!
Nein, es ist ein völlig anderes Spiel. Eines der Jagd.
Der Einsatz: das Körperliche, das Begehrenswerte. Und zwar in archaischer Form.

Der Duft verströmt auf der Haut eine schroffe Anziehungskraft.
Die Lehren der Entsagung und das karge Leben der Katharer gelten hier zum Teil als überwunden, ihre Burgen dienen lediglich als Kulisse. Alles findet im 21. Jahrhundert statt und ist dennoch inspiriert von längst vergangen Zeiten. Karg und triebhaft.

Es ist ein Katz und Maus Spiel, das ohne kultiviertes Kokettieren auskommt. Hier bringt man es auf den Punkt, klar und deutlich: so wie der menschliche Körper konzipiert wurde, keine falsche Schminke oder kaschierende Accessoires.
Fast wäre ich versucht, den Film „Beim Sterben ist jeder der Erste“ (Deliverance) von 1972 in Erwägung zu ziehen, doch das Duftspiel hat wenig mit dem Film gemein.
Es geht hier nicht um gegenseitiges Abmurksen um zu überleben, nein, ganz im Gegenteil. Hier findet man zueinander, aber auf einer wilden Art halt. Leidenschaft, ja sogar verborgene Triebe geben den Rahmen der Handlung vor.

Nach ein paar Jagdrunden neigt sich der Duft seinem Ende zu. Er wird etwas vanilliger, um schließlich das verborgene Ambroxan preis zu geben. Doch keine Sorge, hier ist die Synthetik sehr gut eingearbeitet worden. Zusammen mit den herben Noten schafft sie eine willkommene Leichtigkeit, eine gewisse Erfrischung, und wird mit dem Moschus etwas süßlicher, bleibt aber recht dezent in der Wahrnehmung.
Nicht zu vergessen, dass es ihr geschuldet ist, so eine ungewöhnlich lange Ausdauer zu haben. Das Spiel ging über Stunden!
Und Ambroxan erinnert mich, dass die 3D-Animation mit VR-Brille gemeistert wurde. Da darf man sich in die Arme fallen und ausruhen.
Verlierer gab es hier keine, man spielte des Spieles wegen bis zuletzt.

Ich ging va banque und wurde mit einem spannenden Dufterlebnis belohnt, was ich zunächst nicht von diesem Duft in einer putzigen Phiole vermutet hätte.

Der Flakon ist klein und handlich, läßt sich ohne Weiteres in jede Jacken- und Hosentasche stecken.
Vom kargen Sprühkopf kann man eine kurze und kompakte Sprühwolke erwarten. Abgeschlossen wird er von einem Plastikdeckel in Metalloptik, das Firmenlogo einer Rose mit Biene als gestanzte Zierde.
Als witziges Detail wird auf der Rückseite des Etiketts die Duftpyramide gelistet. Und je nach Duft gestaltet man dieses mit entsprechenden Farben und Mustern. Hier speziell in grünem Camouflage-Design.

Und das Beste am Spiel ist die nahezu lächerliche Gebühr. Für so wenig Geld so viel erleben zu können.
Da muß ich den beiden Mädels von Margot & Tita in Bordeaux herzlichst danken.

Na, wer spielt mit?

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